II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 382

vom
S
gabe der Entwicklung wurde zu weit fuhren. Es genüge der Hinweis.
daß Schnitzler des „Einsamen Weg“ im ersten Entwurse in Aerzte¬
Trnt in dunt.
kreisen hatte spielen lassen. Von den Medizinern, die das Stück fruher
beherrschten, ist allerdings nur eine einzige Figur geblieben, der Doktor
Aus der Theaterwelt.
Reumann, und auch der ist nahezu zu einer Episodenerscheinung ge¬
worden. Besonders kennzeichnend für den Ideenkreis, dem das Schauspie!
(Zur bevorstehenden Erstaufführung von Schnitzlers Schauspiel „Der
entsprungen ist, mag die Tatsache sein, daß Schnitzler dieses und die
einsame Weg“ im Burgtheater. — d Stückes in
Berlin und Wien — Beziehungen zu „Professor Bern¬
Spitalskomödie „Letzte Masken“ an ein= und demselben Nachmittag
bardi“. — Von den Schnitzler=Förderern unter der Theaterdirektion:
entworsen hat. Es war während einer Fahrt auf einem italienischen
Otto Brahm und Max Eugen Burckhard. — Hermann Bahrs
See, bei Le Prese nämlich. Der Dichter selbst hat erst kürzlich von
jüngste Gabe. — Von Stücken mit künstlichen Füßer.]
diesem eigentümlichen Zusammentreffen erzählt.
Die nächste Neuheit des Burgtheaters, Artur Schnitzlers
Direktor Brahm war Zeit seines Lebens stolz darauf, jenes
Schauspiel „Der einsame Weg“, ist wieder einmal ein Wiener Stück.
Schauspiel Schnitzlers — das seither in Deutschland als eines seiner
Nicht etwa, weil es in unserer Stadt spielt, ungefähr in der Gegend,
kraft= und gehaltvollsten gilt, wenn ihm auch bis nun keine besondere
in der sich der Dichter nunmehr angekaust hat, im vor. Altlichen
Theaterkarriere beschieden war — ans Bühnenlicht gebracht zu haben.
Villenviertel Wiens. Das ist Zufall; auch daß die Personen Kinder
Seinerzeit leitete Regisseur Lessing in Berlin die Inszenierung von
des Donaustrandes sind, daß sie unter uns leben könnten, macht dis
„Der einsame Weg". Aber so eigentlich war doch Dr. Brahm der
Wienertum der Dichtung nicht aus. Schließlich hebt sie ihr starts
spiritus rector des Ganzen. Viele Autoren, nicht nur Schnitzler,
Menschentum über Stadt= und Landesgrenzen weit hinweg. Aber dß
haben sich jetzt und in früherer Zeit mit der Frage beschäftigt, auf
das Schauspiel hier zum ersten Male ein Publikum ins Herz je¬
welche Art eigentlich dieser Direktor seinen starken Willen,
troffen, daß es in den Mauern dieser Stadt den Widerhall seiner
seine Verstandesüberzeugung, seine Empfindung — und zwar bis in
Idee gesunden und somit seine Bestimmung, seinen Beruf ent¬
die feinsten Ausläuser — seinen Herz= und Pulsschlag auf sein
deckt hat, das macht Wien zur Heimat des Stückes. Man wird
Ensemble übertragen hat. Von äußerlichen Mitteln, die er hiezu ange¬
sich vielleicht noch der merkwürdigen Schicksale dieses Gemtler¬
wendet hätte, nahm man sonst nichts wahr. Dr. Brahm saß
Dramas erinnern. In Berlin 1904, auf der Bühne Otto Brahms,
während der Proben stumm im Parkett — daß er mitten in einem
erblickte es das Rampenlicht. Der Abend gestaltete sich sehr b#wegt.
