II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 170

W
18. Der einsane
dabei ebenso geschickt
gewiß kein Titane; aber die ernste
en den Einwand, daß
Arbeit an sich selbst, die ihn von
tan der allgemeinen
den lüsternen Tändeleien seiner litera¬
iltur versündige. Ge¬
rischen Anfänge zu der ansehnlichen
eigenes Wesen am
Höhe des „Schleiers der Beatrice“
kräftigsten ausbilde,
und neuerdings zu dem Schauspiel
im Geist und in der
„Der einsame Weg“ bergan¬
großen europäischen
führte, hätte ihn wohl vor der kal¬
Erst wenn die Natio¬
ten, fast schnöden Ablehnung schüt¬
unstbestrebungen Hand
zen sollen, die er bei der ersten Auf¬
gemeinsamen höheren
führung dieses seines letzten Dramas
erst dann seien die
im „Deutschen Theater“ erfahren
es Volkes auf dem
mußte. Freilich, das Drama an sich
DDie praktische Politik
wird schwer zu verteidigen sein. Was
ialästhetischen Forde¬
Schnitzler über Irren und Sichnicht¬
wir zusammengefaßt
verstehen, über lautes Leben und stilles
weitblickenden und
Sterben schönes und zartes zu sa¬
fsatz über „Die zwei
gen weiß, ist mehr empfunden als
stiania“ den wir jetzt
beseelt, mehr gedacht als gestaltet.
e auch in deutscher
Es ist, als sähen wir diese Menschen
lernen und der zur
alle gar nicht leibhaftig vor uns in
die beiden Bühnen
Fleisch und Blut, sondern nur von
(1862)
chlich
einem noch dazu oft recht trüben Spie¬
damit
itio¬
gel zurückgeworfen. Aber gerade diese
enstbar
ur¬
elegische Art der Darstellung, dieses
ird Ibs
ich in
reflektierende Licht, wird mir der
i nicht
gegen¬
Dichter einwenden, ist's, was ich
Wir
keits¬
will und suche. Gerade darin liegt
wieder die Hoheits¬
meine eigene Note, wenn man mir
eren, symbolischen
nicht, was ich als dankbarer Schü¬
betonen, wie für das
ler des großen Meisters gelten lassen
für die Schauspiel¬
würde, Ibsens letzte symbolistische
schönste und not¬
Werke, vor allem sein tiefsinniges
er die „Entsag¬
Abrechnungsdrama „Wenn wir To¬
ltsamkeit von allen
ten erwachen“ als Muster und Vor¬
ten und „Dialog¬
bild anrechnen will. Ihr vermißt
Virtuosität rühmt.
die anschauliche Wirklichkeit, die un¬
E. D.
mittelbare Gegenwart in meinem
Stück. Aber was heißt denn das
eigentlich: Gegenwart? Stehen wir
r Theater.
denn mit dem Augenblick Brust an
vart ist noch immer
Brust, wie mit einem Freund, den
nlichkeiten, die ihre
wir umarmen, oder wie mit einem
Weltanschauung ab¬
Feind, der uns bedrängt? Ist das
, daß wir jedes
Wort, das eben verklang, nicht schon
n danach wohl mit
Erinnerung? Gerade in erhöhten
rkennung und Auf¬
Augenblicken unsers Daseins wissen
üßen sollten, als
wir, daß wir nichts verloren haben
gut finden. Ar¬
und eigentlich nichts verlieren kön¬
er, der Wiener, istnen... Wohl, könnten wir ihm dar¬
Kunstwart
box 23/1
ihrer Natur erfaßt, sind zwei Er¬
auf antworten, auch bei Ibsen steigt
scheinungen, deren unverhüllte Er¬
aus scheinbar belanglosen Gesprächen
habenheit ein Schnitzler so wenig er¬
des Augenblicks unversehens die Ver¬
tragen würde, wie Semele den Ju¬
gangenheit herauf; aber wie voll¬
piter im Blitz und Donner des Kro¬
kommen durchleuchten sich dann Einst
niden. Er muß sie „vermenschlichen“,
und Jetzt, wie machtvoll greifen die
was bei ihm so viel heißt, wie ver¬
Räder ineinander und wie einheit¬
kleinern und verzierlichen. Aus der
lich geschlossen stehen am Ende beide,
Liebe wird eine Liebelei, aus dem
Gegenwart und Vergangenheit, in un¬
Sterben ein Sterbeln, und der Dich¬
entrinnbarer Tragik vor uns auf!
