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18. Der einsane Nen
Die Schaubühne
in der oder jener Figur hätten aufkommen können. Man liebt es bei
uns, wenn eine Persönlichkeit von so suggestiv sinnfälligen Kräften sich
möglichst schrankenlos, und sei es selbst ein wenig über die reine künst¬
lerische Linie hinaus, entfaltet. Seine auffallendste und von den meisten
geliebte Leistung war vielleicht der Hjalmar. Seine edelste und am vor¬
nehmsten stilisierte war aber Stefan von Sala in Schnitzlers „Einsamem
Weg“. Die ganze Darstellung des wienerischen Stücks überhaupt konnte
uns Wienern den eindringlichsten Begriff von der Wandlung des
Brahmschen Theaters geben. Nichts oon Milieu; keinerlei Echtheit, die
aus dem Lokalkolorit geholt war; die Worte Salmannsdorf und Neustift
klangen da, als wäre von iegendwelchen preußischen Dörfern die Rede.
In der Ortschaft fühlte man sich gar nicht zuhause. Aber ein paar von
diesen Menschen kamen nahe, ganz nahe heran, in wunderbar heller, von
innen durchleuchteter Klarheit. Vor allen Bassermanns Sala und
Sauers Professor Wegrath. Bassermann hat man hier in keiner andern
Rolle so gesammelt, alle Kräfte nach innen wendend, auf die schlanksten,
sparsamsten Linien konzentriert gesehen. Und Sauer schlug seine be¬
strickend tiefen Augen auf, ließ den unnachahmlich edeln, schmerzvoll ver¬
haltenen Ton seiner Stimme erzittern und wurde als große kostbare
Künstlerpersönlichkeit empfunden und geliebt. War es Bassermann ge¬
geben, mit seiner überlebendigen Kraft die stärkste und weitestgreifende
Wirkung zu erreichen, so traf Sauet die Herzen, die ihm zuschlugen,
gleich bis ins Tiefste und pflanzte ihnen die unveräußerliche Erinnerung
an seine erhabenen, von heiligem Schmerz gekrönten Gestaltungen ein.
Nach seinem Wegrath hatte er die ganze Liebe derer, die die Tiefe seiner
stillen Kunst ermessen können; nach seinem Gregers Werle genoß er bei
ihnen eine so innige und dankbare Verehrung, wie sie auch im theater¬
fiebrigen Wien nur ganz wenigen Schauspielern dargebracht wird.
Ziemlich schlecht erging es diesmal Reicher. Von seinem unan¬
genehm falschen, interesselosen Julian Fichtner gar nicht zu reden.
Aber auch seine andern Figuren wurden höchstens mit dem Respiekt
gewürdigt, den man seinen frühern Verdiensten schuldig zu sein
glaubte. Nirgends konnte er die Hörerschaft so einfangen, daß sie ich
ihm freudig und ohne Bedenken hingab. Man empfand ihn den andern
gegenüber als zu kühl, als absichtsvoll überlegen, ja als arm. Irgend
etwas vernünftelnd Naturalistisches ist in seiner Darstellungsweise ge¬
blieben, an das man nicht mehr gern erinnert sein wollte. — Die
Triesch hat hier einen seltsamen Zwiespalt der Meinungen aufgeregt.
Viele bewundern an ihr die Schärfe des Geistes, die Energie und
Sicherheit, mit der sie ausdrückt, was sie ausdrücken will. Andre
wenden sich unwillig von ihrer Erscheinung ab und lehnen sich erbittert
gegen ihre ganze Art auf, die ihnen erklügelt und im Innersten leblos
erscheint. Ich bin überzeugt, daß sie auf die Dauer in Wien ganz un¬
18. Der einsane Nen
Die Schaubühne
in der oder jener Figur hätten aufkommen können. Man liebt es bei
uns, wenn eine Persönlichkeit von so suggestiv sinnfälligen Kräften sich
möglichst schrankenlos, und sei es selbst ein wenig über die reine künst¬
lerische Linie hinaus, entfaltet. Seine auffallendste und von den meisten
geliebte Leistung war vielleicht der Hjalmar. Seine edelste und am vor¬
nehmsten stilisierte war aber Stefan von Sala in Schnitzlers „Einsamem
Weg“. Die ganze Darstellung des wienerischen Stücks überhaupt konnte
uns Wienern den eindringlichsten Begriff von der Wandlung des
Brahmschen Theaters geben. Nichts oon Milieu; keinerlei Echtheit, die
aus dem Lokalkolorit geholt war; die Worte Salmannsdorf und Neustift
klangen da, als wäre von iegendwelchen preußischen Dörfern die Rede.
In der Ortschaft fühlte man sich gar nicht zuhause. Aber ein paar von
diesen Menschen kamen nahe, ganz nahe heran, in wunderbar heller, von
innen durchleuchteter Klarheit. Vor allen Bassermanns Sala und
Sauers Professor Wegrath. Bassermann hat man hier in keiner andern
Rolle so gesammelt, alle Kräfte nach innen wendend, auf die schlanksten,
sparsamsten Linien konzentriert gesehen. Und Sauer schlug seine be¬
strickend tiefen Augen auf, ließ den unnachahmlich edeln, schmerzvoll ver¬
haltenen Ton seiner Stimme erzittern und wurde als große kostbare
Künstlerpersönlichkeit empfunden und geliebt. War es Bassermann ge¬
geben, mit seiner überlebendigen Kraft die stärkste und weitestgreifende
Wirkung zu erreichen, so traf Sauet die Herzen, die ihm zuschlugen,
gleich bis ins Tiefste und pflanzte ihnen die unveräußerliche Erinnerung
an seine erhabenen, von heiligem Schmerz gekrönten Gestaltungen ein.
Nach seinem Wegrath hatte er die ganze Liebe derer, die die Tiefe seiner
stillen Kunst ermessen können; nach seinem Gregers Werle genoß er bei
ihnen eine so innige und dankbare Verehrung, wie sie auch im theater¬
fiebrigen Wien nur ganz wenigen Schauspielern dargebracht wird.
Ziemlich schlecht erging es diesmal Reicher. Von seinem unan¬
genehm falschen, interesselosen Julian Fichtner gar nicht zu reden.
Aber auch seine andern Figuren wurden höchstens mit dem Respiekt
gewürdigt, den man seinen frühern Verdiensten schuldig zu sein
glaubte. Nirgends konnte er die Hörerschaft so einfangen, daß sie ich
ihm freudig und ohne Bedenken hingab. Man empfand ihn den andern
gegenüber als zu kühl, als absichtsvoll überlegen, ja als arm. Irgend
etwas vernünftelnd Naturalistisches ist in seiner Darstellungsweise ge¬
blieben, an das man nicht mehr gern erinnert sein wollte. — Die
Triesch hat hier einen seltsamen Zwiespalt der Meinungen aufgeregt.
Viele bewundern an ihr die Schärfe des Geistes, die Energie und
Sicherheit, mit der sie ausdrückt, was sie ausdrücken will. Andre
wenden sich unwillig von ihrer Erscheinung ab und lehnen sich erbittert
gegen ihre ganze Art auf, die ihnen erklügelt und im Innersten leblos
erscheint. Ich bin überzeugt, daß sie auf die Dauer in Wien ganz un¬