Akte den Dialog unterbrochen hätte, kam fast nic vor. Nur wenn ein
Am Schlusse des vierten Aktes, bei einer stummen Szene, schauerlich
Aufzug beendet war, eilte er auf die Bühne, zon ein paar Zettel mit
und nervenrüttelnd — ein unglückliches junges Mädchen sieht vor
Bleistiftnotizen aus der Tasche, nahm die einzelnen Darsteller zur
dem unheimlichen Teich, in dem es sein Grab findet — lächeten die
Seite und sprach mit ihnen ein paar Worte, doch so leise, daß sie
Berliner. Nein, sie wollten justament nicht mit ine Wasser springen,
gerade nur immer der hören konnte, den sie angingen. Das war
sie wollten sich überhaupt die Souper immung nicht verderben lassen.
aber auch alles. Dann lief er wieder ins Parkett und er wurde
Der letzte Akt konnte nach diesem Effekt an dem Schicksal des Schau¬
stummer Zuschauer. Und wenn dann alles fertig war, trug es doch
spiels nicht mehr viel ändern. Allerdings gab's am Tag nach der
nur das Antlitz Otto Brahms. Seine geistige Gegenwart hatte die
Premiere — es war ein Sonntag — eine Ueberraschung: Um die
Darsteller bei ihrem Schaffen beherrscht. Das war mehr als seine
Mittagsstunde erschien nämlich Dr. Brahm bei dem Wiener Dichter
Worte vermochten. Sie kannten seine Gedanken und suchten sie aus¬
im Hotel, um ihm einen Zettel zu übergeben. Es war der Kassen¬
zuleben und seine körperliche Gegenwart war nur geeignet, die Kräfte
der Darsteller nach diesem Ziele hin zu konzentrieren.
rapport.
„Was sagen Sie dazu, lieber Freund,“ rief der Direktor aus,
Ob das Problem der Willensübertragung auf dem Gebiete des
„wir sind für heute abends ausverkauft! Im Stück muß dock irgend
Theaters, sei es Bühne, sei es Zuschauerraum, jemals sich wird er¬
etwas besonderes stecken, das die Leute mächtig anzieht und — das
schöpfen lassen? Jede stärkere Natur, zum Dirigieren geboren, glaubt
wir noch nich kenuen!.
sich in dem Besitze jener geheimnisvollen Macht, die Massen indirekt
Der Dichter freute sich dieser Eröffnung. Aber als ständiges
oder gar direkt zu bezwingen. Max Burckhard, der ehemalige
Repertoirestück konnte sich das Schauspiel in Berlin nicht behäupten.
Direktor unseres Burgtheaters zum Beispiel, war von der Ueberzeugung
Anders, wie gesagt. war seine Aufnahme in Wien. Natürlich nicht im
durchdrungen, bei Premieren durch eine Art Fluidum, das von seiner
Burgtheater. Denn der damalige Direktor Dr. Paul Schlenther „flog“
Person aus auf das Parkettpublikum übergeht, den Leuten seinen
nicht auf den „Einsamen Weg“. Er hatte das Werk nicht annehmen
Willen aufzwingen zu können. So erzählt ein klassischer Zeuge,
wollen. Dafür aber kam Brahm damit nach Wien. Während eines
nämlich Hermann Bahr, in einem der entzückendsten öster¬
Gastspieles seiner Truppe im Theater an der Wien feierte
reichischen Bücher, die in den letzten Jahren geschrieben worden
es seine hiesige Premiere. Und der Erfolg war einer der stärksten, der
sind. Es nennt sich: „Erinnerungen an Burckhard“. Ein Büchlein,
jemals einer Dichtung Schnitzlers beschieden war. Das Publikum, von
indiskret bis zur Naivität und keck, aber so geistreich, daß man sich
allem Anfang warm und willig, wurde zum Schluß begeistert. Und
alles gefallen läßt. So erklärt uns Bahr u. a., warum Burckhard
diese Darstellung! Rittner hatte sich seit der Berliner Premiere aller¬
niemals die Direktionsloge benützt hat, sondern immer mitten unterm
dings von der Bühne zurückgezogen und gab nicht mehr den Julian
Publikum, im Parkett des Burgtheaters gesessen ist. Namentlich bei
Fichtner — aber die übrige Besetzung war geblieben: Bassermann