ter stehi am Rosenbette des einen
Und erst nachher erhebt sich doch aus
wie am Dornenpfühl des andern, um
den Menschen und über die Men¬
Werden und Vergehen mit den ge¬
schen jenes Allgemeine und Ewige,
dämpften Lichtern schöner Gefühle
das ihr Geschick mit dem Weltlauf
zu illuminieren.
verbindet und das, auch wenn der
„Der einsame Weg“ klingt in sei¬
einzelne Fall mit seinen Besonder¬
ner Grundmelodie an den „Schleier
heiten längst aus unserm Gedächt¬
der Beatrice“ an. Die Wegraths in
nis entschwunden ist, in starrer
Wien sind wie die Nardi in Bologna.
Größe unserer Vorstellung erhalten
Sie scheinen nicht dazu geschaffen,
bleibt. Bei Schnitzler ist das umge¬
wirklich zu besitzen, weder Frau noch
kehrt: hier sehen wir zuerst das All¬
Kinder. Es ist ihnen gegönnt, Wesen
gemeine, das Typische und Bleibende,
in ihren Armen aufzunehmen, die
und nur selten einmal gehen die Ge¬
von irgend einer Leidenschaft müde
stalten, die dann gleichsam als Be¬
oder zerbrochen sind; aber sie ahnen
leg dafür an uns vorüberwandeln,
nicht, woher sie kommen. Sie mögen
in die vorgezeichneten Umrisse auf.
Wesen heranziehen oder betreuen;
Und noch etwas anderes ist da, was
aber sie verstehen nicht, wohin sie
zwischen dem Norweger und dem
gehen. Als der nüchterne, von ge¬
Oesterreicher eine unübersteigbare
nialen Anwandlungen wenig heimge¬
Scheidewand aufrichtet. Den Schnitz¬
suchte Maler die zarte Gabriele heim¬
lerschen Dramen fehlt die Entschlos¬
führte, ahnte er nicht, daß ihre über¬
senheit, die Folgerichtigkeit und die
rumpelte Mädchenseele unmittelbar
Kraft, die Dinge unerbittlich bis
vor der Hochzeit seinem genialen
ans Ende durchzudenken und durch¬
Freunde Julian Fichtner gehört hatte,
zugestalten. Auf der Mitte des Weges
wie er auch niemals erfährt, daß
übermannt ihn das Mitleid mit sei¬
der Sohn, den sie ihm im ersten
nen Geschöpfen, und er erteilt ihnen
Jahre ihrer glücklichen Ehe schenkt,
Absolution, noch ehe sie recht gesün¬
in Wahrheit nicht sein Kind, son¬
digt haben. Man weiß, wie oft und
dern das seines Freundes ist, der,
gerne sich die Achse der Schnitzler¬
heiß geliebt und selber tief beglückt,
schen Stücke um die Tragik oder bes¬
im entscheidenden Augenblick doch nicht
ser um die Schwermut des Sterbens
den Mut gefunden hat, die Freiheit
dreht. Mit dem Sklaven Mohammed
und Fülle seines Künstlerdaseins für
in Heines Romancero könnten seine
eine Frauenliebe aufs Spiel zu setzen.
Helden und Heldinnen sprechen: „Und
Erst als Gabriele gestorben ist und
mein Stamm sind jene Asra, welche
er selbst sich unter dem Schatten des
sterben, wenn sie lieben.“ Aber auch
nahenden Alters einsamer und ein¬
diese geschraubte Sentenz bedürfte
samer fühlt, macht Fichtner Vater¬
noch einer Variante. „Lieben“ und
„Sterben", in der ganzen Größe rechte auf seinen Sohngeltend, in¬
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1. Märzheft 1904