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Noch mag es erwähntsein, daß Edward B. Koster das scheint die Handlung allzu dünn, zu wenig umkleidet sich fort¬
man
n Eindruck, daß
zuspinnen. Und mehr als all 8#
Eschwierige Werk unternommen hat, den ganzen Shakespeare in
die dramatische Form als solche für diesen Stoff nur Zufalls¬
Pholländische Derse zu übertragen und so der holländische Schlegel
wahl und daß diese launische Entscheidung keine glückliche
zu werden. Bis jetzt liegt erst „Macbeth“ und ein Teil von
gewesen.
„Othello“ gedruckt vor, der Schluß von „Othello“, der „Kauf¬
Mehr Ofrcholog als Charakteristiker sieht Schnitzler die
mann von Denedig" und „Antonius und Kleopatra“ sind an¬
gekündigt. Es ist, so viel sich ersehen läßt, eine äußerst sorg¬
Nuancen mehr als die Unterschiede. Seiner Ohantasie drängt
fältige Arbeit, nicht selten noch genauer sich an das Original
sich nicht ein Einfaches auf, sondern das Mannigfaltige. Der
anschließend als es das Deutsche gestattet, und hierzu kommt
einsame Weg wird ihm zu einsamen Wegen. Das sind die
noch, daß Koster das Englische wie seine Muttersprache be¬
Pfade derer, die nur sich selbst leben, kein Opfer zu bringen
herrscht und nicht anders als in ihr englische Derse schreibt.
vermögen, selbst in ihrem Lieben nur die eigene Befriedigung
Uebersetzer, die das können, sind selten.
suchen. Die Tragödie des Sichselbstlebens wollte Schnitzler ge¬
stalten. Aber die einsamen Wege, die er vor sich sieht, führen
Alles in allem ist Edward B. Koster einer jener tüchtigen
nicht alle zu dem gleichen Ziel, und die sie begehen, tun es in
Dichter, die ihre Kunst zu ernst nehmen, um sie der Mode
verschiedener Weise. Inmitten der Bahn brechen die einen zu¬
untertan zu machen, ein rechter Nachfolger des Dichterkreises,
sammen, müde schleppen sich andere fort, erhobenen Hauptes
der sich auf Schloß Muiden versammelte, Hooft, Dondel und
legt ein dritter den Weg bis zum Ende zurück. Der einsame
Bredero, anders in seiner Art und auch nach seinem Schaffens¬
Weg also, der dort ins Derderben führt, scheint hier der natur¬
gebiete, aber von der gleichen Liebe zu seinem Lande beseelt,
gebotene. Man ermißt schon aus diesen kargen Andeutungen die
das auch sie nicht müde wurden zu preisen, stets ehrlich in
Weite des Gesichtsfeldes, die Mannigfaltigkeit der Anschauung;
seinem Ausdruck, allem Scheine abhold. Man darf Koster,
aber man fühlt auch das zersetzende Etwas, das den Nahmen
wenig er von sich reden macht, doch zu den für die holländische
des Dramas sprengen wird.
Literatur unserer Zeit typischen Vertretern zählen.
Neben die Handlung muß eine Parallelhandlung treten,
und schon das ist nicht gut. Sie ist (abgesehen von der gedank¬
Otto Hauser.
Wien.
lichen Einheit) rein äußerlich mit der dramatischen Fabel ver¬
knüpft: ein Geschwisterpaar steht im Mittelpunkt der Geschehnisse.
So, daß der eine Teil, die Schwester, den einsamen Weg geht,
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der Bruder den Lebenspfad eines dritten zum einsamen Wege
macht. Die Fäden beginnen sich hier schon zu wirren.
Der Bruder erfährt, daß der Mann, der ihm zeit
seines Lebens als Dater gegolten, der Gatte seiner Mutter,
Theater.
nicht zugleich sein leiblicher Dater ist. In einem ge¬
alterten Maler tritt ihm der andere entgegen, dem er
Deutsches Theater: „Der einsame Weg.“ Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
sein Leben verdankt. Und dieser Maler ist vereinsamt, er, der
in jungen Tagen nie nach dem Sohn gefragt, ersehnt jetzt
on einer Reise ins alte Baktrien und Ausgrabungen zur
seine Liebe, hofft im Beisammensein mit ihm seinem verspielten
Hebung Ekbatanas ist im „Einsamen Weg“ die Rede.
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Leben neue Kräfte zuzuführen. Aber diese Hoffnung lügt ihm.
