II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 168

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18. Der einsane Neg
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Bühne und Welt.
Monnen und Kaplan als vermeintliche Wahnsinnige und Gotteslästerin gezüchtigt werden soll,
war von wundervoller Kraft und alles Dirtnosenhafte, Effekthaschende abgestreift. Die übrigen
Rollen traten wenig hervor, unangenehm berührte das von der Regie gar zu wenig abgetönte
überlaute Klagen und Schreien der erschreckten Nonnen, und auch das Blumenwunder ließe sich
noch weit wirkungsvoller gestalten.
Aus dem Königl. Schauspielhause ist als erfreulicher Gewinn die Einstudierung von
Molières „Schule der Ehemänner“ in Fuldas trefflicher Verdeutschung zu vermelden; sie gab
vor allem Arthur Vollmer Gelegenheit in der Rolle des Sganarell eine neue feine Blüte seiner
Charakterkomik zu entfalten. An Vollmer bewundert man immer wieder von neuem, wie er es
versteht, solche eigenartige Känze nicht nur unserm Gelächter zu überliefern und unserm Spott.
sondern eihnen ein Restchen Spmpathie oder wenigstens Mitleid für den Gefoppten zu bewahren.
Eingeleitet wurde der Abend durch Ludwig Fuldas Einakter „Lästige Schönheit“, vermutlich eine
Jugendarbeit, eine Art Huldigung für Fuldas greisen Lehrmeister Jordan, der denselben Grund¬
gedanken in seinem graziösen Lustspiel „Durchs Ohr“ behandelt hat. Rudolf Presbers harmlos
zierliches Mondscheinscenchen „Herbstzauber“, das den Sprung vom Ueberbrettl auf die Hofbühne
ohne rechten Grund gewagt, machte den Beschluß.
Heinrich Stümcke.
Von den Wiener Theatern 1903/04.
un sieht man Rose Bernd, die Barfüßlerin, auch im rotgoldenen Prunkrahmen des
Hofburgtheaters ihre armseligen Schollen mit der Harke bearbeiten. Nun soll man
inmitten dieses festlichen Hauses, das für erlauchte Trauer und königliche Humore aus
kostbarem Gestein und funkelnden Erzen geformt ist, erbaulichen Anteil nehmen an den niedlich¬
derben Geschicken eines hilflosen Bauernmädchens und anderer Kreaturen, die mit ihren kleinen
Horizonten dummdreisten Staat treiben und vergeblich die Empfindung wecken möchten, daß der
Weltgeist oder Weltenschöpfer allen Ernstes über hinlänglich viel Zeit und Interesse verfügt, um
hinter ihren Schicksälchen her zu sein und ihre Kummertränklein mit göttlicher Korrektionssucht und
teuflischer Schadenfrende zu brauen. Im kleinsten Wassertropfen spiegelt sich die Gottheit — sagen
die Pantheisten. kein Hühnchen vermag ein Tröpflein Wassers zu schlucken, ohne seine winzigen
Augen zum Himmel aufzutun — sagen unsere pietißischen Lpriker sei: Gellerts Tagen in Fibeln
und Anthologien, wobei sie gemeiniglich „tun“ auf „Buhn“ reimen. Dieser wunderschöne Glaube,
der in den bedeutendsten Köpfen aller Zeiten und Zonen mit einer guten und ruhigen Flamme
gebrannt hat, mag seine unbedingte Schönheit und Richtigkeit haben. Man kann ihn sogar be¬
weisen. Aber dann wird man das Gefäß wählen müssen, das dem Inhalt entspricht und die
Absichten des Demonstrators fördert. Wer einen Wassertropfen sichtbar machen will, fange ihn
in einer Phiole oder in einem gläsernen Fingerhute auf und lasse den Apparat mit seinem
glitzernden Objekt von einem putzigen Zwerg an den Leuten vorübertragen. Wer darlegen will,
daß selbst im Tröpflein Gott wirksam ist, wird sich also zu einem Gedicht oder zu einem nach¬
denklichen Märchen oder zu einer knappen Novelle oder zu einer theoretischen Abhandlung be¬
quemen müssen. Wer aber dramatische Triebe fühlt und die gewaltige Resonanz der Bühne als
schöpferisches Mittel benutzt, wird die allgegenwärtige Gottheit nicht in der beschränkten Existenz
eines Wassertropfens suchen und aufzeigen dürfen. Er wird vielmehr jenes letzte und größte
Ausdehnungsstadium des Wassertropfens, das wir „Meer“ oder „Ozean“ nennen, in Betracht zu
ziehen haben. Denn wenn die Gottheit in jedem Tröpflein schläft oder lautlos tobt, dann schläft
und tobt sie in jedem Meer oder Ozean nicht minder — und es ist wahrhaftig nicht einzusehen,
warum wir uns für den Gott im Wassertropfen mehr und öfter interessieren sollen als für den
Gott im Weitmeer, den uns nur die wenigsten und nur die erlesensten Geister begreiflich zu
machen wissen, weil das Große im Großen viel schwerer bewältigt werden kann als das Große
im Kleinen, dem auch die schwächlichsten Köpfe bisweilen recht glimpflich beikommen, wenn sie
mit Fleiß, Geduld und Talent zu „liebevoller Betrachtung“ ausgerüstet sind. Daß selbst im
K