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18. Der einsane- Neg
hingeben? Nein! So ließ er Gabriele im Stiche, dieboten überaus fein individualisierte Gestalten. Herr
Wegerath heirateie. Nach zehn Jahren erfährt er, daß [Reicher hingegen als Julian Fichtner schien uns nicht
der Sprößling dieser Ehe, die in ungetrübtem Glück sich ganz den Intentionen des Dichters zu entsprechen. Fichtyer
abspinnt, sein Sohn sei. Weitere dreizehn Jahre sind
soll ein Charmeur sein — aber gerade diesen Zauber der
verstrichen. Felix, so
heißt der Sohn, ist jetzt ein
Persönlichkeit vermißte man in dem Interpreten der Rolle.
dreiundzwanzigjähriger, schmucker Uhlane. Diesem Sohne,
Frau Else Lehmann huschte in einer Episodenrolle
der kürzlich seine Mutter verloren, enthüllt Fichtner das
vorüber, die sie mit entzückendem Humor und erquicklicher
Geheimnis seiner Gehurt. Er beschönigt nichts. Er allein Gemütsinnigkeit ausstattete. Marco Brociner.
war der Schuldige. Er war es, der das arme Mädchen
betrog und verriet. Warum er es getan? Aus dem gleichen
Motiv, das Goethe dazu trieb, die elsässische Pfarrers¬
tochter zu verlassen. Egoismus der großen Künstlernatur.
1 Und dabei pocht er leise an das Herz des jungen Mannes.
Nun aber erfährt er, daß die physiologische Tatsache der
Vaterschaft nichts bedeutet, daß die Vaterschaft nur durch
jene Liebe erworben wird, die rastlos sorgt und wacht,
Stunde für Stunde, Tag für Tag, Monate und Jahre
hindurch. Sein Sohn wendet sich von ihm. Jetzt ist er
auch als Mensch bankerott. Und nun erst ist es auf seinem
Lebenswege still und einsam für immer.
Das Stück ist eigentlich aus. Schnitzler schien jedoch
seine Grundidee durch dieses eine Beispiel nicht eindringlich
genug illustriert. Er variierte daher sein Hauptmotiv in
zwei anderen Gestalten des Schauspieles. Ebenso wie dem
Maler Fichtner, ist auch dem Dichter Sala Leben und
Kunst zerronnen. Ist beiden Fällen die gleiche seelische
Struktur. Nur daß Sala überdies mit einem Todeskeime
behaftet ist. Der merkwürdigste Kasus ist aber Johanng,
die Tochter, die wirkliche Tochter Wegeraths, der, nebenbei
bemerkt, Direktor der Akademie der bildenden Künste ist.
Johanna ist Sala und Fichtner ins Weibliche traßs¬
poniert. Eine Hysterikerin, die alles Schöne und alles Ge¬
meine im Leben auskosten will. Ein Weib ohne Herz, ohne
Gemüt, aber mit einer glühenden, krankhaft erregten
Phantasie. Darum erscheint ihr Sala als Ideal eines
Mannes. Das ist ja ein schönheitssüchtiger Aesthet, der
auch alle Perversitäten des Lebens aus dem Grunde kennt.
Diesem Manne gibt sie sich willenlos hin. Dann geht sie
ins Wasser. Das Motiv, das sie zum Selbstmorde drängt,
ist nicht recht klar. Man muß, um es zu ergründen,
Zeichendeuterei treiben. Johanna weiß, daß Sala dem
Tode geweiht ist. Sie hat mit ihm in einem flüchtigen
Rausche die Schönheit des Lebens ausgeschlürft. Was kann
ihr das Dasein noch bieten? Sie wirft es von sich.
Was ist der Sinn des Ganzen? Will Schnitzler den
gealierten Don Juan zeigen? Ihn vorführen, wie er aus¬
schaut, wenn seine Lust ausgetobt, wenn er vergebens um
einen Funken echter, ehrlicher Liebe bettelt, und die trost¬
lose Erkenntnis in ihm aufdämmert, daß seine Lebens¬
J K X4 Gahlspiel des Tessing=Thealers.
weisheit zu Schanden geworden? Man darf diese Frage
Theater an der Wien.)
bejahen und dabei dem Stücke noch eine andere Deutung
Zum erster Mal: „D
*Schauspiel in fünf
geben. Dr. Neumann, eine Figur im Schauspiel, sagt:
Alen von Arigut. SARL24AL.
„Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den
Der Maler Julian Fichtner wandert einsam auf
Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so ver¬
seinem Lebenswege dahin. Aber diese Einsamkeit ist mit
ehrungswürdig wie eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
reizenden Liebesepisoden reich durchwoben. Fichtner ist ein
möchie, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das
feinsinniger, schönheitssüchtiger und gemütsloser Lebens¬
Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der
Künstler, alse kein taumelnder Genußling, der blind¬
Zukunft zu verwirren“. Was hier ausgesprochen wird, ist
ings der Lehre des Epikuräers Horaz folgt: Carpe diem!
die Grundidee in Ibsens „Wildente“ und diese Idee leuchtet
Pflücke, was dir der Tag bringt! Er genießt aus dem
auch aus dem „Einsamen Weg“ herpor. Nirgends steht
Vollen, aber mit Bedacht und kluger Auswahl und hält
nämlich Schnitzler so unter dem Banne des nordischen
abei beide Augen offen, um sich ja nicht zu verlieren. Sich
Dramatikers wie hier. Das ist der Unsegen dieses Werkes.
erlieren — das heißt durch ein Weib für immer
So reich auch dieses Schauspiel an poetischen Schön¬
sich fesseln lassen. Das heißt
heiraten. Davor
heiten ist, so schimmert uns doch eindringlich die fremde
t es ihm, Wozu heiraten, so lange es
Ibsensche Rüstung entgegen, die der Dichter trägt. Zunächst
Frauen und Bräute anderer gibt? Die lockt man
in der technischen Struktur. Die Vorgeschichte lastet wuchtig
n sich. Man belügt und betrügt. Dutzendmenschen lassen
auf dem Stücke, erbrückt es und läßt es nicht aus sich selbst
ich hiebei durch moralische Skrupel beirren. Fichtner lacht
heraus frei aufatmen. In jeder bedeutenden Szene springen
über die landläufige Moral. Als vollendeter Individualist
Erinnerungen auf, erwacht Totes, wird Vergangenes und
#mordet er Frauenseelen mit der gleichen Unschuld, mit der! Vergessenes aufgerollt. Am tiefsten offenbart die Ibsensche
in Raubtier das Blut seines Opfers schlürft. Also
Prägung die Gestalt der Johanna, die auch dem
igentlich ein Don Juan, der in seinen Mußestunden den
Puhlikum völlig unklar blieb, Man muß allerhand mystische
Pinsel führt und Nietzsche liest.
Schleier lüften, bis man den Kern dieses seltsamen
18. Der einsane- Neg
hingeben? Nein! So ließ er Gabriele im Stiche, dieboten überaus fein individualisierte Gestalten. Herr
Wegerath heirateie. Nach zehn Jahren erfährt er, daß [Reicher hingegen als Julian Fichtner schien uns nicht
der Sprößling dieser Ehe, die in ungetrübtem Glück sich ganz den Intentionen des Dichters zu entsprechen. Fichtyer
abspinnt, sein Sohn sei. Weitere dreizehn Jahre sind
soll ein Charmeur sein — aber gerade diesen Zauber der
verstrichen. Felix, so
heißt der Sohn, ist jetzt ein
Persönlichkeit vermißte man in dem Interpreten der Rolle.
dreiundzwanzigjähriger, schmucker Uhlane. Diesem Sohne,
Frau Else Lehmann huschte in einer Episodenrolle
der kürzlich seine Mutter verloren, enthüllt Fichtner das
vorüber, die sie mit entzückendem Humor und erquicklicher
Geheimnis seiner Gehurt. Er beschönigt nichts. Er allein Gemütsinnigkeit ausstattete. Marco Brociner.
war der Schuldige. Er war es, der das arme Mädchen
betrog und verriet. Warum er es getan? Aus dem gleichen
Motiv, das Goethe dazu trieb, die elsässische Pfarrers¬
tochter zu verlassen. Egoismus der großen Künstlernatur.
1 Und dabei pocht er leise an das Herz des jungen Mannes.
Nun aber erfährt er, daß die physiologische Tatsache der
Vaterschaft nichts bedeutet, daß die Vaterschaft nur durch
jene Liebe erworben wird, die rastlos sorgt und wacht,
Stunde für Stunde, Tag für Tag, Monate und Jahre
hindurch. Sein Sohn wendet sich von ihm. Jetzt ist er
auch als Mensch bankerott. Und nun erst ist es auf seinem
Lebenswege still und einsam für immer.
Das Stück ist eigentlich aus. Schnitzler schien jedoch
seine Grundidee durch dieses eine Beispiel nicht eindringlich
genug illustriert. Er variierte daher sein Hauptmotiv in
zwei anderen Gestalten des Schauspieles. Ebenso wie dem
Maler Fichtner, ist auch dem Dichter Sala Leben und
Kunst zerronnen. Ist beiden Fällen die gleiche seelische
Struktur. Nur daß Sala überdies mit einem Todeskeime
behaftet ist. Der merkwürdigste Kasus ist aber Johanng,
die Tochter, die wirkliche Tochter Wegeraths, der, nebenbei
bemerkt, Direktor der Akademie der bildenden Künste ist.
