II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 405

18. Neg
schnitt aus: Die Zeit, Wien
20fE319/4
S
Cheater und Kunzt.
Burgtheater.
„Der einsame Weg.“
(Schauspiel in fünf Akten von Arthur Schnitzler.)
1—d Dieses Schauspiel ist unseren Bühnen längst
nicht mehr fremd. Brahm hat es vor Jahren nach
Wien gebracht und die Kunst Bassermanns hat
ihm damals große Eindringlichkeit gegeben.
Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seitdem
es der Dichter zum erstenmal hinausschickte; aber
es ist in dieser Zeit nicht älter geworden. „Der
einsame Weg“ ist die leere und kalte Lebensbahn,
die die sorglosen Wege eines nur von sich
selbst erfüllten Lebens ablöst: das Alter des
Egoisten. Den müde gewordenen Mann schildert
das Drama, der nun nach einem Halt in seinem
wurzellosen Leben sucht und ihn in dem Kind
einer längst erloschenen Jugendliebe zu finden
hofft. Aber der Jüngling weist ihn zurück; er
fühlt als seinen Vater den, der ihm sein Leben
aufgebaut hat, nicht den, der es ihm schenkte.
Und der Stille, Unscheinbare siegt über den
genialischen, faszinierenden Menschen, weil
Ernst, Güte und Treue siegen müssen. Denn sie
sind die lebenerhaltenden Kräfte.
Ein Vater fordert vergebens sein uneheliches
Find für sich. Das ist ein Stoff französischer
Effeklkomödien, ein altes Requisit unserer
Bühnen. Sonnenthal hat diesen Sohn sehr
oft reklamiert und der jeweilige jüngste Lieb¬
haber des Burgtheaters hat ihm mit der großen,
abweisenden Geste geantwortet. Aber niemals
hat sich das alchimistische Geheimnis der Kunst
schöner gezeigt als hier: das Geheimnis, aus
dem Gemenge unedler Stoffe das leib¬
haftige Gold aufglühen zu
sen. Und die
menschliche und geistige Fillle
Werkes läßt
alle Einwände vergessen. Gewiß, es hat zu
wenig sinnliche Lebendigkeit, um auf der Bühne
recht zu wirken; es lebt sich, um sein geistiges
Problem so reich als möglich zu gestalten, in
wei Schicksalen aus, die keine dramatische Ver¬
knotung haben. Das alles ist wahr. Aber ebenso
wahr ist es, daß ein solches Werk die Bühne adelt
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und wir uns mit Stolz seines Besitzes erfreuen
dürfen.
Das Drama stellt eine große Forderung an
die Darsteller: die Kunst, dem Wort die geistige
Bedeutsamkeit und doch die fließende Natürlich¬
keit des Gespräches zu geben. Frau Bleib¬
treu und Herr Paulsen haben diese Kunst
gestern bewundernswert geübt. Auch an der
warmen Jugend Gerasch', an der stillen Herz¬
lichkeit der Frau Haeberle und der intelli¬
genten Art des Herrn Herterich konnte man
Freude haben. Dann aber kam ein ganz
fremder Ton in das Spiel: Fräulein Wohl¬
gemuth schwärmte wie weiland Elsa von
Brabant und Herr Devrient irrte in den
ältesten Erinnerungen burgtheateriger Rhetorik
umher. Herr Walden aber war wie immer:
sehr klug, sehr sorgfältig, sehr liebenswürdig
und gar nicht interessant. Und er hatte die
interessanteste Rolle des ganzen Stückes in
seinen eleganten Händen. Das Publikum
grüßte den Dichter oft vor der Gardine; viel¬
leicht mit mehr Respekt als Enthusiasmus
dieses Mal.
Husschnitt aus:
Lakstreries Wiener Ezirablan
Wien
vom:
S
Theaterzeitung.
