II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 159

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18. Dereinsn

der eine — Julian Fichtner — genialisch, lebens= Frau in ihrer Jugend sich einer stürmischeren
Leidenschaft hingegeben hat, ja, daß sie mit der
und freiheitsdurstig, der andere — Wegrath —
st.
Lüge in Leib und Seele eine Ehe eingegangen
ein korrekter Arbeiter, ernster, etwas simpler,
ist, das ist menschlich, und wir sind keine
gütiger Mensch, verlieben sich während der
Pharisäer; wir verstehen und verzeihen. Daß sie
Ferien, die sie auf dem Lande zubringen, in das¬
nitzler.
aber jetzt, vor ihrem geahnten Tode, selber ver¬
selbe Mädchen. Sie heißt Gabriele, ist einfacher
steht und verzeiht, macht sie uns schon zweifel¬
Leute Kind, schön und unerfahren. Wegrath ver¬
hafter. Wir dürfen ihrer Vergangenheit recht
Schnitzlers
lobt sich mit ihr. Aber da er nach Fichtners
geben, sie sollte es besser nicht. Das Wort ihres
Schnitzlers
Meinung zu derlei Schicksalen geboren scheint, ver¬
Arztes: „Glücklich machen ist besser als schuld¬
kaphisches,
führt ihm kurz vor der Hochzeit der Freund das
los sein“, das ist ganz gewiß eine Wahrheit; aber
präzisiert,
Mädchen, will sie entführen und läßt sie im letzten
eine recht allgemeine, recht sentenziöse Wahrheit
fast bei¬
Augenblick im Stich. Sie ist verzweifelt, natürlich,
von der wir keineswegs überzeugt sind, daß
en Weg“
aber sie beruhigt sich und heiratet nach acht Tagen
sie auf den vorliegenden Fall paßt. Denn wir
onen Be¬
Wegrath, der zu derlei Schicksalen bestimmt scheint.
müssen fragen: kann eine Frau, die in dieser
gauf, ver¬
Der Knabe, den sie zur Welt bringt, kann, bei der
Weise schuldig ist, glücklich machen? Ich glaube,
der, ver¬
vorsichtigen Verteilung der Zeit, ohne weiteres
sie kann es. Aber sie kann es nur in einer Sphäre
#uirch wird
als Sproß der jungen Ehe gelten.
seelischer Dumpfheit, unter Lebensverhältnissen,
der Ein¬
Das ist ein Zötlein; graziös dargestellt, mag
wo das Verantwortungsgefühl der Menschen sich
n die des
es dieselbe Schadenfreude erregen wie der Ge¬
an realeren Dingen erprobt als an Seelen¬
Hand un¬
prellte und Hahnrei in der Komödie. Es gehört
erlebnissen. Wir meinen also, daß alle Voraus¬
an Ibsen
in eine Lebenssphäre, die durch sittliche Haar¬
setzungen Schnitzlers gut und richtig sein würden,
Schnitzler
spaltereien noch nicht bekümmert ist; das ist noch
wenn sie nur nicht die Voraussetzungen zu einem
efühlt, zu
die Sphäre des Spiels; wir freuen uns zu¬
Drama sein sollten.
rwar zu
zusehen; es gibt nur das eine Recht: das Recht
t dadurch
Die Verirrung wird noch deutlicher. Frau
des Stärkeren und des Schlaueren. Fallen wir
Aber
e Gültig¬
Gabriele stirbt, und ungefahr um die Zeit ihres
aber aus dem Stande der Unschuld und fühlen
er seine
Todes findet sich ihr Jugendgeliebter, Julian
uns vom Gewissen bedrängt, so bekommt die ver¬
eflexionen
Fichtner, wieder ein. Der ist in der Welt herum¬
gnügliche Geschichte ein sehr abscheuliches Aus¬
Siege wie
gekommen, leidenschaftlich genießend, immer auf
sehen. Hier hat es Schnitzler versehen, und es wird
Ingelegen¬
der Suche, und schließlich immer auf der Flucht.
alles schief und verzerrt bei ihm, weil er die Ver¬
Herz jedes
Seine Begabung hat nicht gehalten, was sie ver¬
änderung der Perspektive nicht beachtete.
