18. Der einsane Neg box 23/3
Die Schaubühne
489
lage im Kampf um ein höheres Dasein die andere Hälfte der
Dichtung ausfüllt. Um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts
hieß Sala William Lovell und Roquairol, bei Bourget heißt er
Dorsenne und Armand de Querne. Diese Menschen — es kommt
hier weniger auf die Unterschiede fals auf das Gemeinsame an —
waren nie jung und von jeher skeptisch, früh friedlos und schnell leer¬
gebrannt; hatten immer zu viel Wissen und zu wenig Willen,
keinerlei Unmittelbarkeit, aber das verfeinertste Nervensystem von
schmerzlicher Erregbarkeit. Sala ist der interessanteste. „Was ich
besitze, seh ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu
Wirklichkeiten“. Seine Selbstbeobachtung verwehrt ihm die Hingabe
an den Augenblick. Jede Empfindung geht ihm zuerst ins Hirn,
wird da zersetzt und erreicht selten das Herz. Seine Dramen
müssen nicht nur Irenen Herms, der Schauspielerin von starken
Impulsen und warmblütiger Naivität, schrecklich gewesen sein. Die
Kühle seines Naturells hat einen Abgrund um ihn geschaffen, in den
er am Ende versinkt. Über den feinschmeckerischen Kosmopoliten
aber, der noch sein Sterben zu arrangieren weiß, wie er sein Leben
arrangiert hat, erhebt sich am Ende die ernste, wenn auch arme
Auffassung vom nahen, aber bestimmten Lebensziel, von der be¬
grenzten Wirksamkeit als der Schlußsumme aller Weisheit und der
sichersten Art von Glück.
Von Glück? Ach, die schlecht und recht auf der goldenen
Mittelstraße im Dutzend geblieben sind, werden bei Schnitzler noch
weniger glücklich als die Libertiner der Phantasic und des Fleisches,
die doch ihre blauen Jugendsehnsüchte und ihre höchst erdhaften
Genüsse gehabt haben. War dieser Ausblick die Absicht, oder ist
dem Dichter die Physiognomie seines Stückes so verschwommen
geraten, daß sein menschlicher Standpunkt nicht klar wird? Auch
sonst entstehen ja bei ihm ethische Fragwürdigkeiten aus künstlerischer
Schwäche. Wie Ibsen hat Schnitzler in den engen Grenzen räum¬
licher und zeitlicher Einheit aus Längstvergangenem nur die letzten
Schlüsse ziehen wollen. Aber wem das gelingen soll, der muß
die Kunst besitzen, mit der bei Ibsen die Vergangenheit und der
Augenblick sich gegenseitig durchleuchten. Es ist nötig, daß Julian
Fichtner seinem Sohn Felix erzählt, wie er sich vor vierundzwanzig
Jahren benommen hat. Schnitzler kann den Maler seine
Handlungsweise nur so schildern lassen, wie er sie als junger leicht¬
sinniger Bursch gesehen hat, als wäre er inzwischen nicht vier¬
Die Schaubühne
489
lage im Kampf um ein höheres Dasein die andere Hälfte der
Dichtung ausfüllt. Um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts
hieß Sala William Lovell und Roquairol, bei Bourget heißt er
Dorsenne und Armand de Querne. Diese Menschen — es kommt
hier weniger auf die Unterschiede fals auf das Gemeinsame an —
waren nie jung und von jeher skeptisch, früh friedlos und schnell leer¬
gebrannt; hatten immer zu viel Wissen und zu wenig Willen,
keinerlei Unmittelbarkeit, aber das verfeinertste Nervensystem von
schmerzlicher Erregbarkeit. Sala ist der interessanteste. „Was ich
besitze, seh ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu
Wirklichkeiten“. Seine Selbstbeobachtung verwehrt ihm die Hingabe
an den Augenblick. Jede Empfindung geht ihm zuerst ins Hirn,
wird da zersetzt und erreicht selten das Herz. Seine Dramen
müssen nicht nur Irenen Herms, der Schauspielerin von starken
Impulsen und warmblütiger Naivität, schrecklich gewesen sein. Die
Kühle seines Naturells hat einen Abgrund um ihn geschaffen, in den
er am Ende versinkt. Über den feinschmeckerischen Kosmopoliten
aber, der noch sein Sterben zu arrangieren weiß, wie er sein Leben
arrangiert hat, erhebt sich am Ende die ernste, wenn auch arme
Auffassung vom nahen, aber bestimmten Lebensziel, von der be¬
grenzten Wirksamkeit als der Schlußsumme aller Weisheit und der
sichersten Art von Glück.
Von Glück? Ach, die schlecht und recht auf der goldenen
Mittelstraße im Dutzend geblieben sind, werden bei Schnitzler noch
weniger glücklich als die Libertiner der Phantasic und des Fleisches,
die doch ihre blauen Jugendsehnsüchte und ihre höchst erdhaften
Genüsse gehabt haben. War dieser Ausblick die Absicht, oder ist
dem Dichter die Physiognomie seines Stückes so verschwommen
geraten, daß sein menschlicher Standpunkt nicht klar wird? Auch
sonst entstehen ja bei ihm ethische Fragwürdigkeiten aus künstlerischer
Schwäche. Wie Ibsen hat Schnitzler in den engen Grenzen räum¬
licher und zeitlicher Einheit aus Längstvergangenem nur die letzten
Schlüsse ziehen wollen. Aber wem das gelingen soll, der muß
die Kunst besitzen, mit der bei Ibsen die Vergangenheit und der
Augenblick sich gegenseitig durchleuchten. Es ist nötig, daß Julian
Fichtner seinem Sohn Felix erzählt, wie er sich vor vierundzwanzig
Jahren benommen hat. Schnitzler kann den Maler seine
Handlungsweise nur so schildern lassen, wie er sie als junger leicht¬
sinniger Bursch gesehen hat, als wäre er inzwischen nicht vier¬