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18. Der einsane neg
neuem Lebenswerke. Eines Künstlers, der seine Ge=strügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine
liebte, die später die Frau seines Studienkollegen Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden
Haben wir je unsere Ruhe oder unser
Wegrath geworden war, in letzter Stunde vor der konnten?
vereinbarten Flucht verlassen hatte, weil sein unruhiger Leben aufs Spiel gesetzt — nicht aus Laune oder
Nein, um das Wohlergehen eines
*
Geist nicht den Zwang des Geregelten, sein Freiheits=Leichtsinn.
gefühl nicht den des Gebundenseins hätte tragen Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte? ..
können. Und so ist Wegrath — ohne darum zu wissen —Haben wir je auf ein Glück verzichtet, wenn dieser
in seinem Sohne Felix der legitime Vater eines Verzicht nicht wenigstens zu unserer Bequemlichkeit
Sündenkindes geworden. Dies Geheimnis weiß außer beigetragen hätte? ... Und glauben Sie, daß wir
von einem Menschen — Mann oder Weib — etwas
den Beteiligten nur noch Stephan von Sala, dessen
zurückfordern dürften, das wir ihm geschenkt hatten?
Frau und Kind vor Jahren gestorben und den
Ich meine keine Perlenschnur und keine Rente und
Johanna, Wegraths Tochter, ein rührend ernstes
Wesen, liebt. Julian, der immer ein Wanderlebenkeine wohlfeile Weisheit, sondern ein Stück von
führt, kommt nun wieder nach Wien, wenige Tage, unserm Wesen — eine Stunde unseres Daseins, das
da seine einstige Geliebte gerade verschieden ist. Kurzl wir wirklich an Sie verloren hätten, ohne uns gleich
dafür bezahlt zu machen, mit welcher Münze immer.
vor ihrem Tode hat sie aber ganz seltsam zu ihrem
.. Wir haben die Türen offen stehen und unsere
Sohne von ihrer Jugend gesprochen und ihm erzählt,
Schätze sehen lassen — aber Verschwender sind wir
daß Julian einmal ein kleines Bild von ihr gemalt
nicht gewesen. Sie so wenig als ich. Wir können uns
hätte. Felix möchte dies nun gerne haben und kommt
ruhig die Hände reichen, Julian. Ich bin etwas we¬
zu Julian mit seinem Anliegen. Und wie ihm dieser
niger wehleidig als Sie, das ist der ganze Unterschied.
das Bild zeigt, wird Felix nachdenklich. Die letzten
Aber ich erzähle Ihnen ja da nichts Neues. Sie
eifrigen Worte seiner Mutter kehren ihm nun wie
wissen das alles gerade so gut wie ich. Es gibt ja
eine lebendige Ahnung in Erinnerung wieder und
für uns gar keine Möglichkeit, uns nicht zu kennen;
mit merkwürdigem Scharfsinn er aus dem Bilde
wir geben uns wohl zuweilen redliche Mühe, uns
eine gewisse Beziehung seiner Mutter zu Julian, der
über uns selbst zu täuschen, aber es gelingt uns nicht.
ihm nun — in der Hoffnung, Felix an sich zu ketten
— die volle Wahrheit sagt. Diese Hoffnung schlägt Andern mögen unsere Torheiten, unsere Nieder¬
aber fehl. Denn Felix ist bereit, sich mit Stephan von trächtigkeiten verborgen bleiben, — uns selber nie.
In unserer tiefsten Seele wissen wir immer, woran
Sala einer wissenschaftlichen Expedition nach Baktrien
wir sind.“
anzuschließen. Jetzt wird sich Julian erst recht bewußt,
Inzwischen ist Johanna verschwunden. Sie hatte
daß Felix seine einzige Hoffnung ist, daß er auf Erden
Sala, der, wie sie wußte, wegen eines schweren Herz¬
nichts mehr außer ihn hat, daß er Felix liebt. Und
leidens nur noch eine kurze Spanne Lebens vor sich
da kommt es zwischen Julian und Sala, diesen beiden
hat, ihre große Liebe gestanden und Sala — ohne
genußfreudigen, selbstsüchtigen Lebenskünstlern, zu einer
von seinem ernsten Zustand zu wissen — wollte sie zu
interessanten Unterredung. Julian erklärt nämlich, daß
seiner Frau machen. Doch es ist für ihn zu spät.
er die Einsamkeit fürchte, und darauf sagt ihm Sala:
Denn Johanna hat ihre aussichtslose Liebe zum
„Es graut Ihnen vor der Einsamkeit? . . . Und wenn
Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären Sie Teiche getragen. Und Sala, der nun über sich im
klaren ist, folgt ihr in den Tod.
