II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 158

18. Der einsane Neg
Theater und Kunst.
2820 „Der einsame Weg.“
(Schauspiel in fünf Akten von Artur Schnitzler.
Berlin: Deutsches Theater.)
„Der einsame Weg“ bedeutet in Schnitzlers
dramatischem Schaffen einen Abschnitt. Schnitzlers
bisherige Dramen hatten etwas Monographisches,
das Thema war einfach und genau präzisiert,
und die Behandlung schritt direkt und fast bei¬
spielartig auf das Ziel zu. Im „Einsamen Weg“
finden wir den Versuch zu einer polyphonen Be¬
handlung. Mehrere Themen tauchen auf, ver¬
stärken einander, verlieren sich aneinander, ver¬
zweigen und sammeln sich wieder. Dadurch wird
das dargestellte Stück aus der Sphäre der Ein¬
maligkeit und Zufälligkeit heraus und in die des
Symbols gehoben. Noch ist Schnitzlers Hand un¬
sicher und tastend, und die Erinnerung an Ibsen
schattet über das Werk. Vielleicht hat Schnitzler
die Verantwortlichkeit nicht tief genug gefühlt, zu
der die neue Methode verpflichtet. Er war zu
nächsichtig gegen seine Menschen und hat dadurch
sowohl seine Dramaturgie wie die ethische Gültig¬
keit der Konflikte geschwächt. Indem er seine
Menschen mit ihren Erlebnissen und Reflexionen
so steigern wollte, daß ihre Kämpfe, Siege wie
Niederlagen, nicht bloß mehr private Angelegen¬
heiten würden, sondern das betroffene Herz jedes
Zuschauers mahnend und deutend unmittelbar
angingen, hat er nicht vermocht, die ursprüngliche
niedrige Geburt seiner Personen vergessen zu
machen. Denn. kalt angesehen, stammen sie doch
alle aus der Anatol=Welt, diese Künstler und
Frauen, und weniger ihre Natur als die des
Dichters, und weniger des Dichters Natur als
seine Sehnsucht verzaubert unser Herz zu der
Ahnung des Schicksals.
Nur wenn man die Vorgeschichte zu dem Kon¬
flikt, der den Mittelpunkt des Stückes bildet, in
der Anatol=Weise erzählt, das heißt sie durch
Ironie und Flüchtigkeit von allem Ernst befreit,
ist sie wahr. Es ist diese: Zwei junge Künstler,
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der eine — Julian Fichtner — genialisch, lebens= Frau in ihrer Jugend sich einer stürmischeren] Me
urteil
Leidenschaft hingegeben hat, ja, daß sie mit der
— Wegrath —
und freiheitsdurstig, der andere
keinen
Lüge in Leib und Seele eine Ehe eingegangen
ein korrekter Arbeiter, ernster, etwas simpler,
doch
ist, das ist menschlich, und wir sind keine
gütiger Mensch, verlieben sich während der
sehr
Pharisäer; wir verstehen und verzeihen. Daß sie
Ferien, die sie auf dem Lande zubringen, in das¬
laute
aber jetzt, vor ihrem geahnten Tode, selber ver¬
selbe Mädchen. Sie heißt Gabriele, ist einfacher
Fid
steht und verzeiht, macht sie uns schon zweifel¬
Leute Kind, schön und unerfahren. Wegrath ver¬
er er
hafter. Wir dürfen ihrer Vergangenheit recht
lobt sich mit ihr. Aber da er nach Fichtners
Gabr
geben, sie sollte es besser nicht. Das Wort ihres
Meinung zu derlei Schicksalen geboren scheint, ver¬
faule
Arztes: „Glücklich machen ist besser als schuld¬
führt ihm kurz vor der Hochzeit der Freund das
selbst
los sein“, das ist ganz gewiß eine Wahrheit; aber
Mädchen, will sie entführen und läßt sie im letzten
einen
eine recht allgemeine, recht sentenziöse Wahrheit
Augenblick im Stich. Sie ist verzweifelt, natürlich,
dem
von der wir keineswegs überzeugt sind, daß
aber sie beruhigt sich und heiratet nach acht Tagen
hält,
sie auf den vorliegenden Fall paßt. Denn wir
Wegrath, der zu derlei Schicksalen bestimmt scheint.
