18. Der einsane Nes
Sinn= hannas Bruder der Mutter nach) die Stimme des
fitte?“
Blutes nicht hört, sondern dem alten, kindlich guten
Manne treu bleibt, der vor der Welt sein Vater ist
Haben
das
und durch seine Liebe das vollste Anrecht auf diesen
Namen sich erworben hat. Ein neues Geschlecht scheint
uns
mit diesem Felix die Lebensbühne zu betreten — ein
dliche
besseres, urteilt Sala: „mehr Haltung und weniger Geist“
elingt
Die übertriebene Pflege des Geistes hat unser falsches
nsere
selber
Verhältnis zu den realen Bedingungen des Lebens ver¬
schuldet — so formuliert es Norbert de Varenne.
voran
Schnitzler weiß solche Menschen, die die Süße des
Lebens auskosten und dabei doch einen bittern Nach¬
er, so
geschmack im Munde nicht loswerden, die das Dasein
knsere
nur als ein artiges Spiel voll beglückender oder auf¬
ht;
regender Sensationen gelten lassen möchten und dann
eg ist
doch an dessen schwerem Ernste innerlich schmerzlich lei¬
man
den, ja zerbrechen — fein zu formen und glaubhaft
kert de
hinzustellen. Man fühlt deutlich, er hat für diesen
gödie
Typus viel übrig. Die stille Tragik solcher Lebens¬
läufe, die auf den einsamen Weg ausmünden, d. h. in
age.
e la
Dunkel und Verlassenheit sich verlieren (man möchte
sagen: kraft einer immanenten sozialen Gerechtigkeit),
nt un
wollte er in seinem Schauspiel schildern. Er hat sich
ur de
den Fall kompliziert dadurch, daß er das Thema des
nt de
innern (unter Umständen auch äußern) Allein= und Ein¬
renne
samseins noch weiter variiert, und zwar im Sinne einer
dann
Verallgemeinerung, die das für Leute wie Sala und
kankes
Julian Charakteristische im Sinne einer allgemein gil¬
Todes,
tigen Lebenserfahrung erweitert. Jede der Figuren,
hanna
die der Dichter auftreten läßt, ist im letzten Grunde
Liebe
ebenso einsam und isoliert wie die zwei Lebemänner.
ereits
Wie ergreifend klagt der alte Akademiedirektor Wegrath
ulian
(Jo= beim völlig unerwarteten geheimnisvollen Ausbleiben
box 23/2
Johannas: „Wer hat sie denn gekannt von uns allen?
Wer kümmert sich denn überhaupt um die andern?“
Also: keiner kennt am Ende aller Enden seinen näch¬
sten Nebenmenschen, weiß, was in dessen Tiefstem und
Innerstem vor sich geht, und bemüht sich nicht einmal
besonders darum, es zu wissen. Das wäre also allge¬
meine Lebenstragik, und die Einsamkeit des Weges bis
zum Orkus hinab würde keinem völlig erspart. So
nimmt das Stück aus dem Individnalfall (der zugleich
für Individuen wie Sala und. Julian der typische Fall
ist) heraus eine Wendung zum Gemeinmenschlichen;
aber das geschieht nicht mit der wünschbaren durchsichti¬
gen Enrschiedenheit, so daß die dramatische Rechnung wie
die psychologische nicht bruchlos aufgeht. Das macht
die Schwäche des Stückes aus.
Wundervoll sind wie immer bei Schnitzler auch in
diesem Stücke die eingestreuten Stimmungsbilder. Man
mag sagen, sie seien mehr episch (meinetwegen auch lyrisch)
empfunden als dramatisch. Aber es ist entzückend, wenn
diese Leute anfangen, von Jugenderinnerungen, Natars¬
und Kunsteindrücken zu reden in einem leisen, elegischen,
sehnsüchtigen Ton, in dem die Seele vibriert. Die weiche
Poesie des Wieners feiert hier ihre Feste. Sie schafft
den Eindruck des sanft leuchtenden Kolorits, das als
feinster Reiz in unserer Seele haften bleibt.
Diesem Stimmungsgehalt des Stückes möglichst ge¬
recht zu werden, war das offenkundige Bestreben der
Regie des Herrn Joseph Danegger. Das gedämpfte
Sprechen (ob man auf den hintern Reihen alles ver¬
standen hat?), die bedeutungsvollen Pausen, das durch¬
—
gehende Lento des Rhythmus in Rede und Bewegung —
sie schufen die richtige Temperatur für dieses auf Moll
gestimmte Drama. Von den Dekorationen taten das
Gärtlein bei Wegraths und das Zimmer im Wegrath¬
schen Hause (3. Akt) die beste Wirkung. Die schwarz¬
gerahmten Bilder auf der hell tapezierten Wand, dazu
die weißen Gardinen, und auf dem dunkeln Sofa vor
der Wand die schwarzgekleidete Johanna (Frl. Herterich):
das suggerierte mit dem scharfen Kontrast des Dunkeln
gegen das Helle schon dem Auge eine leise Trauer¬
melodie. Die Darstellung wurde nicht allen Fein¬
heiten gerecht. Den Sala nahm Herr Althauser
doch wohl nicht überlegen=fein genug; es klang
alles etwas gar zu alltäglich, zu unweltmännisch.