„Denken Sie, unter dem Schutt und Staub vermutet
In zwei pfrchologisch feinen, stimmungsvollen Szenen hat
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man eine Riesenstadt. Damals sind sie in einen
Schnitzler die entscheidende Schicksalswendung gestaltet. Der
Palast hinuntergestiegen und haben die wundervollsten
junge Mkann zieht sich in gesundem Empfinden von dem zurück,
Malereien gefunden. Und Stufen haben sie ausgeschaufelt;
der ihm nur eben das nackte Leben gegeben, sein Herz fliegt
aus einem Mlarmor, der sonst nirgends gefunden wurde. Drei¬
dem andern zu, der seiner Mlutter der treue Gatte, ihm selbst
hundertzwölf Stufen, glänzend wie Opale, die in eine unbekannte
der liebende Erzieher gewesen. Die eigentliche Handlung des
Tiefe hinabführen...“
Dramas ist darin gegeben.
Ueber Arthur Schnitzlers neues Drama „Der einsame
Die Schwester ist selbst eine einsame Natur. Auch sie lebt
Weg“*) schreiben, heißt selbst einen Hauch von solcher Entdecker¬
nur ihren Wünschen, und die fliegen tollem Genießen zu. Das
freude spüren. Es hat etwas von jener versunkenen Stadt;
Schicksai führt sie einem Mann entgegen, der ihr gleicht.
nur mit Mühe wird man gewahr, daß Schätze verborgen im
Kurzes Liebesglück ist ihnen beschieden, dann der Tod. Und
Boden ruhen. Auf der Bühne zumal tritt nur weniges in Er¬
nicht einmal den Todesweg gehen diese beiden Einsamen Band in
scheinung, dies wenige zusammenhanglos. Aber man lebt sich
Hand. Sie geht ihm voran, weil es ihr unerträglich, den Cod¬
ein, und überzeugt sich, daß diese Stadt eine weite. Es fehlt
gezeichneten leiden zu sehen; aber auch unmöglich, sich von ihm
auch nicht an Stufen, glänzend wie Opale, die in die Tiefe
loszusagen; nun sie gegangen, hat er sich die kurze Lebensfrist
führen.
noch kürzer zu stecken.
Warum ist es Schnitzler nicht gelungen, die Stadt seiner
Neben den erstgezeichneten Handlungsfäden laufen diese
dichterischen Intuition zu heben? Dielleicht, weil er das Leben
letzteren einher. Und es sind stärkere Empfindungswellen,
zu vielfältig sieht und zu nnancenreich. Die Farben stellen sich
tragische Schauer, die die Nebenhandlung über die eigentliche
ihm so nebeneinander, daß die Uebergänge verschwimmen. Die
Handlung des Dramas erheben. Dazu eine dritte Schicksals¬
Charaktere rufen ihr Widerspiel nicht in scharfen Kontrasten,
perspektive, die sich in einer Episodenfigur, einer gealterten Schau¬
sondern in leichten pfrchologischen Abweichungen hervor. Seine
spielerin, eröffnet. Und nicht einmal ein Aeußerstes an dramatischer
Menschen handeln nicht, sie spielen und leiden. Die Fabel des
Verfehlung ist Schnitzler, dem Dramatiker, in diesem „Einsamen
Dramas läuft, nur schwach bedingt, neben den Tharakteren
Weg“ erspart geblieben: das Geschwisterpaar, das im Mittel¬
einher. Schnitzler fehlt die resolute Hand, die überflüssigen
punkt der Geschehnisse steht, befindet sich durchaus nicht zugleich
Schößlinge seiner Phantasie zu tilgen. Auch in seinem neuen
im Brennpunkt des Interesses. Dem gealterten Aaler und dem
Drama wächst neben der Handlung eine Nebenhandlung auf
Mann, der die Schwester an sich zieht, fliegt die Teilnahme zu.
und überschattet sie. Hier fehlen wichtige Auftritte, dort gibt's
Damit ist äußerlich wie innerlich, gedanküch wie seelisch alles
der Szenen zu viel. Bald überwuchert die Reflexion, bald
verschüttet, woraus sich dramatische Kunstform auferbauen ließe.
Ein Nebeneinander ohne Gliederung, ohne Architektonik. Etwas
wie eine versunkene, nur teilweise gehobene Stadt.
*) Das Buch ist im Verlag von S. Fischer, Berlin erschienen.
