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18. Der einsen. Nen
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n
Achtungserfolg. Die mystische Färbung, das
öbsensche, dem sich Schnitzler in all seinen letzten
Schöpfungen hingegeben, steht dem vollblütigen
Wiener nicht. Auch hier, in nördlicherer Region,
empfinden wir das. Aber ein ganzer, unbestrit¬
tener Sieg war die geradezu prächtige Auffüh¬
rung. Und wenn den Künstlern, die im einzelnen
wie im Gesamtspiel Ausgezeichnetes leisteten, der
Beifall auch nicht brausend rauschte, so geschah
das Zurückhalten eher in einer Stimmung, die
aus Ergriffenheit und Nachdenken über das da
oben verkörperte Menschenbild gemischt war.
Professor Wegraths (Oskar Sauer), des Aka¬
demie-Direktors, Frau (Hedwig Pauly) ist eine
Sterbende. Sie hat eine Schuld dem Hausarzt
gebeichtet, ihr Sohn (Kurt Stieler), der Stolz
ihres Mannes, ist das Kind eines seiner besten
Freunde, des Malers Fichtner (Emanuel Reicher),
der sie als die Verlobte von jenem betörte und
dann nach dem Verrat am Freunde, egoistisch
furchtsam, das Leben mit ihr zu verknüpfen, ein¬
fach durchging. Nie hat sie den Mut gehabt,
ihrem Manne, der sich so glücklich in seiner Ja¬
milie gefühlt, zu beichten; jetzt, angesichts des
Todes, möchte sie, daß ihr Sohn darum wisse.
Sie schickt ihn mit einer Frage nach ihrem Bilde,
wie aus dem Jenseits heraus, an den Maler,
dem Felix eine fast kindliche Zuneigung entgegen¬
Arthur Schnitzlers „Der einsame
sbrachte. Dieser Julian Fichtner ist ein brutaler
4. Beg“ im Lessingtheater. 0%
Lebenskünstler, als ein hohler Blender faßte
ihn auch der Darsteller auf, als eine mit Gewalt
E. V. Berlin, 19. April.
und Roheit ausgestattete Männerattrappe, die
Es war eine Neueinstudierung des fünfaktigen
so vielfach von den Frauen der echten, schlichten
Schauspiels, das vor ein paar Jahren keine voll¬
Gediegenheit vorgezogen wird. Als Felix von
siegende Uraufführung im Deutschen Theater
dem Manne, der nun, nach so viel Siegen über
unter Brahms Direktion erlebt. Zweimal hat
Frauenherzen, alt geworden und das Recht auf
der Wiener feinsinnige Dichter in diesem Winter
den Sohn für seine Einsamkeit geltend machen
an gleicher Stelle mit den dramatischen Gaben
will, das Geheimnis der toten Mutter erfährt,
„Zwischenspiel“ und „Der Ruf des Lebens“ wie
wendet er sich ab und dem Professor, der ihn
es mit einem Modewort heißt, nicht gut
erzog, der ihn liebt, der sein geistiger Vater ist,
abgeschnitten. Das frisch einstudierte Stück er¬
lebte gestern auch nicht einmal einen vollen I zu. Der soll nie wissen, daß er nicht seines Blu-1
1tes ist; der andere muß seinen einsamen Weg
ziehen.
Da ist dann Johanna, eine durchaus Ibsensche
Frauengestalt (Irene Triesch), die Tochter des
Professors. Eine sehr sonderbare junge Dame,
die sich ihres Daseins vor 2000 Jahren als grie¬
chische Tänzerin erinnert, nachtwandelt und im
Mondschein auf Wiesen tanzt. Judem sieht sie
den Menschen den nahen Tod an, was man
„Zweites Gesicht“ und in Westfalen „Spöken¬
kieker“ nennt. Sie verliebt sich leidenschaftlich in
den anderen Egoisten und Lebenskünstler, den
herzkranken Dichter
v. Sala (Albert Basser¬
mann), und wie sie entdeckt, daß sie ihm auch
nur Zeitvertreib, nur eine Episode ist, und den
nahenden Tod sieht, stürzt sie sich ins Wasser.
Sala muß einsam sterben wie sie. Felix zieht in
die Ferne mit einer Expedilian; der Akademie¬
Direktor bleibt einsam auf seinem Posten. Ein¬
sam auf ihrem Lebensweg geht eine Künstlerin
(Eise Lehmann), die den Maler Fichtner auch
aufopferungsvoll geliebt hat. Einsam, doziert
der Verfasser durch den Mund des geistvollen
Sala, sind wir ja alle, wenn wir älter werden,
und einsam müssen wir den letzten, dunklen
Weg gehen.
Kein dramatisch wirksames Stück, ein geist¬
volles Apereu, mit mystischen und symbolischen
Andeutungen. Alle spielten sie vollendet, am
großartigsten war Albert Bassermann. Wir haben
das Stück hier neu einstudiert bekommen, weil
das Deutsche Theater es für Wien in seinen
Spielplan aufnimmt. Dort ist „dieser Schnitzler“
noch nicht aufgeführt. Den Künstlern des Deut¬
schen Theaters gibt es Gelegenheit, sich vollgültig
zu zeigen. Sie dürfen ihres Sieges sicher sein.
Was die Landsleute an der blauen, lebenslusti¬
gen Donau zu diesen schriftstellerischen, morali¬
schen Gerichtsszenen sagen werden, bleibt abzu¬
warten.
