II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 287

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18. Der einsane Neg
Theater und Musik.

gtheater: Neueinstudierung von
Schnitzlers „Einsamem Weg“.
Nrauslassen, was nicht reif probiert ist; aber
aun
auch nichts preisgeben, was einmal leidlich gelebt hat“ —
die herrli
dieser dramaturgische Grundsatz Laubes ist auch der Brahms.
Irene He
Wie man sich denn immer mehr der inneren Aehnlichkeiten
schwüle,
wie reife
bewußt wird, die den gegenwärtigen Leiter des Lessing¬
theaters mit jenem nüchternen und engsinnigen, aber charak¬
tervollen und männlich bewußten Korporal der deutschen
Stelle Rittl
Schauspielkunst verbinden. Für das Neuland der Seele, das
ner spieltch
sich vor ihnen aus den Fluten der Zeit hoh, war der eine
der imme
so verblendet wie der andere; für das romantische und
sich nun
musikalische Elemenk, nach dem es die Sehnsucht einer wer¬
sucht, um
denden Generation verlangte, hatten sie weder Organ noch
an Stelle
Verständnis — was aber innerhalb ihres engen Gesichts¬
vielleicht
kreises blühte und was sie einmal mit ihrer tätigen Liebe
für aber
und Teilnahme ergriffen hatten, dem hielten sie auch die
allzu wei
Treue, das ließen sie so leicht nicht wieder fahren. Immer
Emanu
enger und dichter wird der Zaun, den Brahm um seinen
verdanken
Acker zieht, aber innerhalb dieses Geheges läßt er Hacke und
moderner
Spaten nicht ruhen, sucht er den stets von neuem um¬
hartes W
brochenen Schollen stets neuen praktischen und künstlerischen
nun nich
Gewinn abzuzwingen. So hat er neuerdings den „Florian
wehleidig
Geyer“, das „Hannele“ und den „Biberpelz“, so hat er den
erträglich
„Volksfeind“, die „Wildente“ und „Rosmersholm“ von frischem
lungsfähig
zu erobern gesucht; so bemüht er sich jetzt auch um Schnitzler
ein Mem
— trotz der schmerzlichen Enttäuschungen, die dieser in letzter
weichen,
Zeit ihm und seiner Kasse augenscheinlich bereitet hat.
verführer
wenigen
Was die Brahmsche Regie in den zwei Jahren, seit
daß eine
wir den „Einsamen Weg“ kennen, hinzugelernt hat, ist blitz¬
ein Kind
wenig — wenigstens an dem gemessen, was anderswo für
bevorstehe
die stimmungsvolle Herausarbeitung der inneren Melodie
verdreifach
einer Bühnendichtung geschieht. Dabei haben wir es bei
seine Stel
dieser Erinnerung und Gegenwart, Gegenwart und Ahnung
Fall vor
symphonisch verwebenden Lebens= und Todeselegie mit einem
Zucht hal
Werke zu tun, das ganz auf Lyrik und Symbolik gestellt
über eine
ist, das nur den geringeren Teil seiner schmerzlich=süßen
adjunkt
Reize enthüllt, wenn den Stimmen der äußeren, sichtbaren
Lebens“
Handlung nicht die inneren Stimmen der Natur und der
auch bein
Umgebung verständnis= und bedeutungsvoll entgegenkommen.
nichts, an
Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß man das im
starke,
Lessingtheater so gut weiß und fühlt, wie ich; ja hier und
licherweis
da, namentlich in den Gartenszenen bei Wegraths und in
auszufülle
der Parkszene bei Herrn von Sala sind sogar schüchterne An¬
sätze zu bemerken, dieser heimlichen symbolischen Wechsel= nach
Ohne Rit
wirkung zwischen Natur und Menschen, zwischen äußerem
wirh
und innerem Geschehen zur lebendigen Anschauung zu ver¬
helfen. Aber nicht minder deutlich zeigt sich doch auch, wie
schwer die nüchterne Tradition der naturalistischen Ver¬
mand über seinen eigenen Schatten springen kann. Im¬
gangenheit auf der Brahmschen Regie lastet und daß nie¬
zweiten Akt soll ein „recht vornehmes“ Zimmer gezeigt wer¬
den, die Behausung eines Künstlers, der auf den Höhen
des Lebens und des Genusses geschritten ist, dessen wiene¬
rische Aesthetenseele sicher nichts Geschmackloses in ihrer Nähe
duldet. Offenbar hat sich der Dekorateur bemüht, dem „Rech¬
nung zu tragen“. Aber was ist dabei herausgekommen? Ein
Diplomatenschreibtisch von anno 1890, ein paar geschnitzte
Bücherschränke, ein par rote Klubsessel und
im
Hintergrunde ein Erker mit einem Bogen in buntem moder¬
nem Schnitzwerk und einer Ballustrade von blankpolierten
gedrechselten Nußbaumsäulchen! Schauderhaft und unerträg¬
lich für diesen Schönheitsegoisten! Dies nur ein Beispiel
für viele, die alle gleich sehr die Unfähigkeit dieser Regie
beweisen, den Duft und Flaum einer Szene zu erfühlen
und auch dem Zuschauer fühlbar zu machen. Von dem
inneren Rhythmus der Aufführung will ich
rnicht
sprechen; derlei unwägbare Feinheiten waren der Brahm¬
Bühne immer böhmische Dörfer.
Anders klingt das Lied, sobald man auf die einzelnen
schauspielerischen Leistungen kommt. Wer einen Rittner,
einen Bassermann einen Sauer, eine Triesch und eine
Lehmann ins Feld führen kann, der ist noch immer reich.
Und wenn die Männer so ernst und ehrlich an sich arbeiten
wie der Darsteller des Stephan von Sala (Basser¬
mann) und der des alten Wegrath (Sauer), so kann
das Wunder geschehen, daß ihre Leistungen jetzt noch reicher,
feiner und vornehmer erscheinen als vor zwei Jahren, wo
sie doch schon Bewunderung genug erregten. Insbesondere
Bassermann hat jetzt noch eine ganze Anzahl neuer, leiserer
und differenzierterer Ausdrucksformen für die vorschwebenden
geistigen Regungen und Schwingungen gefunden, aus denen
sich dieser wurzellose und unfruchtbare, von den Sensa¬
tionen des Lebens ermüdete Schöngeist zusammensetzt. Was
er durch immer erneutes, immer verstärktes Ringen einem
widerwilligen Organ und einem ungelenken Temperament
ablisten muß — vielleicht erscheint er uns dadurch gerade
als ein immer Junger, immer Werdender — das pflückt
Anaeen