heute nicht allein? ... Und wenn Kinder und Enkel
Eine äußerlich eigentlich hievon abliegende Szene
um Sie lebten, wären Sie es nicht? . . . Und wenn
scheint mir noch besonders beachtenswert. Die zwischen
Sie sich Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie
Julian und der Schauspielerin Irene Herms, einer der
Und
bewahrt hätten — wären Sie es nicht?
wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet — den besten Figuren des Stückes. Irene hatte früher Julian
Weg hinab gehen wir alle allein ... wir, die selbst jabgöttisch geliebt, der sie aber von sich gestoßen und
niemandem gehört haben. Das Altern ist nun einmal Gabriele zu seiner Geliebten gemacht hatte. Irene
eine einsame Beschäftigung für unsereinen, und ein hatte sich dann in den Trubel des Künstlertums
Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, um auf hineingewagt, ohne aber ihre Gefühle für Julian zu
verwinden. Und nun sehen sie sich wieder und Irene
keinen Menschen angewiesen zu sein.“
Julian will sich auf die Liebe stützen, doch Sala plaudert von den vergangenen Tagen. Wie glücklich
fährt fort: „Lieben heißt, für jemand andern auf der ssie wäre, wenn sie ein Kind hätte, wenn sie das
Welt sein. Ich sage nicht, daß es ein wünschenswerter [Kind hätte, das sie von Julian hätte haben —
Zustand sei, aber jedenfalls, denke ich, wir waren beide sollen. Wie sie neulich eine Vision gehabt hätte: „Ich
sehr fern davon. Was hat das, was unsereiner in die bin übers Feld gegangen gegen Abend. Das tu' ich
Welt bringt, mit Liebe zu tun? Es mag allerlei manchmal, ganz allein. Weit und breit war niemand.
Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines, Leiden= Unten das Dorf ist auch ganz still dagelegen. Und
schaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt, — aber ich spazier' so weiter, immer weiter gegen den Wald
Liebe ist es doch nicht ... Haben wir jemals ein zu. Und plötzlich war ich nicht mehr allein. Du warst
Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinnlichkeit oder da. Und zwischen uns beiden das Kind. Das haben
unser kleines
unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? wir so an der Hand geführt
Haben wir je gezögert, anständige Menschen zu be= Kind . .. Es ist ja zu dumm. Ich weiß doch, das
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18. Der einsane neg
neuem Lebenswerke. Eines Künstlers, der seine Ge=strügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine
liebte, die später die Frau seines Studienkollegen Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden
Haben wir je unsere Ruhe oder unser
Wegrath geworden war, in letzter Stunde vor der konnten?
vereinbarten Flucht verlassen hatte, weil sein unruhiger Leben aufs Spiel gesetzt — nicht aus Laune oder
Nein, um das Wohlergehen eines
*
Geist nicht den Zwang des Geregelten, sein Freiheits=Leichtsinn.
gefühl nicht den des Gebundenseins hätte tragen Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte? ..
können. Und so ist Wegrath — ohne darum zu wissen —Haben wir je auf ein Glück verzichtet, wenn dieser
in seinem Sohne Felix der legitime Vater eines Verzicht nicht wenigstens zu unserer Bequemlichkeit
Sündenkindes geworden. Dies Geheimnis weiß außer beigetragen hätte? ... Und glauben Sie, daß wir
von einem Menschen — Mann oder Weib — etwas
den Beteiligten nur noch Stephan von Sala, dessen
zurückfordern dürften, das wir ihm geschenkt hatten?
Frau und Kind vor Jahren gestorben und den
Ich meine keine Perlenschnur und keine Rente und
Johanna, Wegraths Tochter, ein rührend ernstes
Wesen, liebt. Julian, der immer ein Wanderlebenkeine wohlfeile Weisheit, sondern ein Stück von
führt, kommt nun wieder nach Wien, wenige Tage, unserm Wesen — eine Stunde unseres Daseins, das
da seine einstige Geliebte gerade verschieden ist. Kurzl wir wirklich an Sie verloren hätten, ohne uns gleich
dafür bezahlt zu machen, mit welcher Münze immer.
vor ihrem Tode hat sie aber ganz seltsam zu ihrem
.. Wir haben die Türen offen stehen und unsere
Sohne von ihrer Jugend gesprochen und ihm erzählt,
Schätze sehen lassen — aber Verschwender sind wir
daß Julian einmal ein kleines Bild von ihr gemalt
nicht gewesen. Sie so wenig als ich. Wir können uns
hätte. Felix möchte dies nun gerne haben und kommt
ruhig die Hände reichen, Julian. Ich bin etwas we¬
zu Julian mit seinem Anliegen. Und wie ihm dieser
niger wehleidig als Sie, das ist der ganze Unterschied.