Hofburgtheater. Im Mai des Jahres 1906
wurde Schnitzlers Schauspiel „Der einsame
Von
Weg“ im Theater an der Wien aufgeführt.
einem Ensemble des Berliner Lessing=Theaters. Otto
Brahm und seine Künstler — Else Lehmann, Albert
Bassermann, Sauer, Reicher und Marr — kamen
nach Wien und vermittelten dem hiesigen Publikum
die Bekanntschaft mit dem Werke eines öster¬
mit der Schöpfung eines Wiener
reichischen Dichters,
Poeten, der als stolzer Besitz dieser Stadt gilt. Es
dauerte nahezu acht Jahre, bis das Hofburgtheater
den „Einsamen Weg“ seinem Repertoire einverleibte.
Wieder war es dem provisorischen Leiter vorbehalten,
gut zu machen, was definitive Direktoren ver¬
säumt hatten. So hat sich Hugo Thimig
Wir
sauch um Frank Wedekind bekümmert.
haben nach der Première von Schuitzlers Schauspiel
im Theater an der Wien ausführlich dieses Drama der
skrupellosen Selbstsüchtler und der verwundeten Ein¬
siedler gewürdigt, uns mit den gestellten Problemen be¬
schäftigt. Wieder handelt es sich um Liebe und um
Tod. Menschen werden gezeigt, die kein Recht haben,
vom Leben etwas zu begehren, weil sie nicht
imstande oder nicht willens sind, von der eigenen
die Liebe
Persönlichkeit zu spenden. Geschöpfe,
heischen, Wonnen einkassieren möchten, selbst aber
Sind es wirklich
jedes Opfer verweigern.
Menschen, die der Dichter auf der Bühne vorführt?
Sind es nicht Symbole, die er im Halbdunkel der
Szene auftauchen läßt? Einsame Wege sind die
letzten Stationen der Genußmenschen. Einsame Wege
ziehen die künstlerisch hochbegnadeten Naturen,
keinen Gefährten bekommen, ihn verschmähen
dem Wege zur Höhe. Zu einsamen Wegen sind
Vor
Kranken und die alternden Menschen verurteilt.
acht Jahren brachte das Wiener Publikum der
erfüllten Dichtung tiefes
von feinstem Geiste
späten,
Interesse entgegen. Gestern bei der
Burgtheater
nicht verspäteten „Première“ im
blieb die Teilnahme gespannt bis zum Schlusse. Man
rief den Dichter immer wieder vor die Rampe und
hieß alle Bedenken schweigen. Vielleicht wäre der
Eindruck noch tiefer gegangen, hätten die Darsteller
nicht einen zu sachten Sprechton angeschlagen. Sehr
oft zerflatterten die Worle in dem Raume. Frau
Bleibtren war die Beste von allen. Man kann
die Schauspielerin Irene, deren Sonne im Sinken ist
und die vom Publikum nichts mehr wissen will, un¬
Das war
möglich besser, lanniger geben.
eine Gestalt aus dem Vollen, übergossen von
norddeutsch

wienerischen Lichtern. Sonst ging
zu in dem Stücke, dessen Schauplatz: Wien ist.
Die verschiedensten Mundarten wurden lant. Harry
Walden gab den Sala ohne jede Blutwelle. Er
fand lange kein rechtes Verhältnis zu seiner Aufgabe;
erst im letzten Momente konnte er mit seiner virtnosen
Sprechkunst Funken aus der Rolle schlagen. Dieser
Sala ist der Ichmensch, der schließlich ins Leere
greift; ein Gezeichneter des Todes, der allein die
dunkle Straße gehen muß. Und der zweite Isolierte ist
der Maler Julian Fichtner, mit dem Devrient
nichts anzufangen wußte. Das war nicht der Mann,
der die Weiber berückt. In die Erzählung seines
Liebesromanes floß kein warmer Ton hinein. Fräulein
Wohlgemuth brachte für die fatale Fiaur des
hysterischen Mädchens, das an Seelenwanderung
glaubt, ihre gute schauspielerische Erziehung mit.
Herr Paulsen vermenschlichte die Gestalt des
Akademiedirektors und machte sie wertvoll. Herr
Gerasch gab den Leutnant frisch, schlicht, mit
echtem Empfinden. Das Publikum verstand alle Ab¬
sichten des Dichters und folgte ihm gerne, selbstauf
gewundenen Wegen in sein weites Land.