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18. Der einsane Neg
Arthur Schnitzlers neues Drama „Der einsame Weg“
ist ein typisch wienerisches Stück, wie ja das Wienertum
überhaupt für S.s Schaffen die entscheidende Färbung her¬
gibt. Dieses kraftlose ästhetisierende Genießen, wie es in
der Person des Herrn von Sala sich verkörpert, das ist,
nur etwas „modern“ frisiert, jene Lebensanschauung, um
derentwillen Wien den Namen das „Kapua der Geister“
erhalten hat. Und der Vertreter dieser Lebensanschauung in
S.s Stück ist auch insofern die Hauptperson, als keine der
übrigen Gestalten mit so viel innerer Anteilnahme und so
viel Liebe gezeichnet ist wie diese. Dem gegenüber ist die
Gestalt, die der Idee des Stückes nach die Hauptperson
sein sollte, der Maler Julian Fichtner nur ein Schemen
geblieben, weil solche Naturen, wie er eine gewesen sein
soll und auch trotz aller Resignation immer noch sein müßte,
der weichen Hand S.s nicht gelingen. Es ist nicht leicht
die Einyeit dieses Stückes zu erkennen, weil der Dichter
einige Nebenhandlungen eingehender ausgestaltet hat, als
es die Oekonomie des Werkes erlaubte. Am besten über¬
blickt man die Handlung, wenn man, vom Titel ausgehend,
dasSchicksal des Malers Julian Fichtner in den Mittel¬
punkt stellt. Er ist es, der die „Tragödie des einsamen
Weges“ durchleben muß, weil er es im Leben nie verstanden
hat, für andere zu leben, und weil er nicht stark genug ist,
um im Alter, als die Genußkräfte in ihm zu versiegen be¬
ginnen, allein zu stehen. Ihm gegenüber steht sein Freund
Stephan von Sala, ein anderer Typ des Genußmenschen,
der nicht, wie Fichtner, in unbekümmertem Drauflosstürmen
genossen, sondern mit der Raffiniertheit des überkultivierten
Menschen, dem keine Spur von unbefangener, unmittelbarer
Aufnahme der Lebenseindrücke mehr anhaftet, bei dem alles
erst den. Weg durch die Reflexion nehmen muß. In ihm
lebt kein Bedürfnis nach der Liebe anderer, und er würde
sich nicht vor dem einsamen Weg des Alters scheuen; wenn
er dennoch freiwillig von der Bühne des Lebens abtritt, so
geschieht es, um ein Leiden abzukürzen, das ihn bald über¬
wältigt haben würde. In dieser Gestalt liegt sehr viel
Feinheit und echtes Empfinden, aber wir dürfen auch nicht
die Züge übersehen, die dieser Schöngeist vom Räsonneur
des alten Dramas übernommen hat, wie denn der Dialog
mit seiner Fülle von geistvollen und zugespitzten Gedanken
mehr dem des französischen Dramas der Epoche Augier¬
Feuillet als dem der modernen Schule ähnelt. Laute ursprüng¬
lichen Empfindens werden sehr selten hörbar, zumeist ist jede
Empfindung erst dreimal destilliert und äußert sich erst in der
Form einer fast aphoristischen Redeweise. Auch von der
Technik Maeterlincks (die freilich im Grunde die aller Dichter
ist), macht Schnitzler Gebrauch, wenn er die Höhepunkte des
Dialogs in ein beredtes Schweigen, einen Blick, einen Hände¬
druck legt. Die Menschen dieses Stückes haben mitunter
eine Feinfühligkeit, sich aus Andeutungen und weniger als
Andeutungen zu verstehen, die, zumal auf der Bühne, schon
die Grenzen der Wahrscheinlichkeit übersteigt. Die Tragödie
ist also die Julian Fichtners. Der rücksichtslose Genießer
wird alt, und er fühlt das Bedürfnis nach sorgender Liebe.
