II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 85


wird sich die Bühnen leider nicht erobern können. Die Schuld daran
liegt teils an den dramatischen Mängeln dieser Dichtung, teils an
der Eigenart des Theaterpublikums, das lieber zu den groben Sen¬
sationen des „Zapfenstreichs“ läuft, als geneigt ist, Bühnenmängel zu
übersehen um der Feinheit der Dichtung willen. Um so anerkennens¬
werter ist es daher, wenn ein Dichter wie Schnitzler, der in „Liebelei“
und in „Freiwild“ und im „Vermächtnis“ und im „Grünen Kakadu“
die Szene so meisterlich beherrscht, sich noch intimerer Darstellung zu¬
wendet. Schon der Einakter=Zyklus „Lebendige Stunden“ zeigte die
Wandlung an, die sich jetzt im „Einsamen Weg“ völlig vollzogen hat.
Dieses Stück ist etwa in der Technik Ibsens gearbeitet und doch ganz
seine fünf Aufzüge sind wie ein großer
selbständiger Prägung
Schlußakt. Fast ein Vierteljahrhundert zuruck liegt die Vorfabel des
für das Interesse des
Stückes. Zum Schluß des ersten Aktes
wird sie mit einem Schlage enthüllt.
Publikums ein wenig zu spät —
Dann, im zweiten und dritten Akte, fallen für uns die Schleier der Ver¬
gangenheit und lebendig, in greifbarer Lebensfülle steht nun jene Zeit¬
vor uns, da Julian, der glänzende „vielversprechende Künstler, Gabriele,
isie Braut seines Freundes Weggraf, verführt hat. Gabriele und
Julian — sie waren zu einander gekommen in unbezwinglicher, jäh auf¬
lodernder Liebe und es war ihnen beiden heiliger Ernst gewesen. Schon
hatten sie den Morgen festgesetzt, an dem sie fliehen wollten, um sich
dann für immer zu vereinen. Aber in der Nacht vorher überkam
Julian ein Grauen davor, sich für immer zu binden, seine freie, un¬
gebundene Künstlerschaft zu opfern. Sein Egoismus war größer als
seine Liebe, er hatte nicht die Kraft, Gabriele ein Opfer zu bringen
- und er entfloh. Der Maler Weggraf hatte auch geträumt von freier,
großer Kunst, auch er wollte ein ganz Großer werden, aber all seine
Traume verfanken vor der Liebe zu Gabriele. Er heiratet sie wenige
Tage nach der Flucht Julians, er weiß nicht, welchen Verrat die Beiden
an ihm begangen. Und Gabriele schweigt. Er wird glücklich auf
seine Art, wird ein tüchtiger Künstler, aber kein großer, malt alljährlich
sein Ausstellungsbild, wird Direktor der Akademie — aber man nennt
ihn nur einen Kunstbeamten. Ein Freund Julians, Stephan v. Sala,
auch ein Eigner und Egoist, sagt einmal von Weggraf: „Der Mann hat
einen Beruf. Ich glaube, wir können das gar nicht fassen, die wir
von Gnaden des Augenblicks Götter und zuweilen etwas weniger als
Menschen sind.“
Dieser Sala und Julian sind zwei interessante Typen. Sie haben
niemals anderen ein Opfer gebracht, sie sind den „einsamen Weg“ a
wandert und nun, da sie altern, müssen sie sich gestehen: „Den Weg
hinab, den Weg des Alters gehen wir allein, wir, die wir niemandem
angehört haben. Sala, die psychologisch vielleicht feinste Gestalt, die
Schnitzler geschaffen, findet noch ein spätes Glück in der Liebe, die
aber Johanna
Johanna, die Tochter Weggrafs ihm entgegenbringt —
geht an ihm zu Grunde und gibt sich den Tod. Julian graut vor ein¬
samem Alter, er will nicht, wie all die Kleinen, den Gesetzen des Lebens
unterworfen sein und er kämpft um die Liebe des dreiundzwanzigjährigen
Felix. Es ist sein Sohn, gilt aber als der Sohn Weggrafs. Bei
seiner Geburt hat Gabriele geschwiegen, um die Ruhe und den Frieden
des Gatten nicht zu zerstören. In zwei ergreifend schön durchgeführten
Szenen schildert Schnitzler, wie Felix und Julian zu einander kamen,
wie die verwandten Elemente einander anziehen und wie dann doch
Felix bei Weggraf bleibt und den Mann, in dessen Haus er geboren
und erzogen, nun noch mehr liebt, da er weiß, wie sehr jener betrogen
worden.