Johanna ist Sala und Fichtner ins Weibliche traßs¬
poniert. Eine Hysterikerin, die alles Schöne und alles Ge¬
meine im Leben auskosten will. Ein Weib ohne Herz, ohne
Gemüt, aber mit einer glühenden, krankhaft erregten
Phantasie. Darum erscheint ihr Sala als Ideal eines
Mannes. Das ist ja ein schönheitssüchtiger Aesthet, der
auch alle Perversitäten des Lebens aus dem Grunde kennt.
Diesem Manne gibt sie sich willenlos hin. Dann geht sie
ins Wasser. Das Motiv, das sie zum Selbstmorde drängt,
ist nicht recht klar. Man muß, um es zu ergründen,
Zeichendeuterei treiben. Johanna weiß, daß Sala dem
Tode geweiht ist. Sie hat mit ihm in einem flüchtigen
Rausche die Schönheit des Lebens ausgeschlürft. Was kann
ihr das Dasein noch bieten? Sie wirft es von sich.
Was ist der Sinn des Ganzen? Will Schnitzler den
gealierten Don Juan zeigen? Ihn vorführen, wie er aus¬
schaut, wenn seine Lust ausgetobt, wenn er vergebens um
einen Funken echter, ehrlicher Liebe bettelt, und die trost¬
lose Erkenntnis in ihm aufdämmert, daß seine Lebens¬
J K X4 Gahlspiel des Tessing=Thealers.
weisheit zu Schanden geworden? Man darf diese Frage
Theater an der Wien.)
bejahen und dabei dem Stücke noch eine andere Deutung
Zum erster Mal: „D
*Schauspiel in fünf
geben. Dr. Neumann, eine Figur im Schauspiel, sagt:
Alen von Arigut. SARL24AL.
„Eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, daß sie den
Der Maler Julian Fichtner wandert einsam auf
Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens so ver¬
seinem Lebenswege dahin. Aber diese Einsamkeit ist mit
ehrungswürdig wie eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
reizenden Liebesepisoden reich durchwoben. Fichtner ist ein
möchie, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das
feinsinniger, schönheitssüchtiger und gemütsloser Lebens¬
Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der
Künstler, alse kein taumelnder Genußling, der blind¬
Zukunft zu verwirren“. Was hier ausgesprochen wird, ist
ings der Lehre des Epikuräers Horaz folgt: Carpe diem!
die Grundidee in Ibsens „Wildente“ und diese Idee leuchtet
Pflücke, was dir der Tag bringt! Er genießt aus dem
auch aus dem „Einsamen Weg“ herpor. Nirgends steht
Vollen, aber mit Bedacht und kluger Auswahl und hält
nämlich Schnitzler so unter dem Banne des nordischen
abei beide Augen offen, um sich ja nicht zu verlieren. Sich
Dramatikers wie hier. Das ist der Unsegen dieses Werkes.
erlieren — das heißt durch ein Weib für immer
So reich auch dieses Schauspiel an poetischen Schön¬
sich fesseln lassen. Das heißt
heiraten. Davor
heiten ist, so schimmert uns doch eindringlich die fremde
t es ihm, Wozu heiraten, so lange es
Ibsensche Rüstung entgegen, die der Dichter trägt. Zunächst
Frauen und Bräute anderer gibt? Die lockt man
in der technischen Struktur. Die Vorgeschichte lastet wuchtig
n sich. Man belügt und betrügt. Dutzendmenschen lassen
auf dem Stücke, erbrückt es und läßt es nicht aus sich selbst
ich hiebei durch moralische Skrupel beirren. Fichtner lacht
heraus frei aufatmen. In jeder bedeutenden Szene springen
über die landläufige Moral. Als vollendeter Individualist
Erinnerungen auf, erwacht Totes, wird Vergangenes und
#mordet er Frauenseelen mit der gleichen Unschuld, mit der! Vergessenes aufgerollt. Am tiefsten offenbart die Ibsensche
in Raubtier das Blut seines Opfers schlürft. Also
Prägung die Gestalt der Johanna, die auch dem
igentlich ein Don Juan, der in seinen Mußestunden den
Puhlikum völlig unklar blieb, Man muß allerhand mystische
Pinsel führt und Nietzsche liest.
Schleier lüften, bis man den Kern dieses seltsamen