Von seinem Sohn Felix erhofft er sie, der bis zu seinem
23. Jahre als Sohn des Akademiedirektors Prof. Wegrath
herangewachsen ist, ohne daß dieser oder er selbst oder gar
ein Fernstehender ahnten, daß er nicht Wegraths sondern
Fichtners Sohn ist. Nur Sala hat das Geheimuis erraten,
und dem treuen Arzt Dr. Reumann hat es die schwerkranke
Frau Gabriele Wegrath bekannt. Nach ihrem plötzlichen
Tode hat Fichtner doppelt das Gefühl der Einsamkeit, und
so beschließt er, Felix sich zu offenbaren. Die beiden Szenen,
in denen dieser aus Andeutungen Fichtners und aus letzten
Worten, die er von der kranken Mutter gehört, den Sach¬
verhalt erkennt, sind dichterisch sehr sein geraten. Felix
erfüllt die Hoffnungen seines Vaters nicht. Die Entdeckung
entfernt ihn vielmehr innerlich von Fichtner und nähert ihn
noch mehr als bisher dem Manne, den er bisher für seinen
Vater gehalten hat. So fällt diesem, dem treusorgenden
und aufopfernden Manne, die Liebe eines Sohnes zu, der
nicht sein Fleisch und Blut ist, und beide finden sich nach
herben Schicksalsschlägen zu einem neuen Leben zusammen.
Mit diesen bei aller Resignation doch nicht hoffnungsleeren
Tönen klingt das Stück aus. Die Liebe des fremden Sohnes
gewinnt Professor Wegrath, ohne um sie zu werben. Die
Liebe der eigenen Tochter aber hat er trotz allen Werbens
nicht zu erringen vermocht: Johanna, eine aus dem Geschlecht
jener rä.selhaften S.schen F#uen, deren Typ die „Frau mit
dem Dolche“ ist, ein Wesen voll dämmernder Ahnungen
und unverstandener Sehnsüchte, hat sich dem verführerischen
Herzensbezwinger Stephan von Sala zu eigen gegeben, und,
als sie die Gewißheit von seinem nahen Tode gewonnen
hat, ist sie ohne Zögern allein den „einsamen Weg“ zum
Hades gegangen. Für diese beiden, Sala und Johanna,
hat die Einsamkeit keine Schrecken, sie haben den Mut und
damit das Recht zu eigenem Handeln, den Fichtner nicht
findet. Und noch eine vierte Variation des Typus der
Genießer bringt das Stück: die Schauspielerin Irene Herms,
vor langen Jahren Julians Geliebte, kurz ehe er Gabriele
kennen lernte. Sie hat ein langes Leben des Genießens
zu einem Leben voll innerer Gesundung geführt. Sie wird
nie den einsamen Weg zu gehen brauchen, denn sie hat es
verstanden, Liebe zu gewinnen. Und auch auf der Seite
der „Gegenpartei“, wo wir den Professor Wegrath, Gabriele
und Felix finden, steht noch e## vierter der sein Leben in
Aufopferung lebt, der stille feine Dr. Reumann. So hat
jede der Hauptgestalten ihren bestimmten Platz im Stück,
nur daß die Handlungen, die sich um das Paar Sala¬
Johanna und um Julian=Irene schlingen, zu weit aus¬
gesponnen sind. Die eigentliche Tragödie, die Tragödie der
Einsamkeit, die Julian erlebt, hat unter dieser mangelhaften
Oekonomie gelitten. Der schöne Gedanke, mit dem Stephan
die Bühne des Lebens verläßt, daß jetzt ein anderes Ge¬
schlecht heranwächst, ein Geschlecht, das weniger Geist und
mehr Haltung besitzt, wird leider nur im Vorbeigehen an¬
geschlagen. Daß das Werk nicht bühnenwirksam sein kann,
dürfte aus der obigen Analyse ohne Weiteres hervorgehen. —
Die Breite des Dialogs kommt als weiteres Hemmnis dazu.