Das ist, wenn man es technisch bezeichnen will, die Haupthandlung
des Stückes. Weit mehr aber noch und den Rahmen dieser Besprechung
er
weit überschreitend, ware zu sagen über das Beiwert, das oft zum
#
Schaden der Bühnenwirkung zur Hauptsache wiro: die Schilderung der
beiden Uebermenschen, die den einsamen Weg gehen. In dieser
Schilderung hat der feine, tief eindringliche Poet Bedeutendes geschaffen
— man kann diesem Werke meist gerecht werden, wenn man es nur als
Bühnenstück betrachtet. Es ist eine bedeutsame, dankenswerte, glänzende
Dichtung, die sorgsame und hingebende Lektüre verdient. Als Theater¬
stück hat „Der einsame Weg“ viele Mängel — die Handlung geht lang¬
sam vorwärts, die Fülle der Gestalten und Gedanken belastet das
Theaterstück allzu sehr und kann von der Bühne herab nicht genug Wür¬
digung finden. Dann ist da eine vorzüglich gesehene Gestalt einer
Schauspielerin — diese Gestalt allein könnte ein wertvolles Theater¬
stück werden. Es steckt in ihr eine wundervolle Frauenpsychologie, ein
— aber
lebenstrotzender Humor, Sonnigkeit und Traurigkeit zugleich
man könnte diese Figur streichen und dem Stücke würde kein organisches
Glied fehlen.
Der 1. Akt ging ohne starken Eindruck vorüber, der 2. und der
3. Akt hatten eindringliche Wirkung. Die Schlußszene des 3. Aktes
wurde von ein paar Leuten ausgelacht, von mehreren ausgezischt, der
Beifall war aber stärker. Auch nach dem Schlußakt kämpften Beifal
und Zischen sehr lebhaft. Die Aufnahme, die das Stück fand, entsprich
der Tatsache, daß es kein gutes Theaterstuck ist, ändert aber nichts daran
daß „Der einsame Weg“ dichterisch ein bedeutendes, hochstehendes Wer¬
ist, ein Spiegelbild geistiger Strömungen unserer Zeit, die Schöpfun
eines echten, liebenswerten Poeten. Die Darstellung war ersten Ranges
sie war ein Triumph moderner, psychologisch tiefgehender Schauspielkunf
Im Berliner Theater hat am Sonnabend ein dreiaktige
Schauspiel „Waterkant“ von Richard Skowronnek seh
viel Beifall gefunden. Es ist sehr geschickt gemacht, mit Humor und viel,
statt
Behagen folgt der Autor den von Moser ausgetretenen Spuren -
der Kasernenszenen gibt er Instruktionsszenen auf dem Kriegsschiff. Die
Leutnants und Unteroffiziere und Rekruten steckt er in die Blaujacke und
in die Marine=Uniform und dann ist alles bereit zur glücklichen Fahrt.
An Bord S. M. S. „Iltis“ spielt der erste Akt und so lang es sich um
ein Marine=Milieustück handelt, geht alles anspruchslos lustig daher.
Dann aber besinnt sich der Autor darauf, daß auch doch Handlung nötig
wäre und nun schildert er einen von der „Waterkant“, der mit Leib und
Seele Seemann ist und seiner Mutter zu Liebe den Dienst quittieren
muß — die Mutter verlangts, denn sein Vater und sein Bruder sind
ein Opfer des Meeres geworden. Der von der Waterkant führt nun
ein trauriges Leben als Landratte, bis seine geliebte Kusine, auch eine
von der Waterkant, eine Aenderung seines Schicksals durchsetzt und er
als Leutnant wieder auf die See hinaus darf. Das Stück hat alles, was
zu einem wirksamen Tantiémenstück erforderlich ist: Witz und hübsche
Episoden, wenn es erforderlich scheint auch Gemüt, Sentimentalität,
Rührung. Es ist natürlich nur ein Theaterstück mehr, aber eine saubere

und geschickte Arbeit.
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051
Berlin N. 24.


