II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 288

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18. Der einsane Neg
die herrliche Lehmann als Darstellerin der Schauspielerin
auch nichts preisgeben, was einmal leidlich gelebt hat“ —
Irene Herms, die wie ein frischer Märzwind durch diese
dieser dramaturgische Grundsatz Laubes ist auch der Brahms.
schwüle, kränkliche Herbstluft fährt, scheinbar ganz mühelos¬
Wie man sich denn immer mehr der inneren Aehnlichkeiten
wie reife Früchte von den Zweigen ihrer frauenhafter, aber
bewußt wird, die den gegenwärtigen Leiter des Lessing¬
noch nicht um einen Deut dürrer werdenden Jahre. An
theaters mit jenem nüchternen und engsinnigen, aber charak¬
Stelle Rittners, der bei der ersten Aufführung den Julian Ficht¬
tervollen und männlich bewußten Korporal der deutschen
ner spielte, diesen vom Leben so verwöhnten Genußmenschen,
Schauspielkunst verbinden. Für das Neuland der Seele, das
der immer nur Liebe nahm, niemals Liebe gab, und der
sich vor ihnen aus den Fluten der Zeit hoh, war der eine
sich nun im Abendrot seiner Tage den Sohn zu erobern
so verblendet wie der andere; für das romantische und
sucht, um den seine Ichsucht sich solange kaum kümmerte,
musikalische Elemenk, nach dem es die Sehnsucht einer wer¬
an Stelle dessen, der diesen wienerischen Genüßling einst
denden Generation verlangte, hatten sie weder Organ noch
vielleicht um eine Nüance zu norddeutsch gesund gab, da¬
Verständnis — was aber innerhalb ihres engen Gesichts¬
für aber eine äußerst wohltätige, kräftige Cäsur in das
kreises blühte und was sie einmal mit ihrer tätigen Liebe
jetzt
allzu weichliche und zerfließende Stück brachte, ist
und Teilnahme ergriffen hatten, dem hielten sie auch die
Emanuel Reicher getreten. Ein übler Tausch! Wir
Treue, das ließen sie so leicht nicht wieder fahren. Immer
verdanken Reicher für die Verkörperung zumal schwieriger
enger und dichter wird der Zaun, den Brahm um seinen
moderner Rollen so viel, daß es einem schwer fällt, ein
Acker zieht, aber innerhalb dieses Geheges läßt er Hacke und
hartes Wort über ihn zu sagen. Aber ich glaube, es darf
Spaten nicht ruhen, sucht er den stets von neuem um¬
nun nicht länger verschoben werden. Er hat sich einer
brochenen Schollen stets neuen praktischen und künstlerischen
wehleidig getragenen Manier ergeben, die nachgerade un¬
Gewinn abzuzwingen. So hat er neuerdings den „Florian
erträglich wird und die ihm alle einst so reiche Wand¬
Geyer“ das „Hannele“ und den „Biberpelz“, so hat er den
lungsfähigkeit tötet. Als Julian Fichtner schreitet er wie
„Volksfeind“, die „Wildente“ und „Rosmersholm“ von frischem
ein Mennonitenpriester herum. Unmöglich, diesem windel¬
zu erobern gesucht; so bemüht er sich jetzt auch um Schnitzler
weichen, salbaderischen Gesellen den rücksichtslosen. Weiber¬
trotz der schmerzlichen Enttäuschungen, die dieser in letzter
verführer und Herrenmenschen zu glauben, der er noch vor
Zeit ihm und seiner Kasse augenscheinlich bereitet hat.
wenigen Jahren gewesen sein soll! Unmöglich, zu glauben,
Was die Brahmsche Regie in den zwei Jahren, seit
daß eine Irene Herms von diesem säuselnden Schilfrohr
wir den „Einsamen Weg“ kennen, hinzugelernt hat, ist blitz¬
ein Kind hätte haben mögen! Das Bedauern um Rittners
wenig — wenigstens an dem gemessen, was anderswo für
bevorstehenden Weggang vom Lessingtheater verdoppelt und
die stimmungsvolle Herausarbeitung der inneren Melodie
verdreifacht sich, wenn man einen solchen Ersatzmann an
einer Bühnendichtung geschieht. Dabei haben wir es bei
seine Stelle treten sieht. Gewiß, hier liegt ein tragischer
dieser Erinnerung und Gegenwart, Gegenwart und Ahnung
Fall vor. Eine künstlerische Regie muß Zucht, strenge
symphonisch verwebenden Lebens= und Todeselegie mit einem
Zucht halten, und wenn Rittner seinen grollenden Unmut
Werke zu tun, das ganz auf Lyrik und Symbolik gestellt
über eine ihm zudiktierte widerwärtige Rolle (der Forst¬
ist, das nur den geringeren Teil seiner schmerzlich=süßen
adjunkt in Schnitzlers jüngstem Stück „Der Rus des
Reize enthüllt, wenn den Stimmen der äußeren, sichtbaren
Lebens“) nicht verbeißen konnte, wenn er diesen Unmut
Handlung nicht die inneren Stimmen der Natur und der
auch beim Spiel offen zur Schau trug, so blieb vielleicht
Umgebung verständnis= und bedeutungsvoll entgegenkommen.