Premieren. Vergeblich hatten ihn der Intendant Baron Bezecny
gab den Sala, Sauer den Professor Wegrath, die Pauly
gebeten, traditionsgemäß so wie Wilbrandt und alle Vorgänger in der
die Gabriele, Stieler den Felix, Irene Triesch die Johanna,
Loge zu sitzen. Burckhard war nicht dazu zu kriegen und begründete
s. w.! Doch damit wenigstens
seinem Freunde Bahr sein Verhalten folgendermaßen, und zwar mit
Lilly Lehmann die Herms
einige dieser Gestalten aus dem Schatten der Vergangenheit
dem blutigsten Ernste: Es handle sich um keine Marotte. Er
in den helleren Bereich der Erinnerung treten, wollen wir nur ihre
müsse unter den Leuten sitzen, damit sic spüren, was er
Konturen ein wenig nachzeichnen: Professor Wegrath, seines Zeichens
wolle und Angst bekommen. Er wisse vor Premieren, so nach¬
Direktor der Akademie der bildenden Künste, ist jener Gatte, der im
mittags gegen vier Uhr, meistens schon ganz genau, ob er
Glück einer zufriedenen Ehe lebt, weil ihm sein Unglück verborgen
abends stark genug sein würde, durch die Kraft seines Willens dem
bleibt, weil er nicht weiß, daß nicht er, sondern sein Freund, der Maler
Publikum das neue Stück aufzuzwingen. Denn es komme nur darauf
Fichtner, der Vater seines Sohnes Felix ist. Der Verführer hat das
an — nicht auf das Stück, nicht auf die Darstellung, sondern eben
arme junge Weib damals schmählich verlassen. Nach Jahren al
darauf allein, daß er seinen Willen stark genug ins Publikum strömen
alternder Mann wiederkehrend, will er sich am Besitze seines Sohnes
lasse. Dazu müsse er ihm aber so nahe wie möglich sein. Von der
erwärmen. Felix weiß alles — aber Dankbarkeit, Mitleid, Liebe, sie
Loge aus verdampfe der Willensstrom, ehe er ins Publikum dringe.
sind stark, sind stärker sogar als Blut. Und so entscheidet sich Felix
Logischerweise gab Dr. Burckhard demgemäß nach Durchfällen nur sich
für jenen Vater, der ihn liebend erzogen hat, für den unglücklichen
selbst die Schuld. „Mir ist halt gestern im vierten Akt der Atem
Wegrath und läßt Fichtner siehen. Wegrath hatte überdies Frau
ausgegangen, ich hab' losg'lassen.“ Bahr kann natürlich seinem
und Tochter verloren; diese Tochter ist jene Johanna, die sich
Freunde auf solchem Wege nicht mehr folgen und knüpft daran die
in den Teich stürzt. Sie hatte sich mit einem Freund des Hauses,
höchst vernünstige kritische Bemerkung, Burckhard hätte besser getan,
dem totkranken Herrn v. Sala, eingelassen. Dieser Sala aber ist gleich
statt sich persönlich dem Publikum zum Kampfe zu stellen, lieber mit
Fichtner von der Art jener Menschen, die stets ihren „einsamen Weg“
seiner berühmten Willenskraft den einzelnen Schauspieler zu laden
werden gehen müssen, weil sie nicht fähig sind, sich die Liebe der
und dann mit dieser ganzen Batterie gegen das Publikum aufzufahren.
anderen — und stünden sic noch so nahe — durch ein Opfer zu er¬
So wie wir es soeben beim Theaterfeldherrn Brahm beooachtet haben.
kaufen. Mit diesen wenigen rohen Linien seien die Gestalten jenes Schau¬
Nun sind die beiden Theaterleiter tot, die das größte Verdienst
spiels in Erinnerung gebracht.
um die Geltung Artur Schnitzlers auf der Bühne seiner Zeit sich er¬
Es ist übrigens ganz merkwürdig — wir haben es erst kürzlich
worben haben: Burckhard, der ihm die Hofbühne eröffnet hat, noch
gehört — daß das Schauspiel „Der einsame Weg“ eigentlich die
ne der späteren Dichtung Professor Bernhardi“ enthält. Die Wieder= dazu mit einem Wiener Vorstadtdrama, der „Liebelei", und Brahm.
Ruratheater fallen gelasien