mittelbar
sprochen hat. Die Kunst war spröde, das Leben
Wegraths Ehe ist glücklich; außer dem ersten
sprüngliche
war es nicht. Aber der Trank, den es ihm bietet,
Kinde, Felix, wird ihm ein Mädchen, Johanna,
ggessen zu
fängt an, ihm schal zu schmecken; die Kraft verläßt
geboren; die Kinder sind ihm nicht ferner, als
en sie doch
ihn, die Elastizität wird geringer, und so, nicht
dies im Durchschnitt gewöhnlich ist; die Frau
stler und
weit davon, als triste cochon den Kopf in
liebt er mit stets sich gleich bleibender Zärtlich¬
s die des
Aschermittwochsstimmung hängen zu lassen, sucht
keit. Die Jahre vergehen, die Kinder sind groß,
Matur als
er sich eine Heimat bei seinem Kinde. Er entdeckt
der Sohn Offizier, Johanna eben zur Jungfrau
rz zu der
dem Felix, daß er sein Sohn sei. Felix, der zu
erwacht. Die Frau wird krank und fühlt ihr Ende
Fichtner bisher das schöne Verhältnis des jungen
nahen. Sie blickt auf ihr Leben zurück und sie
dem Kon¬
Menschen zum älteren Freunde gehabt hat, fühlt
findet keine Schuld darin; sie bereut nichts; sie
bildet, in
sich verwirrt; das Geständnis nähert ihn nicht,
läßt sich's von ihrem Arzt bestätigen, daß „glück¬
t sie durch
sondern entfernt ihn innerlich vom leiblichen
lich machen besser ist als schuldlos sein“.
ust befreit,
Künstler, Schou bier stutzen wir. Wir finden: daß die Vater.
Merkwürdig ist freilich, daß dieser Sohn vor¬
urteilslos genug ist, mit seiner toten Mutter
keinen Hader anzufangen (wie tief und wahr ist
doch Jacobsens Frau Fönß!). Sie sind überhaupt
sehr vorurteilslos, die Leute in diesem Stück,
lauter moralische Snobs, moralische Preziösen.
Fichtner will sich seinen Sohn erkämpfen, und
er erklärt ihm, wie damals zwischen ihm und
Gabriele alles gekommen sei. Und hier ist die
faule Stelle des Dramas, von der aus es sich
selbst zerstört. Dieser Julian Fichtner, der sich für
einen Künstler und, innerhalb der Grenzen, die
dem Künstler gesteckt sind, anständigen Menschen
hält, erzählt nach fast einem Vierteljahrhundert
dem Kinde seines Betruges diesen Betrug, als sei
er noch derselbe junge, blinde Fant von ehemals.
Auch er bereut nichts, auch er weiß nichts von
Scham. Und hier, wie bei der Frau, müssen wir
sagen: wir können ihm verzeihen, was er vor
fünfundzwanzig Jahren getan hat; daß er selbst
es sich verzeiht, daß er mit dem. Phrasengewäsch
junger Kaffeehausläufer seinem eigenen Kinde
in den Ohren liegt, ist unerträglich. Möglich,
sogar wahrscheinlich, daß es Menschen dieser Art
gibt; aber was die miteinander abzumachen haben,
geht uns nichts an; die Besinnung über das
Leben, die aus ihren Konflikten aufschimmert,
ist unschöpferisch.
Und doch ist es wohl so, daß hier irrtümlicher¬
weise ein ethisches Urteil gefällt wird, wo ein
Kunstfehler vorliegt. Der Dichter hatte nötig,
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die Vorgeschichte in ihren Einzelheiten mitzuteilen,
und er wußte dieses nicht indirekt zu machen. Nur
damit wir erfahren, wie sophistisch Julian ehe¬
mals dachte und handelte, muß er mit grauen
Haaren dasselbe in fünfundzwanzig Jahren nicht
verdächtigte Sophisma vortragen. Daß Feliz
den kläglichen Argumenten nicht weicht, ist kein
sonderlicher Ruhm für ihn...
Es geht neben dieser eine zweite Handlung.
Sie ist ohne Problem, seltsam und schön anzu¬
schauen, voll Zwielicht. Ihre ursächliche Ver¬
knüpfung mit der ersten ist lose, und ihre Aus¬
führung mehr andeutend als eneroisch. Doch ister