II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 193

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18. Der einsane ank
Eda.
Kind wär' jetzt ein Bengel von dreiundzwanzig Jahren,
wär' vielleicht ein Lump oder ein schlechtes Mädel.
Von Camille Lemonnier.
Oder wär' vielleicht schon tot oder es wär’ irgendwo
Einzig autorisierte Übersetzung von Friedrich Fischl,
draußen in der Welt und wir hätten gar nichts mehr
Wien.*)
von ihm . . . ja, ja. — Aber einmal hätten wir es
Als die Sache sich das erstemal ereignete, faßte
doch gehabt, einmal wär's doch ein kleines Kind ge¬
wesen und hätt' uns gern gehabt.“ Und als Julian sich Eda bei den Haaren und zog sie aufs Gras. Ich
ihr entgegnet, ihr Leben wäre reicher gewesen, als ein hatte den Mann noch nie gesehen, aber so schnell er
Mutterleben hätte sein können, sie wäre eine Künst= sich auch aus dem Staube machte, ich war sicher, ihn
unter Tausenden wieder herauszufinden. Das ist eine
lerin gewesen, erklärt sie: „Was hab ich davon? Was
will das alles bedeuten? Eine Frau, die kein Kind Rechnung, sagte ich mir, die zwischen ihm und mir zu
hat, ist gar nie eine Frau gewesen. Aber eine, die ordnen ist. Das Glück wird entscheiden.
An jenem Abend war ich früher aus der Stadt
einmal eins hätte haben können — haben müssen, und
zurückgekehrt, als ich Eda gesagt hatte. Ich hatte,
nicht Mutter geworden ist, das ist
die —
nur um Eda wiederzusehen, dem dicken Bonny ganz
eine . .. ahl aber das kann ja kein Mann verstehen!
das kann ja keiner verstehen! Der beste von Euch ist sinnlos die Sporen gegeben. Wir waren seit Monats¬
in diesen Dingen noch immer eine Art von Schuft. frist verheiratet. Sie und ich konnten nicht einen
Weiß denn einer von Euch, wie viele von ihm in der Augenblick vorübergehen lassen, ohne beieinander zu
Welt herumlaufen? Ich weiß wenigstens, daß ich sein. Und als ich nahe dem Hause an einer Barriere
vorüberritt, hatte ich plötzlich das entsetzliche Ge¬
keins gehabt hab'. Weißt Du'sküberhaupt?“
schehnis bemerkt.
Und da sitzt Julian, der ein Kind hat — das
Eda lag unter den Bäumen des Obstgartens in
nicht ihm gehört, und da sitzt Irene, die ein Kind
hätte haben können — haben möchte — und nicht den Armen eines Mannes. Da ein hoher Rasen
entlang den Pappeln den Weg verbarg, hatten sie
hat. Eine unendlich feine Kombination, die auch der
weiteren Entwicklung des Dramas mittelbar diemt mich nicht kommen gehört. Beide lachten. Hell
Die mir aber an sich schon bedeutend erscheint, weil fflatterte das Lachen Edas empor, ein wenig aus¬
sie einmal in der Künstlerin das Weib und im Weib gelassen, dasselbe Lachen wie an jenem ersten Tag,
die Muttersehnsucht so wahrhaft zeigt, und das als ich behutsam, mit zarten Gesten, ihr Kleid aufzu¬
anderemal ein so richtiges, gesundes Urteil über eine häkeln begann.
„Eda! Entsetzliche Eda!“ Der Mann verschwand
Kategorie von Männern spricht.
im Schatten, und sie stand da, den Kopf gesenkt, und
Es wäre äußerst schwer, die Handlung dieses
sah mich mit ihren tränenfeuchten Kinderaugen an.
Dramas einheitlich und kurz nach ihren Hauptmomenten
Nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte,
wiederzugeben. Denn sie ist zu sehr verschlungen. Man
schrie ich laut:
könnte hier beinahe — und das ist ein großer Fehler
„Sag mir, wer ist denn der da?“
— von mehreren Handlungen sprechen,
des Stückes
Sie kannte ihn gar nicht. Er war in der
die wohl voneinander losgeschält werden könnten, zu¬
Dämmerung vorübergegangen, gerade in dem Augen¬
sammen aber keine klare Haupthandlung ergeben.
Stilisieren läßt sich wohl eine, das bleibt aber dann blick, als sie die Ziege von der Weide führte. Sie
immer noch ein künstlerischer Mangel. Gering ist auch hatten miteinander geplaudert; und dann hatte er sie
die dramatische Kraft des Werkes, weshalb es von der auf den Nacken geküßt. Sie war gefallen. Ich heulte
Bühne aus kaum die volle Wirkung üben wird, die in in meiner Raserei. Ich hätte sie töten mögen. Sie
ihm liegt. Es hat da zuviel lyrischen Einschlag. Umso hob ihre Augen. Kein Funke von Scham war darin.
größer allerdings ist der Eindruck auf den Leser. Denn Mit leiser Stimme sprach sie zu mir:
„Es ist so. Aber warum tötest Du mich nicht?
Schnitzler ist hier oft so tief wie kaum in einer seiner
Du hast ja das Recht dazu.“
früheren Schöpfungen. Er gibt hier so herrliche Szenen
Nach all dem gab sie sich ganz offen. Sie er¬
und feinsinnige Einzelheiten, so viele Schönheiten und
zählte mir ganz frei, wie sie von einer ihr unbe¬
geistvolle Worte, daß man beständig dieses stille,
kannten Macht getrieben worden sei. Und sie schien
innig=wehmütige Leben atmen, dieser reflektierenden
weder traurig, noch erstaunt zu sein. Sie hätte mir
Melancholie lauschen möchte, die das alles um¬
in keinem andern Tone auseinandergesetzt, warum sie
schließt, diese seltsamen Fügungen und Ver¬
einen Gegenstand, der rechts vom Kamin stand, auf
knüpfnugen.
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die linke Seite getragen habe. Ich stieß sie vor mich
hin und sagte ihr, sie solle in ihr Zimmer hinunter¬
gehn. Ich aber blieb die ganze Nacht im Obstgarten
Wir sind in einem großen, großen Garten. Und
und schluchzte, den Kopf in die Hände gestützt.
darin ein blühender Hain. Er heißt „Hain der Liebe“.
Eda! Kleine Eda! Wie bist Du verbuhlt! Du,
Dort kommen viele, viele Menschen zusammen. Dort¬
die Tochter einer Frau, die sich mit Dir redliche Mühe
hin führen auch breite, weite, gebahnte Wege. Und
nur abseits liegen vereinzelt „Einsame Wege“. Und
*) Aus einer von Friedrich Fischl und Stephan
vor ihnen stehen rätselhafte, riesenmächtige — War¬
Zweig vorbereiteten Novellensammlung Lemonniers.
nungstafeln!...