II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 265


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18. Der einsene deg

Zweite Beilage der Breslauer Zeitung. — Sonntag, den

dem „Kunstbeamten“ Wegrath, lieh Herr Stange bei aller Feinheit der
Breslauer Cheater.
Gestaltung doch gar zu weiche Züge. Der schwerste Part war Fräulein
C. B. Lobe=Theater. „Der einsame Weg.“ Schauspiel in
Santen zugefallen, die die leidenschaftliche, hysterische Johanna zu ver¬
fünf Akten von Arthur Schnitzler. — Es ist ein eigenes Verhängnis
körpern hatte. Für die Leidenschaft fand sie, Dank ihrem künstlerischen
Schnitzlers, daß geräde die feinsten und dichterisch gehaltvollsten seiner
Temperament, den rechten Ausdruck, den krankhaften Zug blieb sie ein
Dramen das Licht der Bühne nicht zu vertragen scheinen. So ging es
wenig schuldig. Herr Johow schien sich in seiner Rolle als Dr. Reu¬
dem „Schleier der Beakrice“ — so dürfte es vermutlich dem „einsamen
mann, recht unbehaglich zu fühlen, und sie kommt ihm auch eigentlich
Weg“ ergehen. Auch dies ist ein Werk voll zartester Stimmungen, goldener
nicht zu. Die Regie war, bis auf den etwas verunglückten Schluß des
Wahrworte, subtilster seelischer Regungen. Aber die Stimmungen zer¬
vierten Aktes, anerkennenswert. Das Publikum ließ sich von den reichen
flattern, die Wahrworte verhallen, die Seelengemälde verschwimmen in
dichterischen Schönheiten des Werkes willig gefangen nehmen und spendete
der grellen und lauten Deutlichkeit der Bühne. So mutet das Drama,
lebhaften Beifall. Das ist ein ehrenvolles Zeugnis; dem mag auch der
dessen Lektüre einen schwelgerischen Genuß bedeutet, an wie eine Ent¬
Theatermann Schnitzler unterlegen sein; der Dichter hat einen vollen
täuschung. Wie eine Blume, die sich vor der Sonne verschließt, wie eine
Sieg errungen!
Phosphorschrift, die im hellen Lichte nicht erkennbar wird. Sicher
mag die Bühne mit ihren derben Forderungen dem Ausdruck
Grade weil
geinster und keuschester Empfindungen widerstreben.
Schnitzler in dieses Werk so viel aus eigenster Seelentiefe gelegt hat, hat
er, mehr fühlend als gestaltend, die äußere Wirkung geschmälert. Und
doch ist es nicht nur dieser Widerstreit, an dem er gescheitert ist. Viel¬
mehr ward ihm auch ein technischer Fehler verhängnisvoll: der eine, so
oft schon verübte, daß er füt eine These allzuviel des Beweis¬
materials heranzog. Die Tragödie des Egoismus wollte er geben, vor
dem „einsamen Wege“ wollte er warnen, der jedem selbstsüchtigen
Genießer am Ende seiner Tage droht. Und in edelster künstlerischer
Absicht dachte er diese Tragik rein psychologisch zu schildern, unter
möglichstem Verzicht auf eine äußerlich bewegte Handlung. Aber er be¬
dächte nicht, daß es grade für die Lösung dieser Aufgabe nolwendig war,
das Interesse auf eine einzige Gestalt zu konzentrieren. Er führte noch
eine zweite ins Treffen, und er zersplitterte so die Handlung und damit
Die Teilnahme der Hörer. Weniger wäre auch hier mehr gewesen! Diese
eine Gestalt ist der Maler Julian Fichtner. Als ein ruheloser Genu߬
meusch ist er durchs Leben gestürmt, seine Jugend, seine Mannesjahre
sind ihm in einem Rausch von Zärtlichkeit und Leidenschaft, „ja von
Macht“ verflossen, und die Blumen der Liebe hat er nur gepflückt, um
sie dann achtlos fortzuwerfen. Auch an seinem Freunde Wegrath hat er
einen Verrat begangen; wenige Wochen vor der Vermählung hat er ihm
die Braut verführt. Wohl hatten die Sündigen die gemeinsame Flucht
verabredet; aber in letzter Stunde hat er erkannt, welche Last er dann
mit auf seinen Lebensweg werde schleppen müssen, und in der Sehn¬
sucht, sein Dasein in froher Ungebundenheit weiterzuführen, läßt er die
Verführte vergebens harren und flieht in die Ferne hinaus. So wird
sie die Gattin des getäuschten Freundes, das Kind Fichtners unter dem
Herzen. Niemand ahnt den ungeheuren Betrug, selbst dann nicht, als
Fichtner zehn Jahre später das Haus des Freundes wieder aufsucht.
In Freundschaft bleibt er den Eltern wie den Kindern verbunden. Da,
nach weiteren dreizehn Jahren, kehrt er nach einem unsteten Wanderleben:
wieder heim, er hört, daß die Mutter seines Sohnes gestorben, und
nun regt sich in ihm, dem völlig Vereinsamten, das Begehren, diesen Sohn
auch ganz besitzen zu dürfen. Wenigstens den Rest seines Lebens will
er nicht mehr in öder Verlassenheit gehen, und so sucht er, den Sohn an
sich zu fesseln. Aber, erschreckt durch den Betrug, der hier begangen,
durch die Lüge, die hier ins Ewige gezogen ist, wendet sich dieser von ihm.
und der einst so kaltherzige Egoist muß nunerkennen, daß ihm seine!
Selbstsucht zum Verhängnis geworden ist, daß er schmerzvoll und allein
ifortan seine Straße ziehen muß.: Neben diese Gestalt hat Schnitzler eine
zweite gestellt, die wohl die gleichen Anschauungen vertritt, nur in edlerer,
künstlerisch stilisierter Auffassung, den Dichter Stephan von Sala. Es
ist der Typus jenes Jungwienertums, das spielerisch von allen Freuden des
Lebens schlürft, und doch über alle seine Tiefen anteillos hinweggleitet,
getreu jener Doktrin, die ihr großer Meister Nietzsche aufgestellt hat: „Nicht
an einer Person hängen bleiben, und sei sie die geliebteste — jede Person
ist ein Gefängnis — oder ein Winkel.“ Auch dieser Lebenskünstler scheitert
mit seiner Theorie, wenn er es sich auch selbst nicht voll eingestehen
will. Auch er muß in letzter Stunde, da ein liebendes, hochherziges
liebeleeres