dem
müssen fragen: kann eine Frau, die in dieser
Der Knabe, den sie zur Welt bringt, kann, bei der
er no
Weise schuldig ist, glücklich machen? Ich glaube,
vorsichtigen Verteilung der Zeit, ohne weiteres
sie kann es. Aber sie kann es nur in einer Sphäre
Auch
als Sproß der jungen Ehe gelten.
Schaf
seelischer Dumpfheit, unter Lebensverhältnissen,
Das ist ein Zötlein; graziös dargestellt, mag
sagen
wo das Verantwortungsgefühl der Menschen sich
es dieselbe Schadenfreude erregen wie der Ge¬
fünft
an realeren Dingen erprobt als an Seelen¬
prellte und Hahnrei in der Komödie. Es gehört
es sich
erlebnissen. Wir meinen also, daß alle Voraus¬
in eine Lebenssphäre, die durch sittliche Haar¬
setzungen Schnitzlers gut und richtig sein würden,
jung
spaltereien noch nicht bekümmert ist; das ist noch
wenn sie nur nicht die Voraussetzungen zu einem
in de
die Sphäre des Spiels; wir freuen uns zu¬
Drama sein sollten.
sogar
zusehen; es gibt nur das eine Recht: das Recht
gibt;
Die Verirrung wird noch deutlicher. Frau
des Stärkeren und des Schlaueren. Fallen wir
geht
Gabriele stirbt, und ungefähr um die Zeit ihres
aber aus dem Stande der Unschuld und fühlen
Leben
Todes findet sich ihr Jugendgeliebter, Julian
uns vom Gewissen bedrängt, so bekommt die ver¬
ist u
Fichtner, wieder ein. Der ist in der Welt herum¬
gnügliche Geschichte ein sehr abscheuliches Aus¬
gekommen, leidenschaftlich genießend, immer auf
sehen. Hier hat es Schnitzler versehen, und es wird
weise
der Suche, und schließlich immer auf der Flucht.
alles schief und verzerrt bei ihm, weil er die Ver¬
Kun
Seine Begabung hat nicht gehalten, was sie ver¬
änderung der Perspektive nicht beachtete.
die A
sprochen hat. Die Kunst war spröde, das Leben
Wegraths Ehe ist glücklich; außer dem ersten
und
war es nicht. Aber der Trank, den es ihm bietet,
Kinde, Felix, wird ihm ein Mädchen, Johanna,
dami
fängt an, ihm schal zu schmecken; die Kraft verläßt
geboren; die Kinder sind ihm nicht ferner, als
mals
ihn, die Elastizität wird geringer, und so, nicht
dies im Durchschnitt gewöhnlich ist; die Frau
Haa#
weit davon, als triste cochon den Kopf in
liebt er mit stets sich gleich bleibender Zärtlich¬
verd
Aschermittwochsstimmung hängen zu lassen, sucht
keit. Die Jahre vergehen, die Kinder sind groß,
den
er sich eine Heimat bei seinem Kinde. Er entdeckt
der Sohn Offizier, Johanna eben zur Jungfrau
sond
erwacht. Die Frau wird krank und fühlt ihr Ende dem Felix, daß er sein Sohn sei. Felix, der zu
nahen. Sie blickt auf ihr Leben zurück und sie Fichtner bisher das schöne Verhältnis des jungen
Sie
Menschen zum älteren Freunde gehabt hat, fühlt
findet keine Schuld darin; sie bereut nichts; sie
schau
sich verwirrt; das Geständnis nähert ihn nicht,
läßt sich's von ihrem Arzt bestätigen, daß „glück¬
Fnüp
sondern entfernt ihn innerlich vom leiblichen
lich machen besser ist als schuldlos sein“.
führ
Schon bier stutzen wir. Wir finden: daß die Vater.