Den Juliau Fichtner zeichnete Hr. Duschak recht glück¬
lich, auch die Maske war klug gewählt. Frl. Herterich
brachte die verhalten glühende Leidenschaftlichkeit der
Johanna sehr schön zum Ausdruck; da und dort hätte
wohl die zehrende Sehnsucht in dieser Mädchenseele noch
wärmere, empfundenere Akzente ertragen. Hr. Achterberg
war ein frischer, gesunder Felix. Das Ehepaar Wegrath
war bei Hrn. Egbert Soltau und Frau Fogarafi wohl
aufgehoben; Hr. Soltau charakterisierte diesen herzguten
Professor im ganzen durchaus verständnisvoll. Recht ge¬
spannt durfte man auf Frl. Martha Flanz sein, die hier
zum erstenmale auftrat. Sie gab die Irene Herms, die
Bühnenkünstlerin, die in Julian Fichtners Liebesleben
einst eine Rolle gespielt hat, auch eine Einsamgewordene,
der ihr heißester Wunsch: ein Kind ihr eigen zu nennen,
versagt blieb. Die Wiedergabe dieser mehr episoden¬
haften Gestalt bewies sofort, daß wir eine verheißungs¬
volle Kraft gewonnen haben. Das Spiel war von einer
freien Natürlichkeit und eindringlichen Einfachheit, die
sehr wohltaten. Ihr Abgang im zweiten Akt, wie sie
Felix, in dem sie Julians Sohn entdeckt hat, und dann
Julian, dem einstigen Geliebten, Adien sagt, das war
nach Mimik wie nach Ausdrucksstärke vortrefflich. Der
Dr. Reumann, der Arzt im Wegrathschen Hause, ge¬
toann in der Darstellung des Hrn. Arthur Ehrens kein
rechtes Leben. Der Mediziner Schnitzler läßt diesen Arzt
tluge Dinge sagen, die auf der Bühne anders heraus¬
kommen müßten.
Von einem starken Erfolg des Stückes läßt sich nicht
sprechen; aber es war höchst verdienstlich, daß man es
uns vorgeführt hat. An den Werken Schnitzlers darf
eine Bühne mit literarischen Ambitionen nimmermehr
vorübergehen.
*
Sinn= hannas Bruder der Mutter nach) die Stimme des
fitte?“
Blutes nicht hört, sondern dem alten, kindlich guten
Manne treu bleibt, der vor der Welt sein Vater ist
Haben
das
und durch seine Liebe das vollste Anrecht auf diesen
Namen sich erworben hat. Ein neues Geschlecht scheint
uns
mit diesem Felix die Lebensbühne zu betreten — ein
dliche
besseres, urteilt Sala: „mehr Haltung und weniger Geist“
elingt
Die übertriebene Pflege des Geistes hat unser falsches
nsere
selber
Verhältnis zu den realen Bedingungen des Lebens ver¬
schuldet — so formuliert es Norbert de Varenne.
voran
Schnitzler weiß solche Menschen, die die Süße des
Lebens auskosten und dabei doch einen bittern Nach¬
er, so
geschmack im Munde nicht loswerden, die das Dasein
knsere
nur als ein artiges Spiel voll beglückender oder auf¬
ht;
regender Sensationen gelten lassen möchten und dann
eg ist
doch an dessen schwerem Ernste innerlich schmerzlich lei¬
man
den, ja zerbrechen — fein zu formen und glaubhaft
kert de
hinzustellen. Man fühlt deutlich, er hat für diesen
gödie
Typus viel übrig. Die stille Tragik solcher Lebens¬
läufe, die auf den einsamen Weg ausmünden, d. h. in
age.
e la
Dunkel und Verlassenheit sich verlieren (man möchte
sagen: kraft einer immanenten sozialen Gerechtigkeit),
nt un
wollte er in seinem Schauspiel schildern. Er hat sich
ur de
den Fall kompliziert dadurch, daß er das Thema des
nt de
innern (unter Umständen auch äußern) Allein= und Ein¬
renne
samseins noch weiter variiert, und zwar im Sinne einer
dann
Verallgemeinerung, die das für Leute wie Sala und
kankes
Julian Charakteristische im Sinne einer allgemein gil¬
Todes,
tigen Lebenserfahrung erweitert. Jede der Figuren,
hanna
die der Dichter auftreten läßt, ist im letzten Grunde
Liebe
ebenso einsam und isoliert wie die zwei Lebemänner.
ereits
Wie ergreifend klagt der alte Akademiedirektor Wegrath
ulian
(Jo= beim völlig unerwarteten geheimnisvollen Ausbleiben
box 23/2
Johannas: „Wer hat sie denn gekannt von uns allen?
