II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 35

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I
18 Dee
Ausschnitt aus
Tägliche Rundschau, Berte
74 FEB. 1904
—Aus dem Kunstleben.
Deutsches Theater.
Arthur Schnitzler: „Der einsame Uleg“.
Schauspiel in 5 Akten.
Es ist ein herbstliches Werk, das Schnitzler in
seinem neuesten Drama vorlegt, eine müde, resignierte
Schöpfung, die von Vergehen und Welken redet, vom
Fallen der Blätter, vom Schwinden letzter Illusionen.
Wie die Zeichnung eines müden, abgedankten Ge¬
schlechtes, das nicht mehr glauben kann, liegi
es über den Szenen, die langsam, allzu langsam verfließen.
Es sind schwanke, körperlich oder geistig zernagte Naturen,
die in diesem Stück begegnen. Menschen der Skeptik, die
sich im Sehnen verzehrten, ohne zum Vollbringen zu ge¬
langen, die alles in der Welt erjagen („sich ausleben")
wollten und dafür das einzig Mögliche verpaßten,
das zu erreichen ihnen vielleicht vergönnt war:
ein kleines Glück, eine bescheidene Tat, die, bereit, herbei¬
zueilen, schon an ihrer Schwelle kauerten. Am Ende stehen
nur die einfacheren Menschen mit einem Schatten dessen da,
was man „Wohlergehen auf Erden“ nennen könnte. Die
„Eroberer“, die Genialischen scheiden mit leeren Händen gleich
den bankerotten Spielern aus dem Stücke. Sie stehen im Bewußt¬
sein ihrer geistigen überlegenheit, aber auch im Bewußtsein ihrer
menschlich= persönlichen Niederlage. Wie eine neue, immer
wieder zu erlebende, wehmütige Erkenntnis senkt sich
die alte Einsicht auf sie herab, daß man,
etwas zu erringen, das wirklich verdiente, ein
um
des Lebens genannt zu werden, sich selbst
einen Teil seines eigensten Wesens mit
oder
letzter Hingebung, schrankenlos, bedingungslos eingesetzt
Fünf lockere Gespräche sind diese fünf
haben müsse...
Akte, über die wir noch am Montag zu reden haben
werden, oft sehr fein, nicht selten aber auch allzu breit
ausgesponnen, allzu sorglos gleichgültige Dinge und
belangloses Geplauder dem vorwärtstrachtenden Taten¬
drange der Bühne zumutend. Die Aufnahme war
im ganzen kühl. Nach dem vierten Aufzuge stellte
sich stärkeres Zischen ein; nach dem fünften
überwand die Achtung vor einem feinen Kopfe das all¬
gemeinere Unbehagen über einen „unbefriedigenden“. Aus¬
gang und einen allerdings höchst mangelhaft begründeten
Selbstmord. — Unter den Darstellern sind vor allem
Herr Rittner und Herr Bassermann hervor¬
zuheben. Herr Rittner, der Enttäuschte mit einem
Rest von Glauben, unglücklich, weil er wähnt, daß
Herr
er hätte glücklich sein anen, wenn ...
Bassermann, der völli „illusionierte" Skeptiker, von
einer glänzenden weltmänn en Sicherheit, von einem ganz
großen Schnitt der überlegenen Wurstigkeit, die alles hinter
sich hat. Else Lehmann gab ein wundervolles, spontanes
Künstlerintemperament, Frau Pauly und Frl. Triesch, Herr
Sauer, vor allem auch Herr Stieler machten ein
fein abgestimmtes Ensemble. Nur der lange Arzt dürfte
an einem Theater, wie dem Deutschen, nie so, wie gestern,
Paul Mahn.
besetzt sein.
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eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
berüner Neueste Nächfichten
44 FEB.3894
Theater und Musik
1
(Siehe auch erste Beilage.)
Deutsches Theater. Zum 1. Male: „Der einsame
[Weg“, Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
Mir ist, als hätte ich nie so stark den Dichter als Lebens¬
deuter in Schnitzler verspürt, als den Deuter unseres eigensten
Lebens und Wesens. Was, laut und leise, aus seinem neuen
Schauspiel „Der einsame Weg“ hervortönt, es ist die Sprache
von uns allen und unserem Gewissen, mit dem wir auf langer
Wanderung einig geworden sind, ohne ihm sein Uebergewicht neh¬
men zu können. Wir alle
Menschen im „Einsamen Weg“ ahr lehren Schnitzlers
sind Einsamkeitsmenschen.
