II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 37

box 23/1
18. Der einsane Neg
e Post, Beriin
44 FBN990
W
Wien herübergewandert sind. Und der Magus des
Deutsches Theater.
Nordens scheint selber seinen, mit der sittlichen
Forderung aufdringlich hausierenden Gregers Werle
ersten Male: „Der einsame
31
aus der „Wildente“, zu widerlegen, wenn einer
Weg.“ Schauspiel in fünf Akten von Arthur
es
der Raisonneure des Schnitzlerschen Stückes —
Schnitzler.
ist der übliche Arzt — den Gedanken prägt oder
Der Dichterkreis, dessen Werke uns die
besser aus dem Schauspiel selbst als reinsten Kern
Bühne Otto Brahms übermittelt, ist klein. Der
herausholt: eine Lüge, die sich so stark erwiesen
peinlichen Mühe, neue Talente zu suchen, irgend
hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen
einen Unbekannten hinter dem spärlichen, ewig
kann, ist mindestens so verehrungswurdig, als eine
staubigen Ephengerank, das den Orchesterraum in
Wahrheit, die nichts anderes vermöchte, als das
der Schumannstraße sinnig überspinnt, zu Worte
Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Gefühl
kommen zu lassen, unterzieht man sich nicht. Das
der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der
Theater hat seinen wohlbegründeten Ruf, und
Zukunft zu verwirren. Diese lebende Lüge aber
so sehr ihm der ärgerliche Abfall mancher Stütze
ist der Sohn des Akademieprofessors Wegrath.
und die schlaue und geschickte Konkurrenz am
Sein wahrer Vater ist der Maler Julian Fichtner,
Schiffbauerdamm auf die Dauer schaden würden
der knapp vor ihrer Hochzeit mit dem Freunde die
— in rich¬
— sein kleiner Zuschauerraum mit den folterartig
hübsche Gabriele verführte, ohne aber —
engen Sitzen ist bald gefüllt. Der Besitzer des
tiger Erkenntnis seines alles seßhafte Glück ver¬
schmähenden Charakters — die Konsequenzen zu
Hauses, der gern in Volksstücken das treue teutsche
ziehen und die Geliebte zu seinem Weibe zu
Gemüt nach außen hängt, hat sogar die Damen¬
machen. Er flieht vor ihr statt mit ihr.
spende eines Wiener literarischen Unternehmers
Nach Jahren und Jahren wird er erst wie¬
für den geeigneten Platz gehalten, in einem sonst
der von dem ahnungslosen Wegrath als Freund
nicht bemerkenswerten Verslein davon zu handeln,
in die Familie eingeführt, und die Sehn¬
daß offenbar der blanke, blasse Neid alle Dichter
sucht, den kräftig und stolz emporgeschos¬
und Kunstindustriellen verfolgt, die viel Geld verdie¬
senen Jungen, der jetzt ein schmucker Leut¬
nen. Es wäre schade, wenn der minder volkstüm¬
nant von 23 Jahren ist, als Sohn an sein altern¬
lich bemühte, aber klügere Direktor des Deutschen
des Herz zu nehmen, quält den Vereinsamten, der
Theaiers, der bald den größeren, von Blumenthal
auch langsam die Begeisterung zu seiner Kunst
in witziger Stunde auf Lessings Namen getauften
und den Glauben an sein Genie weichen fühlt.
Kunstttempel beherrschen wird, die Ansicht eines
Andeutungen der sterbenden Mutter haben Felix,
Mannes zu der seinigen machen wollte, der bei
den Sohn, vorbereitet auf seltsame Geheimnisse,
jedem seiner kritischen Widersacher nur den dum¬
von denen ihm die Schleier fallen sollen. Und
men Aerger zu vermuten scheint, daß „Mein
als er nun bei dem unerkannten Vater ein Ju¬
Leopold“ nicht sein Leopold war. Als Direktor
gendbildnis der Mutter aus jener Zeit der heißen
des Lessing=Theaters wird sich Brahm kaum die
Sünden betrachtet, steigt ihm eine jener Ahnungen
Bequemlichkeit auf die Dauer leisten können,
auf, die für das Schicksal der Personen dieses
immer wieder das alte Kränzlein derselben Ge¬
Stückes eine fast so verhängnisvolle Rolle spielen,
treuen abzuspielen und durch jeden Winter immer
wie für das Stück selbst. Gewohnheit, Neigung,
denselben einsamen Weg zu gehen.
Dankbarkeit und Treue aber haben ihn dem, der
Das sind Betrachtungen, die uns eine ge¬
ihm durch Kindheit und Jünglingsjahre als Va¬
rechte Freude an den wenigen Premièren nicht
ter gegolten, so herzlich verbunden, daß er in
rauben soll, die das „Deutsche Theater“ unter
ihm nur den wahren Vater ehrt, als schweres
seiner jetzigen Leitung noch herausbringt. Voraus¬
Schicksal über das Haus horeingebrochen. Die
gesetzt, daß sie Besseres bringen, als die heutige.