nichts anderes übrig, als ihn fahren zu lassen. Eine
Ich zweifle keinen Augenblick daran, daß man das im
starke, großzügige Regie würde auch eine solche Lücke mög¬
Lessingtheater so gut weiß und fühlt, wie ich; ja hier und
licherweise durch ein um so glänzenderes Zusammenspiel
da, namentlich in den Gartenszenen bei Wegraths und in
auszufüllen vermögen — von dem Lessingtheater ist das
der Parkszene bei Herrn von Sala sind sogar schüchterne An¬
nach seinen jüngsten Leistungen nicht mehr zu hoffen.
sätze zu bemerken, dieser heimlichen symbolischen Wechsel¬
Ohne Rittner und die Lehmann — denn auch sie geht ja
wirkung zwischen Natur und Menschen, zwischen äußerem
wird das Ende seiner Glanzperiode hald besiegelt fein.
und innerem Geschehen zur lebendigen Anschauung zu ver¬
F. D.
helfen. Aber nicht minder deutlich zelgt sich doch auch, wie
schwer die nüchterne Tradition der naturalistischen Ver¬
Im
mand über seinen eigenen Schatten springen kann.
gangenheit auf der Brahmschen Regie lastet und daß nie¬
zweiten Akt soll ein „recht vornehmes“ Zimmer gezeigt wer¬
den, die Behausung eines Künstlers, der auf den Höhen
des Lebens und des Genusses geschritten ist, dessen wiene¬
rische Aesthetenseele sicher nichts Geschmackloses in ihrer Nähe
duldet. Offenbar hat sich der Dekorateur bemüht, dem „Rech¬
nung zu tragen". Aber was ist dabei herausgekommen? Ein
Diplomatenschreibtisch von anno 1890, ein paar geschnitzte
im
Bücherschränke, ein par rote Klubsessel und
Hintergrunde ein Erker mit einem Bogen in buntem moder¬
nem Schnitzwerk und einer Ballustrade von blankpolierten
gedrechselten Nußbaumsäulchen! Schauderhaft und unerträg¬
lich für diesen Schönheitsegoisten! Dies nur ein Beispiel
dieser Regie
für viele, die alle gleich sehr die Unfähigkeit
zu erfühlen
beweisen, den Duft und Flaum einer Szene
und auch dem Zuschauer fühlbar zu machen. Von dem
inneren Rhythmus der Aufführung will ich gar nicht
sprechen; derlei unwägbare Feinheiten waren der Brahm¬
Bühne immer böhmische Dörfer.
Anders klingt das Lied, sobald man auf die einzelnen
schauspielerischen Leistungen kommt. Wer einen Rittner,
einen Bassermann einen Sauer, eine Triesch und eine
Lehmann ins Feld führen kann, der ist noch immer reich.
Und wenn die Männer so ernst und ehrlich an sich arbeiten
wie der Darsteller des Stephan von Sala (Basser¬
mann) und der des alten Wegrath (Sauer), so kann
das Wunder geschehen, daß ihre Leistungen jetzt noch reicher,
feiner und vornehmer erscheinen als vor zwei Jahren, wo
sie doch schon Bewunderung genug erregten. Insbesondere
Bassermann hat jetzt noch eine ganze Anzahl neuer, leiserer
und differenzierterer Ausdrucksformen für die vorschwebenden
geistigen Regungen und Schwingungen gefunden, aus denen
sich dieser wurzellose und unfruchtbare, von den Sensa¬
tionen des Lebens ermüdete Schöngeist zusammensetzt. Was
er durch immer erneutes, immer verstärktes Ringen einem
widerwilligen Organ und einem ungelenken Temperament
ablisten muß — vielleicht erscheint er uns dadurch gerade
lut