II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 169

box 23/1
18. Der einsane Neg
verwahrt sich dabei ebenso geschickt
gewiß kein Titane; aber die ernste
wie glücklich gegen den Einwand, daß
Arbeit an sich selbst, die ihn von
man sich damit an der allgemeinen
den lüsternen Tändeleien seiner litera¬
europäischen Kultur versündige. Ge¬
rischen Anfänge zu der ansehnlichen
rade wer sein eigenes Wesen am
Höhe des „Schleiers der Beatrice“
treuesten und kräftigsten ausbilde,
und neuerdings zu dem Schauspiel
diene am besten im Geist und in der
„Der einsame Weg“ bergan¬
Wahrheit der großen europäischen
führte, hätte ihn wohl vor der kal¬
Gesamtkultur. Erst wenn die Natio¬
ten, fast schnöden Ablehnung schüt¬
nalitäts= und Kunstbestrebungen Hand
zen sollen, die er bei der ersten Auf¬
in Hand dem gemeinsamen höheren
führung dieses seines letzten Dramas
Ziele zustrebten, erst dann seien die
im „Deutschen Theater“ erfahren
Bannerträger des Volkes auf dem
mußte. Freilich, das Drama an sich
rechten Wege. Die praktische Politik
wird schwer zu erteidigen sein. Was
all dieser nationalästhetischen Forde¬
Schnitzler über Irren und Sichnicht¬
rungen finden wir zusammengefaßt
verstehen, über lautes Leben und stilles
in dem großen, weitblickenden und
Sterben schönes und zartes zu sa¬
hochherzigen Aufsatz über „Die zwei
gen weiß, ist mehr empfunden als
Theater in Christiania“, den wir jetzt
beseelt, mehr gedacht als gestaltet.
zum ersten Male auch in deutscher
Es ist, als sähen wir diese Menschen
Sprache kennen lernen und der zur
alle gar nicht leibhaftig vor uns in
Folge hatte, daß die beiden Bühnen
Fleisch und Blut, sondern nur von
ein Jahr darauf (1862) tatsächlich
einem noch dazu oft recht trüben Spie¬
verschmolzen und damit dem natio¬
gel zurückgeworfen. Aber gerade diese
nalen Prinzip dienstbar gemacht wur¬
elegische Art der Darstellung, dieses
den. Daneben wird Ibsen auch in
reflektierende Licht, wird mir der
späteren Arbeiten nicht müde, gegen¬
Dichter einwenden, ist's, was ich
über der bloßen Wirklichkeits¬
will und suche. Gerade darin liegt
treue immer wieder die Hoheits¬
meine eigene Note, wenn man mir
rechte der inneren, symbolischen
nicht, was ich als dankbarer Schü¬
Wahrheit zu betonen, wie für das
ler des großen Meisters gelten lassen
Drama so auch für die Schauspiel¬
würde, Ibsens letzte symbolistische
kunst, als deren schönste und not¬
Werke, vor allem sein tiefsinniges
wendigste Tugend er die „Entsag¬
Abrechnungsdrama „Wenn wir To¬
ung“, die Enthaltsamkeit von allen
ten erwachen“ als Muster und Vor¬
künstlichen Effekten und „Dialog¬
bild anrechnen will. Ihr vermißt
machereien“ der Virtuosität rühmt.
die anschauliche Wirklichkeit, die un¬
E. D.
mittelbare Gegenwart in meinem
Cheater.
Stück. Aber was heißt denn das
eigentlich: Gegenwart? Stehen wir
# Berliner Theater.
denn mit dem Augenblick Brust an
Unsere Gegenwart ist noch immer
Brust, wie mit einem Freund, den
so arm an Persönlichkeiten, die ihre
wir umarmen, oder wie mit einem
Kunst auf eine Weltanschauung ab¬
Feind, der uns bedrängt? Ist das
zustimmen suchen, daß wir jedes
Wort, das eben verklang, nicht schon
sichtbare Bemühen danach wohl mit
Erinnerung? Gerade in erhöhten
etwas mehr Anerkennung und Auf¬
Augenblicken unsers Daseins wissen
munterung begrüßen sollten, als
wir, daß wir nichts verloren haben
wir es leider für gut finden. Ar— und eigentlich nichts verlieren kön¬
thur Schnitzler, der Wiener, ist nen... Wohl, könnten wir ihm dar¬
640
Kunstwart
auf antworten, auch bei Ibse
aus scheinbar belanglosen Ge
des Augenblicks unversehens
gangenheit herauf; aber w
kommen durchleuchten sich dan
und Jetzt, wie machtvoll gre
Räder ineinander und wie
End
lich geschlossen stehen
Gegenwart und Ver
heit
entrinnbarer Tragi
un
Und erst nachher erhebt sich d
den Menschen und über die
schen jenes Allgemeine und
das ihr Geschick mit dem #
verbindet und das, auch we
einzelne Fall mit seinen Be
heiten längst aus unserm
nis entschwunden ist, in
Größe unserer Vorstellung
bleibt. Bei Schnitzler ist das
kehrt: hier sehen wir zuerst d
gemeine, das Typische und Bl
und nur selten einmal gehen
stalten, die dann gleichsam
leg dafür an uns vorüberw
in die vorgezeichneten Umris
Unv noch etwas anderes ist d
zwischen dem Norweger un
Oesterreicher eine unüberst
Scheidewand aufrichtet. Den
lerschen Dramen fehlt die En
senheit, die Folgerichtigkeit
Kraft, die Dinge unerbittli
ans Ende durchzudenken und
zugestalten. Auf der Mitte des
übermannt ihn das Mitleidn
nen Geschöpfen, und er erteilt
Absolution, noch ehe sie recht
digt haben. Man weiß, wie o
gerne sich die Achse der Sch
schen Stücke um die Tragik od
ser um die Schwermut des St
dreht. Mit dem Sklaven Moh
in Heines Roman#ero könnten
Helden und Heldinnen sprechen
mein Stamm sind jene Asra,
sterben, wenn sie lieben.“ Abe
diese geschraubte Sentenz be
noch einer Variante. „Lieben
„Sterben“, in der ganzen
1. Märzheft 1904