das Bild zeigt, wird Felix nachdenklich. Die letzten
Aber ich erzähle Ihnen ja da nichts Neues. Sie
eifrigen Worte seiner Mutter kehren ihm nun wie
wissen das alles gerade so gut wie ich. Es gibt ja
eine lebendige Ahnung in Erinnerung wieder und
für uns gar keine Möglichkeit, uns nicht zu kennen;
mit merkwürdigem Scharfsinn er aus dem Bilde
wir geben uns wohl zuweilen redliche Mühe, uns
eine gewisse Beziehung seiner Mutter zu Julian, der
über uns selbst zu täuschen, aber es gelingt uns nicht.
ihm nun — in der Hoffnung, Felix an sich zu ketten
— die volle Wahrheit sagt. Diese Hoffnung schlägt Andern mögen unsere Torheiten, unsere Nieder¬
aber fehl. Denn Felix ist bereit, sich mit Stephan von trächtigkeiten verborgen bleiben, — uns selber nie.
In unserer tiefsten Seele wissen wir immer, woran
Sala einer wissenschaftlichen Expedition nach Baktrien
wir sind.“
anzuschließen. Jetzt wird sich Julian erst recht bewußt,
Inzwischen ist Johanna verschwunden. Sie hatte
daß Felix seine einzige Hoffnung ist, daß er auf Erden
Sala, der, wie sie wußte, wegen eines schweren Herz¬
nichts mehr außer ihn hat, daß er Felix liebt. Und
leidens nur noch eine kurze Spanne Lebens vor sich
da kommt es zwischen Julian und Sala, diesen beiden
hat, ihre große Liebe gestanden und Sala — ohne
genußfreudigen, selbstsüchtigen Lebenskünstlern, zu einer
von seinem ernsten Zustand zu wissen — wollte sie zu
interessanten Unterredung. Julian erklärt nämlich, daß
seiner Frau machen. Doch es ist für ihn zu spät.
er die Einsamkeit fürchte, und darauf sagt ihm Sala:
Denn Johanna hat ihre aussichtslose Liebe zum
„Es graut Ihnen vor der Einsamkeit? . . . Und wenn
Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären Sie Teiche getragen. Und Sala, der nun über sich im
klaren ist, folgt ihr in den Tod.
heute nicht allein? ... Und wenn Kinder und Enkel
Eine äußerlich eigentlich hievon abliegende Szene
um Sie lebten, wären Sie es nicht? . . . Und wenn
scheint mir noch besonders beachtenswert. Die zwischen
Sie sich Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie
Julian und der Schauspielerin Irene Herms, einer der
Und
bewahrt hätten — wären Sie es nicht?
wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet — den besten Figuren des Stückes. Irene hatte früher Julian
Weg hinab gehen wir alle allein ... wir, die selbst jabgöttisch geliebt, der sie aber von sich gestoßen und
niemandem gehört haben. Das Altern ist nun einmal Gabriele zu seiner Geliebten gemacht hatte. Irene
eine einsame Beschäftigung für unsereinen, und ein hatte sich dann in den Trubel des Künstlertums
Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, um auf hineingewagt, ohne aber ihre Gefühle für Julian zu
verwinden. Und nun sehen sie sich wieder und Irene
keinen Menschen angewiesen zu sein.“
Julian will sich auf die Liebe stützen, doch Sala plaudert von den vergangenen Tagen. Wie glücklich
fährt fort: „Lieben heißt, für jemand andern auf der ssie wäre, wenn sie ein Kind hätte, wenn sie das
Welt sein. Ich sage nicht, daß es ein wünschenswerter [Kind hätte, das sie von Julian hätte haben —
Zustand sei, aber jedenfalls, denke ich, wir waren beide sollen. Wie sie neulich eine Vision gehabt hätte: „Ich
sehr fern davon. Was hat das, was unsereiner in die bin übers Feld gegangen gegen Abend. Das tu' ich
Welt bringt, mit Liebe zu tun? Es mag allerlei manchmal, ganz allein. Weit und breit war niemand.
Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines, Leiden= Unten das Dorf ist auch ganz still dagelegen. Und
schaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt, — aber ich spazier' so weiter, immer weiter gegen den Wald
Liebe ist es doch nicht ... Haben wir jemals ein zu. Und plötzlich war ich nicht mehr allein. Du warst
Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinnlichkeit oder da. Und zwischen uns beiden das Kind. Das haben
unser kleines
unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? wir so an der Hand geführt
Haben wir je gezögert, anständige Menschen zu be= Kind . .. Es ist ja zu dumm. Ich weiß doch, das