Wer kümmert sich denn überhaupt um die andern?“
Also: keiner kennt am Ende aller Enden seinen näch¬
sten Nebenmenschen, weiß, was in dessen Tiefstem und
Innerstem vor sich geht, und bemüht sich nicht einmal
besonders darum, es zu wissen. Das wäre also allge¬
meine Lebenstragik, und die Einsamkeit des Weges bis
zum Orkus hinab würde keinem völlig erspart. So
nimmt das Stück aus dem Individnalfall (der zugleich
für Individuen wie Sala und. Julian der typische Fall
ist) heraus eine Wendung zum Gemeinmenschlichen;
aber das geschieht nicht mit der wünschbaren durchsichti¬
gen Enrschiedenheit, so daß die dramatische Rechnung wie
die psychologische nicht bruchlos aufgeht. Das macht
die Schwäche des Stückes aus.
Wundervoll sind wie immer bei Schnitzler auch in
diesem Stücke die eingestreuten Stimmungsbilder. Man
mag sagen, sie seien mehr episch (meinetwegen auch lyrisch)
empfunden als dramatisch. Aber es ist entzückend, wenn
diese Leute anfangen, von Jugenderinnerungen, Natars¬
und Kunsteindrücken zu reden in einem leisen, elegischen,
sehnsüchtigen Ton, in dem die Seele vibriert. Die weiche
Poesie des Wieners feiert hier ihre Feste. Sie schafft
den Eindruck des sanft leuchtenden Kolorits, das als
feinster Reiz in unserer Seele haften bleibt.
Diesem Stimmungsgehalt des Stückes möglichst ge¬
recht zu werden, war das offenkundige Bestreben der
Regie des Herrn Joseph Danegger. Das gedämpfte
Sprechen (ob man auf den hintern Reihen alles ver¬
standen hat?), die bedeutungsvollen Pausen, das durch¬
—
gehende Lento des Rhythmus in Rede und Bewegung —
sie schufen die richtige Temperatur für dieses auf Moll
gestimmte Drama. Von den Dekorationen taten das
Gärtlein bei Wegraths und das Zimmer im Wegrath¬
schen Hause (3. Akt) die beste Wirkung. Die schwarz¬
gerahmten Bilder auf der hell tapezierten Wand, dazu
die weißen Gardinen, und auf dem dunkeln Sofa vor
der Wand die schwarzgekleidete Johanna (Frl. Herterich):
das suggerierte mit dem scharfen Kontrast des Dunkeln
gegen das Helle schon dem Auge eine leise Trauer¬
melodie. Die Darstellung wurde nicht allen Fein¬
heiten gerecht. Den Sala nahm Herr Althauser
doch wohl nicht überlegen=fein genug; es klang
alles etwas gar zu alltäglich, zu unweltmännisch.
Den Juliau Fichtner zeichnete Hr. Duschak recht glück¬
lich, auch die Maske war klug gewählt. Frl. Herterich
brachte die verhalten glühende Leidenschaftlichkeit der
Johanna sehr schön zum Ausdruck; da und dort hätte
wohl die zehrende Sehnsucht in dieser Mädchenseele noch
wärmere, empfundenere Akzente ertragen. Hr. Achterberg
war ein frischer, gesunder Felix. Das Ehepaar Wegrath
war bei Hrn. Egbert Soltau und Frau Fogarafi wohl
aufgehoben; Hr. Soltau charakterisierte diesen herzguten
Professor im ganzen durchaus verständnisvoll. Recht ge¬
spannt durfte man auf Frl. Martha Flanz sein, die hier
zum erstenmale auftrat. Sie gab die Irene Herms, die
Bühnenkünstlerin, die in Julian Fichtners Liebesleben
einst eine Rolle gespielt hat, auch eine Einsamgewordene,
der ihr heißester Wunsch: ein Kind ihr eigen zu nennen,
versagt blieb. Die Wiedergabe dieser mehr episoden¬
haften Gestalt bewies sofort, daß wir eine verheißungs¬
volle Kraft gewonnen haben. Das Spiel war von einer
freien Natürlichkeit und eindringlichen Einfachheit, die
sehr wohltaten. Ihr Abgang im zweiten Akt, wie sie
Felix, in dem sie Julians Sohn entdeckt hat, und dann
Julian, dem einstigen Geliebten, Adien sagt, das war
nach Mimik wie nach Ausdrucksstärke vortrefflich. Der
Dr. Reumann, der Arzt im Wegrathschen Hause, ge¬
toann in der Darstellung des Hrn. Arthur Ehrens kein
rechtes Leben. Der Mediziner Schnitzler läßt diesen Arzt
tluge Dinge sagen, die auf der Bühne anders heraus¬
kommen müßten.
Von einem starken Erfolg des Stückes läßt sich nicht
sprechen; aber es war höchst verdienstlich, daß man es
uns vorgeführt hat. An den Werken Schnitzlers darf
eine Bühne mit literarischen Ambitionen nimmermehr
vorübergehen.
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