aritgieesinen Nicharde
18. Der einsane Neg
Arthur Schnitzlers neues Drama „Der einsame Weg“
ist ein typisch wienerisches Stück, wie ja das Wienertum
überhaupt für S.s Schaffen die entscheidende Färbung her¬
gibt. Dieses kraftlose ästhetisierende Genießen, wie es in
der Person des Herrn von Sala sich verkörpert, das ist,
nur etwas „modern“ frisiert, jene Lebensanschauung, um
derentwillen Wien den Namen das „Kapua der Geister“
erhalten hat. Und der Vertreter dieser Lebensanschauung in
S.s Stück ist auch insofern die Hauptperson, als keine der
übrigen Gestalten mit so viel innerer Anteilnahme und so
viel Liebe gezeichnet ist wie diese. Dem gegenüber ist die
Gestalt, die der Idee des Stückes nach die Hauptperson
sein sollte, der Maler Julian Fichtner nur ein Schemen
geblieben, weil solche Naturen, wie er eine gewesen sein
soll und auch trotz aller Resignation immer noch sein müßte,
der weichen Hand S.s nicht gelingen. Es ist nicht leicht
die Einyeit dieses Stückes zu erkennen, weil der Dichter
einige Nebenhandlungen eingehender ausgestaltet hat, als
es die Oekonomie des Werkes erlaubte. Am besten über¬
blickt man die Handlung, wenn man, vom Titel ausgehend,
dasSchicksal des Malers Julian Fichtner in den Mittel¬
punkt stellt. Er ist es, der die „Tragödie des einsamen
Weges“ durchleben muß, weil er es im Leben nie verstanden
hat, für andere zu leben, und weil er nicht stark genug ist,
um im Alter, als die Genußkräfte in ihm zu versiegen be¬
ginnen, allein zu stehen. Ihm gegenüber steht sein Freund
Stephan von Sala, ein anderer Typ des Genußmenschen,
der nicht, wie Fichtner, in unbekümmertem Drauflosstürmen
genossen, sondern mit der Raffiniertheit des überkultivierten
Menschen, dem keine Spur von unbefangener, unmittelbarer
Aufnahme der Lebenseindrücke mehr anhaftet, bei dem alles
erst den. Weg durch die Reflexion nehmen muß. In ihm
lebt kein Bedürfnis nach der Liebe anderer, und er würde
sich nicht vor dem einsamen Weg des Alters scheuen; wenn
er dennoch freiwillig von der Bühne des Lebens abtritt, so
geschieht es, um ein Leiden abzukürzen, das ihn bald über¬
wältigt haben würde. In dieser Gestalt liegt sehr viel
Feinheit und echtes Empfinden, aber wir dürfen auch nicht
die Züge übersehen, die dieser Schöngeist vom Räsonneur
des alten Dramas übernommen hat, wie denn der Dialog
mit seiner Fülle von geistvollen und zugespitzten Gedanken
mehr dem des französischen Dramas der Epoche Augier¬
Feuillet als dem der modernen Schule ähnelt. Laute ursprüng¬
lichen Empfindens werden sehr selten hörbar, zumeist ist jede
Empfindung erst dreimal destilliert und äußert sich erst in der
Form einer fast aphoristischen Redeweise. Auch von der
Technik Maeterlincks (die freilich im Grunde die aller Dichter
ist), macht Schnitzler Gebrauch, wenn er die Höhepunkte des
Dialogs in ein beredtes Schweigen, einen Blick, einen Hände¬
druck legt. Die Menschen dieses Stückes haben mitunter
eine Feinfühligkeit, sich aus Andeutungen und weniger als
Andeutungen zu verstehen, die, zumal auf der Bühne, schon
die Grenzen der Wahrscheinlichkeit übersteigt. Die Tragödie
ist also die Julian Fichtners. Der rücksichtslose Genießer
wird alt, und er fühlt das Bedürfnis nach sorgender Liebe.