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Noch mag es erwähntsein, daß Edward B. Koster das scheint die Handlung allzu dünn, zu wenig umkleidet sich fort¬
man
n Eindruck, daß
zuspinnen. Und mehr als all 8#
Eschwierige Werk unternommen hat, den ganzen Shakespeare in
die dramatische Form als solche für diesen Stoff nur Zufalls¬
Pholländische Derse zu übertragen und so der holländische Schlegel
wahl und daß diese launische Entscheidung keine glückliche
zu werden. Bis jetzt liegt erst „Macbeth“ und ein Teil von
gewesen.
„Othello“ gedruckt vor, der Schluß von „Othello“, der „Kauf¬
Mehr Ofrcholog als Charakteristiker sieht Schnitzler die
mann von Denedig" und „Antonius und Kleopatra“ sind an¬
gekündigt. Es ist, so viel sich ersehen läßt, eine äußerst sorg¬
Nuancen mehr als die Unterschiede. Seiner Ohantasie drängt
fältige Arbeit, nicht selten noch genauer sich an das Original
sich nicht ein Einfaches auf, sondern das Mannigfaltige. Der
anschließend als es das Deutsche gestattet, und hierzu kommt
einsame Weg wird ihm zu einsamen Wegen. Das sind die
noch, daß Koster das Englische wie seine Muttersprache be¬
Pfade derer, die nur sich selbst leben, kein Opfer zu bringen
herrscht und nicht anders als in ihr englische Derse schreibt.
vermögen, selbst in ihrem Lieben nur die eigene Befriedigung
Uebersetzer, die das können, sind selten.
suchen. Die Tragödie des Sichselbstlebens wollte Schnitzler ge¬
stalten. Aber die einsamen Wege, die er vor sich sieht, führen
Alles in allem ist Edward B. Koster einer jener tüchtigen
nicht alle zu dem gleichen Ziel, und die sie begehen, tun es in
Dichter, die ihre Kunst zu ernst nehmen, um sie der Mode
verschiedener Weise. Inmitten der Bahn brechen die einen zu¬
untertan zu machen, ein rechter Nachfolger des Dichterkreises,
sammen, müde schleppen sich andere fort, erhobenen Hauptes
der sich auf Schloß Muiden versammelte, Hooft, Dondel und
legt ein dritter den Weg bis zum Ende zurück. Der einsame
Bredero, anders in seiner Art und auch nach seinem Schaffens¬
Weg also, der dort ins Derderben führt, scheint hier der natur¬
gebiete, aber von der gleichen Liebe zu seinem Lande beseelt,
gebotene. Man ermißt schon aus diesen kargen Andeutungen die
das auch sie nicht müde wurden zu preisen, stets ehrlich in
Weite des Gesichtsfeldes, die Mannigfaltigkeit der Anschauung;
seinem Ausdruck, allem Scheine abhold. Man darf Koster,
aber man fühlt auch das zersetzende Etwas, das den Nahmen
wenig er von sich reden macht, doch zu den für die holländische
des Dramas sprengen wird.
Literatur unserer Zeit typischen Vertretern zählen.
Neben die Handlung muß eine Parallelhandlung treten,
und schon das ist nicht gut. Sie ist (abgesehen von der gedank¬
Otto Hauser.
Wien.
lichen Einheit) rein äußerlich mit der dramatischen Fabel ver¬
knüpft: ein Geschwisterpaar steht im Mittelpunkt der Geschehnisse.
So, daß der eine Teil, die Schwester, den einsamen Weg geht,
241
der Bruder den Lebenspfad eines dritten zum einsamen Wege
macht. Die Fäden beginnen sich hier schon zu wirren.
Der Bruder erfährt, daß der Mann, der ihm zeit
seines Lebens als Dater gegolten, der Gatte seiner Mutter,
Theater.
nicht zugleich sein leiblicher Dater ist. In einem ge¬
alterten Maler tritt ihm der andere entgegen, dem er
Deutsches Theater: „Der einsame Weg.“ Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
sein Leben verdankt. Und dieser Maler ist vereinsamt, er, der
in jungen Tagen nie nach dem Sohn gefragt, ersehnt jetzt
on einer Reise ins alte Baktrien und Ausgrabungen zur
seine Liebe, hofft im Beisammensein mit ihm seinem verspielten
Hebung Ekbatanas ist im „Einsamen Weg“ die Rede.
1
Leben neue Kräfte zuzuführen. Aber diese Hoffnung lügt ihm.
