II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 47

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18. Der einsane Neg
Erst im dritten Akt, nachdem man nebenbei erfahren hat,
daß auch der unternehmungslustige Herr v. Sala nahem
Tode verfallen ist, enthüllt der zärtliche, wenn auch ehe¬
brecherische Vater des jungen Wegrath (in dessen Hause)
alles: wie er die Verstorbene einst als Braut seines Freundes
geliebt und verführt hat, dann nicht heiraten wollte und
wie es ihn jetzt doch in Liebe nach ihm, seinem Sohne, ver¬
langt. Eine fatale Situation für den jungen Mann; das
muß man zugeben. Ein zahmer Schurke, der sich ihm als
leiblicher und liebevoller Vater anbietet. Der Sohn handelt
verhältnismäßig noch sehr vernünstig, indem er dankend ab¬
lehnt; er zieht den Mann, der nach dem Gesetze sein Vater
ist, vor. Wieder bricht dieses Thema resultatlos ab. Im
vierten Akt ist Johanna Wegrath, wie man längst gemerkt
hat, eine kleine Hysterikerin, bei ihrem geliebten Sala in der
einsamen Villa. Er war so gnädig, sie zu erhören, aber
er ist erhaben genug, sie bei einbrechender Dunkelheit sich
allein entfernen zu lassen. Mittlerweile sind noch
andere Personen erschienen, auch der Maler, auch der unglück¬
liche Sohn zweier Väter, sie alle reden, reden, reden unter
fallendem Herbstlaub, zum Schluß bleibt Sala allein im
Gartensalon; da taucht Johanna noch einmal auf. Sie
blickt in das beleuchtete Zimmer, sie setzt sich an den dunklen
Teich — sie tut, was jene spleenige Engländerin einst tat,
die ausrief: „Ich sterbe für den Admiral Nelson!“ Nelson
hatte das gar nicht gewünscht.
Der Schlußakt bringt das langsame Bekanntwerden von
Johannas Tode. Wieder umständliche Bemühung um ein
Geheimnis, das der Zuschauer schon kennt. Herr v. Sala.
von den acht Raisonneuren des Stücks (so viel Personen
zählt das Stück) derjenige, der immer das Meiste weiß,
kommt und verrät dem beunruhigten jungen Mann, daß
seine Schwester seine Geliebte gewesen. Das ist wieder
fatal: Nun steht zu seiner Rechten sein unehelicher Vater,
zur Linken sein unehelicher Schwager. Mit dem letzteren
verfährt er sehr kurz und schneidig. Statt ihn zur Rechen¬
schaft zu ziehen, macht er ihm einfach die Mitteilung, daß
er, der Todeskandidat, nach ärztlichem Ausspruch
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oynehin bald sterben werde. „Sie sind dessen siche::
„Vollkommen,“ antwortet in strammer
fragt Sala.
Haltung der junge Leutnant. All righte. Nach dieser gro߬
artigen Genugtuung entfernt sich der junge Mann, und Max
und Moritz, die bejden Familienschmaroter, der angebliche
Maler und der angebliche Dichter, nehmen gerührt von ein¬
ander Abschied.
Rührung am Anfang, Rührung am Ende, und das um
einer lumpigen Sache willen: das ist das eigentlich Ver¬
stimmende an dem Stück. Sein geringer Theaterwert ist
keineswegs sein entscheidender Fehler. Es könnte noch stiller
und handlungsarmer sein und doch durch seine bloße
Atmosphäre uns nahe kommen. Grade die aber ist unecht
in einem Grade, den wir bei Schnitzler trotz mancher schon
hervorgetretenen Neigung zur Pose und berechneten Ueber¬
stiegenheit nicht erwartet haben. Diese Meuschen sind alle
konstru ert in ihrer Wehleidigkeit, Kleinlichkeit und ihrem
Stimmungs=Egoismus, und der Verfasser hat nicht so viel
Unbefangenheit, um auch nur für eine Minute freien Aus¬
blick darüber zu gewinnen. Er steckt verblendet selber mitten
unter seinen Konstruktionen. Ich fürchte sogar, er glaubt
selber an die Sentenzen, die er seinen erfundenen Figuren
reichlich und überreichlich in den Mund legt, und doch sind diese
nur so weit richtig, als sentimentale überreizte Stimmungen
in unserem Leben Wert haben. So wenig nachhaltig wie
diese unaufhörlichen Sentenzen ist endlich auch die Sprache
des Dialogs überhaupt, der, gerade wo Feierlichkeit und
Rührung beabsichtigt sind, bei Schnitzler so leicht unsicher
und salopp wird. Wenn es sich um Schilderung eines
Natureindrucks, einer Wetterstimmung, eines realen Erleb¬
nisses oder eines Gemäldes, eines Gebäudes handelt, ver¬
sagt in diesem Stück die Sprache und ist erschreckend blaß
und nichtssagend; umso gesprächiger plätschert sie in
psychologisierenden Redereien dahin, unter denen kein festes
Terrain liegt.
Inszenierung und Aufführung unternahmen sehr viel
für dieses Stück, ohne daß man freilich die eine oder andere
Leistung besonders hervorheben müßte. Mit einer einzigen
Ausnahme Eise Leymann, deren freudige Natur durch
eine uninteressante Nebenfigur so erfrischend hindurch¬
schimmerte, wie Faustens liebes Himmelslicht, das durch ge¬
malte Scheiben bricht.