II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 214

Ziel vor Augen, dem Kinde Flamms, das sie im
Sch##e trägt, in Keil einen Vater zu schaffen.
„Ma hat a Lebenlang vor sich jetz, da kann eens recht
treu sein, sich kastein. recht arbeit'n, Schuld bezahl'n und ab¬
verdien'“
Aber damit ist Streckmann nich. einverstanden, er
meint:
„Ma sool iberhaupt ni erscht Blut lecka! A werd doch
bloß immer schlimmer, d'’r Durscht!“
Und er stellt Rose von neuem nach. In wilder Ver¬
zweiflung, daß sie ihr entsetzliches Opfer umsonst gebracht
habe, schreit Rose um Hilfe. August und der alte Bernd kom¬
men herzu, ein heftiger Streit entspinnt sich, in dessen Ver¬
lauf Streckmann dem „Buchbinder ein Auge ausschlägt.
Natürlich will Vater Bernd, der Waisenrat und Kirchenvor¬
steher, die Beschimpfungen Streckmanns nicht auf seiner
Tochter sitzen lassen, er klagt den Maschinisten wegen Ehren¬
beleidigung. In der Verhandlung wird durch Flamms und
Streckmanns Eid die Berechtigung der Vorwürfe des Ma¬
isten offenbar. Aber noch ehe Vater Bernd — es ist
unwahrscheinlich, daß er als Kläger nicht bei der
Verhandlung ist — seines Kindes Unglück erfahren hat,
wird aus Rosel Gretchen, sie erwürgt ihr eben geborenes
Kind mit eigenen Händen. „s sullde ni laba! Ich wullte 's
ni!!'s sullde ni meine Martern derleida!“ So erklärt Rose
ihre furchtbare Tat in dem Geständnis, das sie ihrem
Vater, ihrem Bräutigam, und der Gendarmen ableat
der ihr gerade eine Zustelluna —? — in der Ehrenbelei¬
am Franzesring mehr Aufführungen beschieden gewesen
als der Hauptmannschen. Es hat nicht sollen sein. Gerade
mit Schninler, der auch als Mensch durchaus liebenswürdig
und konziliant ist, konnte Schleuther sich nicht vertragen.
Weil Schnitzler zu den Besten zählt, die Österreich gegen¬
wärtig sein nennt. So haben wir eine unzulängliche
Aufführung der „lebendigen Stunden“ im Volkstheater
erlebt und müssen jetzt lesen, daß Direktor Bukowics zur
Premiere des „einsamen Weges“ nach Berlin gefahren
ist. Hoffentlich bleibt uns die Volkstheaterpremiere dieses
Burgtheaterstückes erspart. Einstweilen heißt es, sich mit
dem Buche begnügen, das (wie Rose Bernd) am Tage
der Uraufführung (im Verlage S. Fischers) erschie¬
nen ist.
Während man ein neues Buch Hauptmanns stets zag¬
haft zur Hand nimmt, ergreift man Schnitzlers Novitäten
mit der freudigen Gewißheit einer langsamen, stetigen
Entwicklung des Dichters, der mehr und mehr über die
Zeiten der Anatol Liebeleien hinauswächst.
Wie für Rose Bernd, so ist auch für Julian Fichtner
und Stephan von Sala „der einsame Weg“ der gefährliche;
Weg. Nur daß Rose diesen Pfad unfreiwillig betrat,
während Fichtner und Sala, die zwei Helden des merk¬
würdigen Schauspieles, diesen Weg mit vollem Bewußt¬
sein wählen. Sala und Fchtner sind Artisten des Le¬
bens, Epikuräer im vornehmsten Sinne, Lebenskünstler.
Sie keinen kein Band, keine Pflicht, keine aufopfernde
Liebe, keinen Altruismus. Und wenn der Gegensatz von
Egoismus und Altruismus vielleicht veraltet, wenn auch
der Altruismus nur eine feinere Art des Egoismus ist, so
kannten die zwei eben diesen veredelten Egoismus nicht.
Zweimal hat das Glück den einsamen Weg eines jeden
der beiden gekreuzt, zweimal haben sie nicht verstanden, es
festzuhalten. Julian Fichtner wurde von der Schauspielerin
Irene Herms über alles geliebt. Er jagte sie fort, um die
Braut seines Freundes Wegrath ans Herz zu reißen. Aber
nuch sie läßt er im entscheidenden Augenblicke mit dem Un¬
erpfand seiner Liebe im Stich, damit er die Sorglosigkeit,
Freiheit und Fülle seines Daseins nicht verliere. So heiratet
Fabriele den ungeliebten Wegrath, um dem Kinde Julians
einen Vaternamen zu geben.
Sala, der andere Egoist der Einsamkeit, besaß eine
Gattin, aber er quälte sie — wohl durch seine angewandte
Lebensphilosophie, wie aus einer flüchtigen Andeutung
hervorgeht — zu Tode. Und auch sein zweites Glück, die
junge Johanna Wegrath, die Tochter Wegraths und jener
einstigen Geliebten Julians, vermag er nicht zur rechten
Zeit zu fassen und festzuhalten, solange er noch Lebenskraft
in sich fühlt. Aber mit der Jugend zieht auch der Rausch
von Zärtlichkeit, Leidenschaft und Macht unwiederbringlich
dahin. Gabriele Wegrath stirbt, und nun versucht Julian
Fichtner wie Lavedans Marquis de Priola vergebens,
den jungen Felir Wegrath durch die Enthüllung seiner
Vaterschaft an sich zu fesseln. Und zu spät macht Sala Jo¬
hanne zu seiner Geliebten. Sie weiß, daß ihm ein Herz¬
leiden nur mehr eine kurze Frist zu leben gibt und tötet
sich. Und Sala folgt ihr, sein Schicksal beschleunigend.
Vorher jedoch sind die beiden Lebenskünsteler zu einer er¬
schütternden Einsicht ihres Irrweges gelangt, eine Erkennt¬
nis, die Sala in die resignierten Worte kleidet: „Es graut
Ihnen vor der Einsamkeit? .. . Und wenn Sie eine Frau
an Ihrer Seite hätten, wären Sie. heute nicht allein? ...
Und wenn Kinder und Entel um Sie lebten, wären Sie
es nicht? .. . Und wenn Sie sich Ihren Reichtum, Ihren
Ruhm, Ihr Genie bewahrt hätten, — wären Sie es
nicht? ... Und wenn uns ein Zug von Bakchanten be¬
gleitet — den Weg hinab gehen wir alle allein ... wir,
die selbst niemandem gehört haben. Das Altern ist nun ein¬
mal eine einsame Beschäftigung für unsereinen
Und als Julian seinem Freunde einwirft: „Sie haben
nie ein Wesen auf Erden geliebt“, da fährt Sala fort:
„Möglich. Und Sie? So wenig Julian, als ich ... Lieben
heißt, für jemand anderen auf der Welt zu sein. Ich sage
nicht, daß es ein wünschenswerter Zustand sei, aber jeden¬
falls, denke ich, wir waren beide sehr fern davon. Was
hat das, was unsereiner in die Welt bringt, mit Liebe zu
tun? Es mag allerlei Lustiges, Verlogenes. Zärtliches, Ge¬
meines, Leidenschaftliches sein, das sich is Liebe ausgibte
aber Liebe ist es doch nicht ... Haben wir jemals ein,
Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinnlichkeit oder un¬
sere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätten? Haben wir je