II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 172

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18. Der einsane Neg
Berliner Theaterkunst.
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leben und Akte dieser Künstler gaben uns den erfreulichen Beweis dafür.
daß die Berliner Sezession durchaus nicht mehr allein auf ihre bekannten
und berühmten „Matadore“ gestellt ist. Der Nachwuchs ist gesichert!
Berliner Theaterkunst.
Von Theodor Kappstein.
In den vergangenen Wochen sind an zwei Berliner Bühnen zwei
Dichtungen zur Erstaufführung gelangt, die in gleichem Grade undramatisch
genannt werden müssen, wie sie bei denjenigen Besuchern, die nicht „Masse“
sind, eine tiefgehende Wirkung ausgelöst haben. Ich spreche von Arthur
Schnitzlers Schauspiel: Der einsame Weg, und von Maurice
Maekerlincks Singspiel: Schwester Veatrix.
Der Wiener Schnitzler ist ein feinfühliger moderner Doet, dessen
Werke: Liebelei, Der Schleier der Beatrice, Lebendige Stunden und mehrere
Einakter seinen Namen als den eines berufenen Dramatikers festgelegt haben.
Seine Eigenart ist der Schleier des Symbols, sein Ziel das künstlerische
Bemühen, dem Leben auf seinen verschwiegenen Pfaden nachzugehen und
ihm seinen letzten Sinn abzulauschen. Er ist ein Gedankenpoet, der alle
grellen Beleuchtungen flieht und zarte Pastellkönungen bevorzugt, ein reicher
vornehmer Geist, der immer etwas Eigenes zu sagen hat. Darum eben kein
Dramatiker nach Publikums Geschmack, da er nicht mit groben Schlagern
handelt. Man kann seiner jüngsten Dichtung, ohne ein Prophet zu sein,
einen einsamen Weg über die Bühnen vorhersagen; zu den schon an¬
gedeuteten Mängeln, welche matt schimmernde Vorzüge sind, kommen diesmal
manche tatsächliche Anklarheiten der Linienführung hinzu und zwei recht bühnen¬
sorglose Aktschlüsse, die für das Stück geradezu gefährlich sind. Aber welch
feines Geflecht breitet sich vor uns aus in dieser Tragödie des Egoismus,
die jeden seiner Diener unerbittlich nötigt, in der Bahn seiner selbstischen
Eigenart einsam zu bleiben und einsam zu werden, während sich der eine,
der seine Tage in den Dienst der anderen stellt, durch solchen Opfergang
den Freund erringt für den einsamen Lebensabend, der nun nicht verein¬
samt ist.
Zwei Junggesellen stehen im Vordergrund der Handlung. Sie bestimmen
das Schicksal ihrer Amgebung. Julian Fichtner, ein Maler, hat in heißen
Jugendtagen die Braut seines Freundes Wegrath an sich gezogen; er wollte
mit ihr fliehen, daß sie für immer ihm gehöre; aber aus Egoismus, um sein
Leben nicht festzulegen, hat er sie sitzen lassen. Gabriele wurde des Be¬
trogenen Gattin, und Felix, das älteste der beiden Kinder des Kunstakademie¬
direktors, ist in Wahrheit Fichtners Sohn. Frau Gabriele hat ihrem Gatten
die sündige Stunde ihrer Maienblüte niemals eingestanden; sie wurde ihm
trotzdem eine gute Gattin und den Kindern eine gute Mutter. Jetzt sieht
sie ihr tätiges Leben im Sande verrinnen, sie erliegt einem organischen
Leiden. Dem Hausarzt lüftet sie das Geheimnis
er läßt sie ihren ein¬
samen Weg gehen mit dem Geleite: „Eine Lüge, die sich so stark erwiesen
hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so ver¬
ehrungswürdig als eine Wahrheit, die nichts anderes vermöchte, als das