II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 306

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18. Der einsane Neg
Männermente, die er da auf die Beine stellt, die hält das
Stehen nicht aus. Der Hahnrei von Mann mag noch hin¬
gehen, der 23 Jahre neben seiner schuldbeladenen Frau
geht, ein zweites Kind mit ihr zeugt und von ihrer Seele
so gar nichts zu erhaschen weiß. Auch der eigentümliche
Liebhaber mag gelten, der die größten Gemeinheiten wie
sphilosophische Grundsätze aufstellt und schließlich auch noch
Der einsame Weg in großer Gesellschaft.
vom Sohne verlangt, der solle Vater und Mutter ver¬
00 Mi „Zur Schnitzler=Premiere.)
lassen und mit ihm gehen, mit ihm, der ihm nichts als
den Keim des Lebens gegeben hat. Herr M. U. Dr. Artur
Premieren von heute. Die glänzende Familie des
Schnitzler muß es ja doch wissen, ob dieser erste Keim
Dichters füllt Logen und Parkett. Brillantenstrahlende
für ein Lebewesen genügt und kein Nachfolger Teil an
Frauen, Männer von Rang und Namen. Der Wohlstand
diesem Leben hat.
des Dichters harmonisiert nicht mit seinen dichterischen
Vorwürfen, nicht mit dem Milien seiner Schilderung
Aber nun kommt das „Wunderbare“, was ein ge¬
es berührt wie Koketterie
wie wenn ein reicher wöhnlicher Menschenverstand nicht versteht. Diesen Sohn,
Bankier über schlechte Zeiten klagt, die Präsidentin eines der seine Mutter abgöttisch zu lieben scheint, so abgöttisch,
Modeklubs über Vereinsamung.
so schwärmerisch, daß ein bloßes Pastellbild ihm ihr
Das Kapitel von der Einsamkeit schlägt Schnitzler ganzes Geheimnis enthüllt, diesen Sohn vermag der
diesmal an. Der einsame Weg führt von der pflichtver= Betrug an seinem Ideale nicht mehr aufzuregen, als daß
gessenen Selbstliebe seitwärts, verliert sich und endet inser dem neugebackenen Vater nach ruhiger Ueberlegung
freudlosem Alter. Das Dogma ist nicht neu, höchstens eine Moralpauke hält. So etwa: „Aber Papa, das war
könnte es die Begründung sein. Die Schnitzlersche Be=nicht hübsch von dir. Dafür kann ich dich auch nun nicht
gründung will gar zu originell sein; sie klügelt eine Be¬kanerkennen.“ So etwa spricht der Herr Sohn und er¬
weisführung heraus, die manchmal zum Lächeln reizt,schlägt damit entweder seine schwärmerische Liebe zu
am Schlusse befremdet. Und dazu hat sie bloß Worte für seiner toten Mutter oder seine ganze Logik für das Straf¬
ihre Beweise. Mit Worten läß sich tapfer streiten — aber
gericht an seinem Papa. Entweder er begreift die Hand¬
keine dichterische These beweisen. Man hört die Botschaft, lung seines beredten Vaters, dann entfiele dieser theate¬
oftmals in berückend klugen und feingesagten Worten —
ralische Schluß, oder er begreift sie nicht, dann würden ein
aber der Glaube will sich nicht einstellen. Und wenn mans paar ehrliche Entrüstungsworte wie eine Befreiung wirken.
dem Dichter nicht glaubt, hat er umsonst gesprochen.
Aber nur nicht dieses melancholische Hindämmern in
Julian Fichtner, ein Maler, soll den einsamen Wegsplätschernder Beredsamkeit, nicht diese unnatürliche Blut¬
gehen. Er hat in Frühlingstagen seines Lebens und des leere eines in Liebe gezeugten Kindes. Liebe oder Haß
Jahres ein Mädchen geliebt, das schon mit einem anderen kann es hier nur geben, alles andere wirkt peinlich und
verlobt war. Er hat ihr Herz und ihre Jungfräulichkeit lächerlich.
genommen, und als er beides hatte, hat er seinen Lebens¬
Danebenher läuft noch manches Seltsames, krank¬
rausch weiter genießen wollen, hat das Mädchen dem haft Romantisches. Ein abgelebter Philosoph ergreift im
Anderen gelassen und ist auf und davon. Daß ihm die Fluge ein junges Mädchen, das sich ihm ergibt, ihm in
Frau nicht gezürnt, ihm vergeben, ihrem 23jährigen Sohne, den Tod vorausgeht, der ihm gewiß ist; ein junger Arzt,
von den schönen Tagen erzählt, ihrem Manne aber garssder dieses Mädchen liebt, erträgt stumm die Resignation
nichts gesagt hat, das mag im mysteriösen Frauencharakter seiner hoffnungslosen Liebe, ohne auch nur mit einem
liegen; mit Frauen mag der Dichter anfangen, was er Worte für seinen Traum von Glück und Freude einzu¬
will, er wird nichts Unmögliches sagen können. Aber die stehen. Es ist einem, als hätte Herr Schnitzler diesem
jungen Hünen gesagt: „Du, das ist nichts für dich, das einer feischen Tat an
Aus demsim sonnigen Süden,
ist ein Ibsenmädchen, fang dir nichts an ...
Charakter des Mädchens ist nämlich bis zum verhängnis=ssich echte Lorbeeren
vollen Ende gar nicht zu erkennen, warum dieses lebens=ffarbigen Wirklichkeit
warme Geschöpf nicht lieber einen jungen strammen Arzt, Kräfte sammeln, die
als einen ausgemergelten Wüstling zum Manne nehmen nahe aufgerieben sind
Die Darstellung
sollte. Solche dichterische Verirrungen in Ibsenscher Manier
mit Schweigen begründen wollen, heißt Ibsen wohl nach= aber „schuld an alle
ahmen, ihm aber keineswegs nachstreben. Ibsens Schweigen [Bassermann ist
wirkt zwar überzeugender, als der Schnitzlersche Worte sim Champagnerkübel
reichtum; solche Dinge aber würde Ibsen niemals ver=fliche Natur, mag sie
schwiegen haben. Er zeichnet stets sehr sorgfältig den ksichere Derbheit mach
Charakter, aus dem die Konsequenzen einer Handlung ent=fkargen Schmachtlappet
springen.
klar zergliedern, un
Man hat also von der ganzen Handlung nur das er nicht lebendig zu
Gefühl des Unbefriedigtseins, man hört und sieht eine grundtiefe Leidenschaf
andeuten und das
ausgeklügelt unglückliche Familiengeschichte, ohne zu
empfinden, daß sich diese Geschichte aus der Konsequenz eine Darstellerin des
der Charaktere heraus entwickelt. Kein Wunder also,fertig würde. Bleibt
daß man an die ganze Geschichte nicht glaubt und sie Augenräder vergeben
zum Schlusse wie einen Kolportageroman aus dem Gedächt= der aber in Momen
nisse verliert. Man hört einen Blinden von der Farbe Laute hat und Fr
reden und einen in der Gesellschaft lustig Mitschwimmen= Wiener Schauspielen
den von der Einsamkeit. Der Weg des Herrn Fichtner straße (Zeitstunden
könnte sich bis in eine Schnitzlersche Premiere verirren.
resoluten Art des Z
In den Logen schöne brillantenbehangene Frauen, das
Erfolg ihres großen
noch Herr Sauer
Professorenkollegium der Fakultät des Bruders
glückliche Einsamkeit des Dichters, der ein Parterre von facher Schlichtheit be
nen Feint
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