II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 173

18. Der einsane Neg box 23/1
Kunstberichte.
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Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Gefühl der Gegenwart zu trüben
und die Betrachtung der Zukunft zu verwirren.“ Fichtner ist vom Leben
doppelt enttäuscht worden: sein Traum von Künstlerruhm ist ausgeträumt,
er kam nicht auf die Höhe des Erfolgs, und mitten im Lebensgenuß, der
ihn von einem Sinnenrausch zum andern führte, verschmachtet er vor Be¬
gierde. Nach langen Jahren ruhelosen Wanderns kehrt er nach Wien zurück,
nachdem er Felix schon in dessen Garnison in Salzburg aufgesucht hatte.
Er will ein dauerndes Glück sein eigen nennen, das er ohne Pein genießen
kann, er will in Reinheit geliebt sein. Nach Gabrieles Tode eröffnet er dem
jungen Offizier, daß er sein Vater ist; Felix, dem die sterbende Mutter
eine leise Andeutung gemacht, wehrt sich gegen diese brutale Neuigkeit,
die über ihn herfallen will, mit dem richtigen Instinkt des anständigen
Menschen: „Ihr Sohn — es ist nichts als ein Wort. Es klingt ins Leere.
Sie sind mir fremder geworden, seit ich es weiß.“ Denn, mit einer anderen
Stelle des Stücks zu reden, Fritz hat den Sinn für das Wesentliche und
er fühlt es, daß man sehr wenig für einen Menschen getan hat, wenn man
nichts tat, als ihn in die Welt setzen. Das dauerhafteste von Fichtners
übrigen Verhältnissen, die frühere Schauspielerin Irene, die sich jetzt ins
Landleben zurückgezogen, hat sich ein Stück Naturfrische bewahrt; auch sie
geht einen einsamen Weg, da ihre Sehnsucht nach einem Kinde infolge eines
Abenteuers während ihres Engagements ungestillt bleibt, und Fichtner
bekommt die Note von ihr: „Ach, das kann kein Mann verstehen; der beste
von euch ist in diesen Dingen noch immer eine Art von Schuft.“ An ihm
hat sie sich noch tiefer verloren, als mit ihm. Fichtners Seitenstück ist
Stefan von Sala, der Frau und Kind begraben hat, ein eingebildeter
Dichter, aber ein unabhängiger Lebekünstler. Ein überlegener Europäer,
klug und kühl. Er will sich einer Expedition nach Asien anschließen, um die
Wunder der baktrischen und medischen Grabungen mitzuerleben; die Ver¬
gangenheit aus der Tiefe ans Licht ziehen, daß sie seine Gegenwart werde
wie der heutige Tag und das Leben ihm nichts verberge. Ein raffinierter
Genüßling. Felix soll ihn begleiten als militärischer Beistand der Truppe,
und dessen Schwester Johanna bietet Sala an, als seine Frau ihm gleich¬
falls in die Ferne zu folgen. Dieses hysterische Mädchen mit einer hell¬
seherischen Anlage ist eine Ibsensche Figur; sie kostet das kommende Anheil
durch, ehe es da ist. Sie haßt die kranke Mutter, weil sie es nicht ertragen
kann, jemanden auf ihr Mitleid angewiesen zu sehen; sie wirft sich an Sala
weg, nachdem ihr der Arzt seinen nahen Tod gewiß gemacht hat — sie
ertränkt sich im Teich seines Darks am Morgen vor der verabredeten Reise.
Ein widerspruchsvolles, rätselhaftes Geschöpf, das in Schuld und Schicksal
seinen einsamen Weg wandelt. Ihr Verführer setzt eine Stunde später
eisig klar ebenfalls den Strich unter die Rechnung seines Lebens, er, der
durch sein Herzleiden ohnehin ein Todgeweihter gewesen ist.
Kurz zuvor hat er zwischen sich und Fichtner das Konto mit rücksichts¬
losem Cynismus dahin beglichen: „Wir haben niemandem gehört. Lieben
heißt für jemand andern auf der Welt sein. Ich sage nicht, daß es ein
wünschenswerter Zustand sei, aber wir waren beide sehr fern davon. Es
mag allerlei Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines, Leidenschaftliches
sein, das unsereiner als Liebe ausgibt, aber Liebe ist es doch nicht. Haben
wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinnlichkeit oder unsere