II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 270

rtige

Ver
1
18. Der Fes
box 23/2
Schnitzler berührt sich diesmal leicht mit Maeterlinck.
Der einsame Weg.
Seine Personen sind am besten gezeichnet da, wo sie schweigen.
Schanspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler.
Die Behutsamkeit des Dialogs, die ständige Reserve im Aus¬
Erstaufführung im Leipziger Schau¬
druck, die schamhafte Aeußerung der Empfindungen, das alles
spielhaus am 17. Dezember 1904.
getaucht in eine melancholische, um nicht zu sagen weinerliche
Der einsame Weg“ ist ein Titel, den Schnitzler dem
Atmosphäre, macht den Schauspielern ihre Aufgaben
Kollegen=Philippi schnöde vorweggenommen hat: der „goldene
schwierig. Wenn das Ensemble des Schauspielhauses
Käsig“das „dunkle Tor“, der „grüne Zweig“, aber: der
weder das Wiener Kolorit noch die Lebenswahrheit
„Dornenweg“. Und könnte doch gerade so gut der „einsame
der Personen zu verdeutlichen vermochte, so

Weg“ heißen. So fehlt ein Stück an der Uniform des Dra¬
das von sich bedauerlich, in großem Zusammenhang gesehen
matikus Philippi. Andrerseits wird der ebenso zugkräftige
aber entschuldbar und begreiflich. Welches Ensemble wird
als symbolische Titel die Enttäuschung nicht wett machen
dem Maeterlinck=Stil überhaupt gerecht? Herr Mehnert
können, die Schnitzlers neues Stück allen denen bereiten muß,
fand sich noch am besten zurecht, besonders im letzten Akt,
die an den Verfasser der „Liebelei“ und des „grünen Kakadu“
wo er eine glückliche Mischung von lächelnder Selbstironie
hehe literarische Ansprüche stellen. Es ist ein unausgereiftes,
und philosophischer Ruhe bot. Auch Herr Eggeling gab
nicht in die Tiefe gedachtes und dramatisch unwirksames Werk.
wenigstens eine glaubhafte Figur. Dagegen versagte Herr
Mühlhofer in seiner wichtigen Rolle vollständig. Und
Der Mangel an dramatischem Leben, den auch zwei
sowohl Herr Bornstedt wie Fräulein Reicher
Drei Tote nicht zu verdecken vermögen, ergibt sich schon aus
hatten so undankbare Rollen, 'daß sie gar nicht in die Lage
der Wahl des Stoffes. Ein vornehmer Junggeselle hat einen
kamen, ihre Kräfte spielen zu lassen. Fräulein Immisch
außerehelichen Sohn. Die Mutter zieht ihn als ehelichen auf
schließlich lieh einer belanglosen Nebenfigur etwas Farbe,
und weiß zeit ihres Lebens ihrem Gatten die Tatsache ver¬
ohne doch mehr geben zu können, als ihr der Autor er¬
borgen zu halten, daß er nicht Blut aus seinem Blut in
möglichte, und Herr Bottcher zeigte zwar viel Ernst und
den Adern hat. Als die Gute dann stirbt und das Ge¬
gutes Verständnis, aber gleichzeitig auch die Unfähigkeit, eine
heimnis ebenso vornehm wie klug mit ins Grab nimmt,
wichtige Rolle heute schon durchzuführen. Außerdem sprach
erwacht das Vatergefühl des Junggesellen von neuem heftig.
er so leise, daß er stellenweise ganz und gar unverständlich
Er will sich die Liebe des jungen Mannes erzwingen. Um¬
blieb.
sonst. Die Stimme des Blutes klingt nicht.
So war denn der Abend im Ganzen eine Enttäuschung.
Zweifellos ist dieses Quentchen Handlung von Schnitzler so
Die Bekanntschaft mit dem neuesten Schnitzler war in jedem
zart und poetisch wie nur möglich angefaßt. Ohne Frage
Falle recht interessant und wir wissen Herrn Direktor
findet sich im Dialog manche Feinheit, in den Situationen
Hartmann Dank für die Aufführung, die ein Symptom
auf der Szene mancher erwärmende Moment, der völlige
seiner fortschrittlichen Bühnenleitung ist, eine herzliche Freund¬
Mangel an dramatischer Spannung aber, die breiten und
schaft aber verbindet uns mit diesem Schnitzler nicht. Und
ganz prosaischen expositionellen Gespräche zwischen den
daß der sonst so originale Dramatiker so gar kein Bedenken
einzelnen Personen, die mäßige Aufdeckung der psycho¬
trug den Dr. Rank aus Ibsens „Nora uns nochmals
logischen Triebe schließlich, das alles laßt den Zu¬
abzukonterfeien, und dazu noch recht mittelmäßig, könnte
schauer nicht recht in den Stoff dringen. Schnitzler
uns fast bewegen unsere Hochachtung für ihn etwas
hätte sicherlich eine in jeder Beziehung schätzens¬
zu mindern. Aber schließlich: in einer Zeit, da Plagiate als
werte Novelle aus diesem Vorwurf gestalten können,
geistige Großtaten erklärt werden und Maximilian Harden
auf der Bühne versagten ihm fast alle Figuren.
sich den kleinen Jacobsohn auf den Schoß setzt, um ihm die
Sympathisch berührt in seinem Stück von neuem die Seelen¬
Härchen zu streicheln, die ihm die böse Presse gekrümmt, in
aristokratie der handelnden Personen, diese lautere und reife,
einer solchen Zeit überlegt man sich's zehnmal, ehe man einen
von Schönheit gesättigte Denkweise der materiell gut Ge¬
Dieb einen Dieb und einen Gedächtnisathleten einen Pla¬
ten. Ein ganz außerliches Moment jedoch gefährdet
giator nennt. „La parole a été donnée à l'homme pour
e für Szene den Ernst der Situation: alle Personen
déguiser sa pensée,“ sagte Tayllerand einmal: „Die Sprache
n Cylinder auf den Köpfen. Man sollte es nicht für
ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.“
lich halten, wie irritierend ein anscheinend so neben¬
Sapienti sat.
Paul Zschorlich.
sächlicher Umstand wirken kann. Besonders dann, wenn diese
tadellos gewichsten Cylinder in einen Wettbewerb der Farbe
mit den weißen Gartenmöbeln treten, die im ersten, dritten
und letzten Akt Milien markieren.
Am Sonnabend abend verhielt sich das Publikum ge¬
messen. Sektionsweises Rutschen und Verändern des Körpers
auf den Plätzen zeigte dem Theaterhabitus deutlich an, daß
man sich hin und wieder langweilte. Ein vollgepfropftes
Haus setzt diese Verlegenheit gegenüber dem Autor gern in
Heiterkeit um. Ich kann mir denken, daß am gestrigen
Sonntag die Haltung des Publikums eine ganz andere war
als die der Premièrenbesucher. Aber keine dem Dichter vor¬
teilhaftere.