Ausschnitt aus
Ksinische Zeitung
16 FEB 1904
un seee.
#. Berlin. Schnitzle##sünfaktiges Schauspiel Der einsame
Weg, die letzte Neuheit des Deutschen Theaters, ist so recht ein
Beispiel dafür, wie falsch die Schulmeinung ist, die der Naturalis¬
mus vor fünfzehn Jahren aufbrachte, daß der Stoff für den Künstler
gleichgültig sei und die Behandlung alles. Aller Geist, den der Wiener
Dichter reichlich aufwendet, konnte nichts daran ändern, daß dieser
Stoff für die Bühne unbrauchbar ist und daß seinen Gestalten das
eigentliche dramatische Leben ganz fehlt, weil sie gleichgültig, über¬
sättigt, von allzu viel Reflexionen durchsetzt, die richtigen Wiener der
Verfallszeit sind. Es ist eine Geschichte unter Leuten, die stets haben,
tun und lassen können, was sie wollen, die trotz allem, was sie darüber
reden, zu wirklichen harten Lebenskämpfen untauglich sind, und denen
ihre eigene Freiheit und Selbstherrlichkeit schlecht bekommen ist. Prof.
Wegrath, ein guter Mensch und Akademiedirektor, hat eine schwerkranke
FFrau, Gabriele. Diese hatte, ohne daß er es weiß, dereinst vor langen
Jahren ein Verhältnis mit dem als Don Juan bekannten Julian
Fichtner, und Wegraths 23jähriger Sohn, der Leutnant Felix, ist in
Wahrheit Fichtners Sohn; zu dieser Erkenntnis bringen den jungen
Menschen verschiedene Umstände, als die Mutter stirbt; aus dem Munde
Fichtners selbst wird ihm das endlich bestätigt. Fichtner, der gealtert,
müde und einsam ist, möchte nun seinen Sohn, den er liebt, zu sich !
heranziehen, ihn bei sich behalten. Aber dieser will nichts von ihm
wissen, da er, sein wirklicher Vater, sich ja nie um ihn gekümmert habe.
Er bleibt bei Wegrath, dem Guten, in dessen Haus er aufgewachsen.
So bleibt Fichtner nur der einsame Weg des Alters. Aehnlich kommt
sein Freund, Herr v. Sala, über den ###thetischen Lebensgenuß ohne
jede Verpflichtung nicht hinaus; er will sich, obgleich schwer leidend,
schließlich aus reiner Langeweile einer Expedition nach dem alten
Ekbatana anschließen. Mit Johänna, der Tochter Wegraths, hat er ein
Verhältnis; diese ertränkt sich im Teich seiner Villa, als sie weiß, daß
er balb sterben muß. Sala spricht, als er davon hört, die Absicht aus,
selbst ein Ende zu machen. Damit fällt der Vorhang. Eine Arti
Petronius=Stimmung beherrscht das Stück, das als dramatische Ar¬
beit schwach ist. Die Zuschauer, die erst voll Interesse waren, gingen
ein den lzten Akten nicht mehr mit; der Dichter konnte indessen
köfters vor dem Vorhang erscheinen, den meisten Beifall fand der¬

dritte Akt.
Dr. Max Goldschmidt
„ „ „ Bureau für
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Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
er Zeitung
Rostocle
EB 1904
Arthur Sc##l##s=Schauspiel „Der einsame
Weg“fand bei seiner Erstaufführung am Sonnavend
im Deutschen Theater zu Berlin eine laue Aufnahme,
die auch nicht ohne Widerspruch blieb. Die „Frankf.
Ztg. urteilt über das Stück: Es fehlt dem Drama
bei vielen stimmungsvollen Szenen an der rechten
Klarheit; die Handlung ist nicht schlicht genug auf¬
gebaut, es überwuchert die Reflexion. Der einsame
Weg ist der Weg derer, die nie Opfer zu bringen fähig
sind. Der Sohn erfährt, daß der Mann, der der Gatte
seiner Mutter ist und der ihn auferzogen, nicht sein
Vater ist; er wendet sich trotzdem im entscheidenden
Augenblick ihm zu und von seinem leiblichen Vater ab.
Dazu eine Parallelhandlung, die die Schwester einem
anderen Einsamen in die Arme und dann in den Tod#
führt.