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18. Der einsen. Nen
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Achtungserfolg. Die mystische Färbung, das
öbsensche, dem sich Schnitzler in all seinen letzten
Schöpfungen hingegeben, steht dem vollblütigen
Wiener nicht. Auch hier, in nördlicherer Region,
empfinden wir das. Aber ein ganzer, unbestrit¬
tener Sieg war die geradezu prächtige Auffüh¬
rung. Und wenn den Künstlern, die im einzelnen
wie im Gesamtspiel Ausgezeichnetes leisteten, der
Beifall auch nicht brausend rauschte, so geschah
das Zurückhalten eher in einer Stimmung, die
aus Ergriffenheit und Nachdenken über das da
oben verkörperte Menschenbild gemischt war.
Professor Wegraths (Oskar Sauer), des Aka¬
demie-Direktors, Frau (Hedwig Pauly) ist eine
Sterbende. Sie hat eine Schuld dem Hausarzt
gebeichtet, ihr Sohn (Kurt Stieler), der Stolz
ihres Mannes, ist das Kind eines seiner besten
Freunde, des Malers Fichtner (Emanuel Reicher),
der sie als die Verlobte von jenem betörte und
dann nach dem Verrat am Freunde, egoistisch
furchtsam, das Leben mit ihr zu verknüpfen, ein¬
fach durchging. Nie hat sie den Mut gehabt,
ihrem Manne, der sich so glücklich in seiner Ja¬
milie gefühlt, zu beichten; jetzt, angesichts des
Todes, möchte sie, daß ihr Sohn darum wisse.
Sie schickt ihn mit einer Frage nach ihrem Bilde,
wie aus dem Jenseits heraus, an den Maler,
dem Felix eine fast kindliche Zuneigung entgegen¬
Arthur Schnitzlers „Der einsame
sbrachte. Dieser Julian Fichtner ist ein brutaler
4. Beg“ im Lessingtheater. 0%
Lebenskünstler, als ein hohler Blender faßte
ihn auch der Darsteller auf, als eine mit Gewalt
E. V. Berlin, 19. April.
und Roheit ausgestattete Männerattrappe, die
Es war eine Neueinstudierung des fünfaktigen
so vielfach von den Frauen der echten, schlichten
Schauspiels, das vor ein paar Jahren keine voll¬
Gediegenheit vorgezogen wird. Als Felix von
siegende Uraufführung im Deutschen Theater
dem Manne, der nun, nach so viel Siegen über
unter Brahms Direktion erlebt. Zweimal hat
Frauenherzen, alt geworden und das Recht auf
der Wiener feinsinnige Dichter in diesem Winter
den Sohn für seine Einsamkeit geltend machen
an gleicher Stelle mit den dramatischen Gaben
will, das Geheimnis der toten Mutter erfährt,
„Zwischenspiel“ und „Der Ruf des Lebens“ wie
wendet er sich ab und dem Professor, der ihn
es mit einem Modewort heißt, nicht gut
erzog, der ihn liebt, der sein geistiger Vater ist,
abgeschnitten. Das frisch einstudierte Stück er¬
lebte gestern auch nicht einmal einen vollen I zu. Der soll nie wissen, daß er nicht seines Blu-1
1tes ist; der andere muß seinen einsamen Weg
ziehen.
Da ist dann Johanna, eine durchaus Ibsensche
Frauengestalt (Irene Triesch), die Tochter des
Professors. Eine sehr sonderbare junge Dame,
die sich ihres Daseins vor 2000 Jahren als grie¬
chische Tänzerin erinnert, nachtwandelt und im
Mondschein auf Wiesen tanzt. Judem sieht sie
den Menschen den nahen Tod an, was man
„Zweites Gesicht“ und in Westfalen „Spöken¬
kieker“ nennt. Sie verliebt sich leidenschaftlich in
den anderen Egoisten und Lebenskünstler, den
herzkranken Dichter
v. Sala (Albert Basser¬
mann), und wie sie entdeckt, daß sie ihm auch
nur Zeitvertreib, nur eine Episode ist, und den
nahenden Tod sieht, stürzt sie sich ins Wasser.
Sala muß einsam sterben wie sie. Felix zieht in
die Ferne mit einer Expedilian; der Akademie¬
Direktor bleibt einsam auf seinem Posten. Ein¬
sam auf ihrem Lebensweg geht eine Künstlerin
(Eise Lehmann), die den Maler Fichtner auch
aufopferungsvoll geliebt hat. Einsam, doziert
der Verfasser durch den Mund des geistvollen
Sala, sind wir ja alle, wenn wir älter werden,
und einsam müssen wir den letzten, dunklen
Weg gehen.
Kein dramatisch wirksames Stück, ein geist¬
volles Apereu, mit mystischen und symbolischen
Andeutungen. Alle spielten sie vollendet, am
großartigsten war Albert Bassermann. Wir haben
das Stück hier neu einstudiert bekommen, weil
das Deutsche Theater es für Wien in seinen
Spielplan aufnimmt. Dort ist „dieser Schnitzler“
noch nicht aufgeführt. Den Künstlern des Deut¬
schen Theaters gibt es Gelegenheit, sich vollgültig
zu zeigen. Sie dürfen ihres Sieges sicher sein.
Was die Landsleute an der blauen, lebenslusti¬
gen Donau zu diesen schriftstellerischen, morali¬
schen Gerichtsszenen sagen werden, bleibt abzu¬
warten.