Auf Hauptmann und Fulda folgte heute Arthur
einzige Schwester, Johanna, hat sich in einen
lebensklugen, vornehmen, kranken Mann verliebt,
Schnitzler mit seinem fünfaktigen Schauspiel,
Ein
das er „Der einsame Weg“ nennt.
Stephan von Sala, eine jener Naturen, die hinter
Drama, dessen Vorgeschichte, kunstvoll und lang¬
eisiger Verstandeskühle ein für das Schöne em¬
sam vor uns entrollt, uns interessanter scheint, als
pfängliches Herz vor Neugier und Mitleid des
seine Handlung, und dessen Menschen als Kinder
Pöbels verbergen. Wohl plant er noch einen gro¬
einer Zeit, die noch mehr auf Geist als auf Hal¬
ßen Zug nach Asien, uralte Herrlichkeit aus dem
tung gibt, anziehender wirken, als seine roman¬
Schutt zu graben, aber sein Grab liegt auf dem
tischen Geschehnisse. Die Fäden, die vom Grund¬
Wege. Er ahnt das nahe Ende nicht. Aber die
gedanken sowohl wie von einzelnen Figuren zu Ge¬
Geliebte weiß es von ihrem Bruder; der vom Arzt.
danken und Figuren Ibsens hinüberführen, wären
Und an dem Abend, da er der Geliebten, die hein
leicht aufzufinden. Der geistreiche Mann, der den
lich längst die Seine war, seine Hand anbietet †¬
Tod vor Augen hat, das stolze Mädchen mit dem
geht sie ihm voraus in den Tod. Freiwillig und
visionären Zug, der Ahnungslose, dem die nie ent¬
ohne sentimentalen Abschied. Der nächste Mär¬
deckte Lüge seines Familienlebens den letzten
gen gibt Stephan die Gewißheit des nahen Endes,
das sind Gestalten, die aus des
Trost gibt
Norwegers Ideenwelt nach dem Schnitzlerschen! und er kommt zurück und solat der Freunvin. Fe¬
K
lian Fichtner aber, verleugnet von seinem Sohn,
dem er nichts weiter gab, als — das Leben, wird
seinen einsamen Weg weiter schleichen, und die
freudlosen Tage werden ihn finden ohne Kind
und ohne Freund, ohne Trost und ohne Ver¬
trauen
Das ist das Stück. Es ist viel Sprunghaf¬
tes darin. Wie z. B. in der klugen Johanna eine
LLiebe wird und wächst, die sie dem reichen Spötter
Sala bedingungslos in die Arme legt und zum
Todesentschluß treibt, das ist kaum angedeutet.
Wir müssen uns damit abfinden: es ist so.
Schlimmer noch sind die „Ahnungen“, an denen
alle diese Menschen leiden. Im ersten Akt scheints
geradezu, als sollte eine heftige okkultistische Pro¬
paganda gemacht werden. Nicht nur die gute Jo¬
hanna hat die wunderlichsten Ahnungen, auch
Felix „ahnt“ mit großem Glück und liest aus dem
Jugendbilde seiner Mutter mit einer für einen so
jungen Menschen erstaunlichen Sicherheit ihr gan¬
zes Liebesschicksal. Kommt hinzu, daß manches
andere — wie die Gartenszene im vierten Akt —
romanhaft wirkt; daß endlose Dialoge, übrigens
von sehr hübschen feuilletonistischen Einfällen
lustig durchblitzt, den ersten Akten etwas Schlep¬
pendes geben; daß der erste Aktschluß ganz wir¬
kungslos bleibt, der vierte hart an die Grenzen
des Komischen streift. So konnte es kein Erfolg
werden und war auch keiner; obschon sich Schnitz¬
ler, von einigen freundlichen Händen gelockt, mehr
fach nach den Mittelakten an der Rampe zeigte.
Unter den Darstellern ragten hervor Rud#
Rittner, der den Julian Fichtner schlich
und eindringlich gab, Kurt Stieler, der
frischer, liebenswürdiger Bursche war, und
Lehmann, die, als Schauspielerin a. D., se
mit den Klagen ihrer unfreiwilligen Kinderlosigke
eine heitere Note geschmackvoll in das düstere Bi
brachte. In der besten Figur des Stückes, de
kühl=überlegenen, vornehmen Stephan von Sals
der vom guten alten Raisonneur der Franzosen al

stammt und Norwegen mit Nutzen bereist hat, so
Albert Bassermann in der Anlage einen in
teressanten modernen Typus; aber er hat nie
mals pfälzischer gesprochen, als an diesem Abend
da er sich um den Wiener Tonfall mühte. Irens
Triesch sah heute ungemein un=arisch aus, un
ihre Kunst blieb nicht ganz frei von Süßlichkeiten
Den letzten Abschied spielte sie mit schönen, ver
haltenen Herzenstönen, und daß man ihre Todesh
schauer auslachte, ist nicht ihre Schuld. R. P.