Von seinem Sohn Felix erhofft er sie, der bis zu seinem
23. Jahre als Sohn des Akademiedirektors Prof. Wegrath
herangewachsen ist, ohne daß dieser oder er selbst oder gar
ein Fernstehender ahnten, daß er nicht Wegraths sondern
Fichtners Sohn ist. Nur Sala hat das Geheimuis erraten,
und dem treuen Arzt Dr. Reumann hat es die schwerkranke
Frau Gabriele Wegrath bekannt. Nach ihrem plötzlichen
Tode hat Fichtner doppelt das Gefühl der Einsamkeit, und
so beschließt er, Felix sich zu offenbaren. Die beiden Szenen,
in denen dieser aus Andeutungen Fichtners und aus letzten
Worten, die er von der kranken Mutter gehört, den Sach¬
verhalt erkennt, sind dichterisch sehr sein geraten. Felix
erfüllt die Hoffnungen seines Vaters nicht. Die Entdeckung
entfernt ihn vielmehr innerlich von Fichtner und nähert ihn
noch mehr als bisher dem Manne, den er bisher für seinen
Vater gehalten hat. So fällt diesem, dem treusorgenden
und aufopfernden Manne, die Liebe eines Sohnes zu, der
nicht sein Fleisch und Blut ist, und beide finden sich nach
herben Schicksalsschlägen zu einem neuen Leben zusammen.
Mit diesen bei aller Resignation doch nicht hoffnungsleeren
Tönen klingt das Stück aus. Die Liebe des fremden Sohnes
gewinnt Professor Wegrath, ohne um sie zu werben. Die
Liebe der eigenen Tochter aber hat er trotz allen Werbens
nicht zu erringen vermocht: Johanna, eine aus dem Geschlecht
jener rä.selhaften S.schen F#uen, deren Typ die „Frau mit
dem Dolche“ ist, ein Wesen voll dämmernder Ahnungen
und unverstandener Sehnsüchte, hat sich dem verführerischen
Herzensbezwinger Stephan von Sala zu eigen gegeben, und,
als sie die Gewißheit von seinem nahen Tode gewonnen
hat, ist sie ohne Zögern allein den „einsamen Weg“ zum
Hades gegangen. Für diese beiden, Sala und Johanna,
hat die Einsamkeit keine Schrecken, sie haben den Mut und
damit das Recht zu eigenem Handeln, den Fichtner nicht
findet. Und noch eine vierte Variation des Typus der
Genießer bringt das Stück: die Schauspielerin Irene Herms,
vor langen Jahren Julians Geliebte, kurz ehe er Gabriele
kennen lernte. Sie hat ein langes Leben des Genießens
zu einem Leben voll innerer Gesundung geführt. Sie wird
nie den einsamen Weg zu gehen brauchen, denn sie hat es
verstanden, Liebe zu gewinnen. Und auch auf der Seite
der „Gegenpartei“, wo wir den Professor Wegrath, Gabriele
und Felix finden, steht noch e## vierter der sein Leben in
Aufopferung lebt, der stille feine Dr. Reumann. So hat
jede der Hauptgestalten ihren bestimmten Platz im Stück,
nur daß die Handlungen, die sich um das Paar Sala¬
Johanna und um Julian=Irene schlingen, zu weit aus¬
gesponnen sind. Die eigentliche Tragödie, die Tragödie der
Einsamkeit, die Julian erlebt, hat unter dieser mangelhaften
Oekonomie gelitten. Der schöne Gedanke, mit dem Stephan
die Bühne des Lebens verläßt, daß jetzt ein anderes Ge¬
schlecht heranwächst, ein Geschlecht, das weniger Geist und
mehr Haltung besitzt, wird leider nur im Vorbeigehen an¬
geschlagen. Daß das Werk nicht bühnenwirksam sein kann,
dürfte aus der obigen Analyse ohne Weiteres hervorgehen. —
Die Breite des Dialogs kommt als weiteres Hemmnis dazu.
aritgieesinen Nicharde