Wie wäre es sonst möglich, daß wir Dinge in uns verschlössen und
Geheimnisse mit uns trügen, während uns unsere Nächsten und
Liebsten zu kennen meinen. „Und wenn uns ein Zug von
Bacchanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle allem...
wir, die selbst niemandem gehört haben. Und von einem Zwei¬
#ten sprechen sie: von der Sehnsucht, die uns nicht läßt, die wahr
ist oder falsch ist und doch die Sehnsucht bleibt, die Sehnsucht in
die weite Welt, die rätselhaften Fernen. Darin liegt ein Heimat¬
loses, und wer die Heimat verlor — und ginge er nicht einen
Schritt weit von der väterlichen Scholle — der geht einen eins
samen Weg. Und aus diesem wiederum resultiert ein drittes:
Das Gefühl der Zugehörigkeit, für uns Zufallsgeschöpfe. Nicht
wer uns in die Welt gesetzt — wer uns zum Menschen erzogen
und uns das Leben erschlossen, ist unser Vater.
Gabriele, die Gattin des Wiener Akademiedirektors Weg¬
rath, kommt zum Sterben. Mit ihr erlischt das Licht, das den
Familienkreis erhellt hat, und die Wege der einzelnen gehen weit
auseinander, ins Leben, in den Tod, immer aber in die Einsam¬
Sie ist wohl den einsamsten
keit. Und Frau Gabriele selbst?
Weg gegangen, aus einer Enttäuschung heraus, der sie das Kind¬
dankt, von dem ihr Gatte glaubt, es sei sein ältestes. Doppelt.
einsam, weil sie dem, der ihr Gatte ward, nicht die Illusionen
nehmen wollte, an denen sein schlichter Lebensinhalt hing. Ihre
Buße war ihr Schweigen. Und die Buße des Jugendgeliebten,
der einst, in letzter Stunde, geflohen war, weil ihn die Sehnsucht
nach den rätselhaften Fernen, der Freiheit und Unge¬
unwiderstehlich lockte, wird das einsame
bundenheit
das ehrliche Beharren des Sohnes
Alter und
bei dem Manne, der ein Menschenalter hindurch die
Pflichten des Vaters erfüllte; bei dem Manne, der durch die
heimatlose Liebe eines Dritten seine Tochter verliert, die auch
ihren Weg gegangen ist, auf dem es keinen Rater gibt als die
Stimme, die in uns ist, wenn wir am einsamsten sind. Der ein¬
same Weg — der Weg der Liebe. Handelnd oder duldend. Das
ist wie eine schmerzliche Ironie. Nicht der Stimme des ererbten.
Blutes folgen wir, wir folgen der Stimme unseres individuelten
Blutes. Und wissen nicht, was wir tun . . So ist das Leben. —
Kein Drama, was uns Schnitzler bietet. Nichts davon.
Eine Novelle. Eine Elegie. Und dennoch übt sie von der
Bühne herab einen so eigentümlichen Zauber aus, weil die Wahr¬
heit in ihr zu einem plastischen Gebilde wird und das Antlitz von
Menschen trägt. Nicht die Wahrheit überhaupt. Wer wollte die
ergründen? Aber eine Wahrheit; die nicht minder groß ist,
weil sie nur einen Teil darstellt. An solch eine stille und tiefe
Dichterschöpsung soll man nicht mit dem kühlen Blick des For¬
schers, an sie soll man mit der lauschenden Seele des Mit= und
Nachempfindenden herantreten. Ob ein Strich zu viel, ob einer zu
wenig geschehen ist, ob eine Parallele nicht die Konsequenz des
Dramas rein unterstützt, was kümmert es hier viel. Wie der Traum
eines Herbstabends ist es, jener klaren und darum um so stim¬
mungsschwereren Abende, an denen alle Horizonte sich zu weiten
scheinen, die inneren und die äußeren, und wir empfinden ein
Erschauern vor der enteilenden Gegenwart. —
Die herbe Luft war nichts für die „kompakte Majorität“
wollte es
Unberechenbar wie das Premierenpublikum ist,
keinen Dichter, es wollte heute einen Theatraliker. Die feinen
seelischen Fäden, die wie ein Herbstgespinnst hin und her
webten, sah es nicht, oder wollte sie nicht sehen und
noch weniger verstehen. In den nicht allzu starken Applaus
klang übellauniges, scharfes Zischen. Eine Anzahl Damen des
ersten Ranges platzten mehrfach in amüsiertestes Gelächter aus.
Auch Böotien hatte seinen Damenflor
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llung hätte ein otwas stärkeres Rückaraf ber¬ ###