„Denken Sie, unter dem Schutt und Staub vermutet
In zwei pfrchologisch feinen, stimmungsvollen Szenen hat
1
man eine Riesenstadt. Damals sind sie in einen
Schnitzler die entscheidende Schicksalswendung gestaltet. Der
Palast hinuntergestiegen und haben die wundervollsten
junge Mkann zieht sich in gesundem Empfinden von dem zurück,
Malereien gefunden. Und Stufen haben sie ausgeschaufelt;
der ihm nur eben das nackte Leben gegeben, sein Herz fliegt
aus einem Mlarmor, der sonst nirgends gefunden wurde. Drei¬
dem andern zu, der seiner Mlutter der treue Gatte, ihm selbst
hundertzwölf Stufen, glänzend wie Opale, die in eine unbekannte
der liebende Erzieher gewesen. Die eigentliche Handlung des
Tiefe hinabführen...“
Dramas ist darin gegeben.
Ueber Arthur Schnitzlers neues Drama „Der einsame
Die Schwester ist selbst eine einsame Natur. Auch sie lebt
Weg“*) schreiben, heißt selbst einen Hauch von solcher Entdecker¬
nur ihren Wünschen, und die fliegen tollem Genießen zu. Das
freude spüren. Es hat etwas von jener versunkenen Stadt;
Schicksai führt sie einem Mann entgegen, der ihr gleicht.
nur mit Mühe wird man gewahr, daß Schätze verborgen im
Kurzes Liebesglück ist ihnen beschieden, dann der Tod. Und
Boden ruhen. Auf der Bühne zumal tritt nur weniges in Er¬
nicht einmal den Todesweg gehen diese beiden Einsamen Band in
scheinung, dies wenige zusammenhanglos. Aber man lebt sich
Hand. Sie geht ihm voran, weil es ihr unerträglich, den Cod¬
ein, und überzeugt sich, daß diese Stadt eine weite. Es fehlt
gezeichneten leiden zu sehen; aber auch unmöglich, sich von ihm
auch nicht an Stufen, glänzend wie Opale, die in die Tiefe
loszusagen; nun sie gegangen, hat er sich die kurze Lebensfrist
führen.
noch kürzer zu stecken.
Warum ist es Schnitzler nicht gelungen, die Stadt seiner
Neben den erstgezeichneten Handlungsfäden laufen diese
dichterischen Intuition zu heben? Dielleicht, weil er das Leben
letzteren einher. Und es sind stärkere Empfindungswellen,
zu vielfältig sieht und zu nnancenreich. Die Farben stellen sich
tragische Schauer, die die Nebenhandlung über die eigentliche
ihm so nebeneinander, daß die Uebergänge verschwimmen. Die
Handlung des Dramas erheben. Dazu eine dritte Schicksals¬
Charaktere rufen ihr Widerspiel nicht in scharfen Kontrasten,
perspektive, die sich in einer Episodenfigur, einer gealterten Schau¬
sondern in leichten pfrchologischen Abweichungen hervor. Seine
spielerin, eröffnet. Und nicht einmal ein Aeußerstes an dramatischer
Menschen handeln nicht, sie spielen und leiden. Die Fabel des
Verfehlung ist Schnitzler, dem Dramatiker, in diesem „Einsamen
Dramas läuft, nur schwach bedingt, neben den Tharakteren
Weg“ erspart geblieben: das Geschwisterpaar, das im Mittel¬
einher. Schnitzler fehlt die resolute Hand, die überflüssigen
punkt der Geschehnisse steht, befindet sich durchaus nicht zugleich
Schößlinge seiner Phantasie zu tilgen. Auch in seinem neuen
im Brennpunkt des Interesses. Dem gealterten Aaler und dem
Drama wächst neben der Handlung eine Nebenhandlung auf
Mann, der die Schwester an sich zieht, fliegt die Teilnahme zu.
und überschattet sie. Hier fehlen wichtige Auftritte, dort gibt's
Damit ist äußerlich wie innerlich, gedanküch wie seelisch alles
der Szenen zu viel. Bald überwuchert die Reflexion, bald
verschüttet, woraus sich dramatische Kunstform auferbauen ließe.
Ein Nebeneinander ohne Gliederung, ohne Architektonik. Etwas
wie eine versunkene, nur teilweise gehobene Stadt.
*) Das Buch ist im Verlag von S. Fischer, Berlin erschienen.