II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 407

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18. Der einsane Neg
Wiener Journal, Wien
1914
(Sie wollten sich die innere und änzere Freiheit nicht unterbinden Betrogenen zu erzeugen. Es ist, als ob diese mit Schleiern ver¬
lassen, wollten pflichtenlos sein. Diese Flucht ins Freie hat sie hängte Welt sich langsam lichten würde. Ein Wort, ein hinge¬
seton.
schließlich zu der inneren Leere hing führt, von der sie jetzt ge= worfener, beiläufiger Satz genügt, um ins Innere der Menschen
peinigt werden. Der Sturm hat sich gelegt, die Einsamkeit um- zu blicken, und man fühlt sich ganz eingesponnen in diese fast
eater.
klammert sie, und die Erinnerung ist das Los der Gealterten. drückende Luft von Resignation und dumpfer Ahnungen vom
Ipiel in fünf Akten von Artur
Jugend= Sinn des Lebens und Leidens. Aber das Schauspiel ist episch,
die
Der Maler brannte durch, als er
ler.
geliebte entführen sollte; es packte ihn eine unheimliche nicht dramatisch. Es ist auf Reflexion gestellt, und der Mangel
Angst, seine Freiheit hinzugeben; hinter den Straßen jeglicher Blutwärme nimmt ihm auf der Bühne das beste Teil
acobson.
verlor sich sein Blick ins Weite, hinter den Hügeln sah er seine von seinen tieferen Absichten. Nicht nur die Menschen sind in
ist zehn Jahre alt. Es steht Zukunft schimmernd von Glanz und Abenteuern, und sie wartete ihren Schwingen gelähmt. Das Stück hat Züge von Ibsen, kommt
huktion, aber man könnte es auf ihn — aber auf ihn allein. Da riß er sich los und die aus einer kälteren Gedankenzone, die nicht zum Wienerischen
das Ende stellen, ohne daß Geliebte blieb zurück und heiratete einen anderen, dem sie ver- stimmen will.
Man kann nicht sagen, daß „Der einsame Weg“ zu jenem
indeinem wesentlichen Zuge ver- schwieg, daß der Sohn, den sie ihm gebar, nicht der seinige
geistig jemals beherrschte, sein sei. Sie durfte ruhig schweigen. „Sie hätte niemandem damit Theatererfolg gelangen kann, den man ihm gern wänschen möchte.
und vom Sterben, von den genutzt, und es schreitet sich leichter durchs Leben, wenn man Dazu fehlt es dem Werk nicht nur an den technischen Vor¬
zschenschicksale, vom Marionetten= nicht die Last eines Vorwurfes oder gar die einer Verzeihung bedingungen: Klarheit der Handlung; es überzeugt nicht, es
zen im Extrakt vorhanden. Im zu tragen hat.“ Aber der Maler, der nach 23 Jahren wieder argumentiert bloß. So nahm man das Werk also höflich ent¬
angeschlagen, das Schnitzler zurückkehrt, ausgetobt, und in seinem Egoismus wankend geworden ist, gegen, mit achtungsvollem Beifall: der Dichter konnte
Joder nachher ausgeführt hätte. Es pocht jetzt vergebens an die verschlossene Herzenstür seines Sohnes. sich mehrmals verneigen. Die Auffährung ließ freilich
ht schon vorher oder nachher aus= Der junge Mann hat nur die eine Erwiderung für ihn: „Ihr einiges zu wünschen übrig. Manches, wis im Wort und Sinn
in lesen ließ, es ist, zusammen- Sohn . .. es ist nichts als ein Wort. Es klingt ins Leere. Sie bedeutsam war, huschte unverstanden vorüber, nicht jede Stimmung
seinen Werken, ein Panorama sind mir fremder geworden, seit ich es weiß" Viel näher steht wurde erschöpft und mancher menschliche Charakterzug rückte ins
ihm nun der Mann, den er bis jetzt seinen Vater nannte, der Komödienhafte. Den Abend hielten zwei: Herr Walden und
sieht, eine Wandeldekoration der
ihn aufgezogen hatte und von dem er weiß, daß er seine Frau Bleibtreu. Namentlich aber Harry Walden, der mit feinstem
einem Blick entschleiern.
neingepreßt. Der Mangel eines Mutter wirklich liebte. Auch der Dichter Siephan v. Sala, der schauspielerischen Takt die Figur des Stephan v. Sala von innen
hrdert hier einen oft übermäßigen genießerische Aesthet, bezahlt seinen Lebensegoismus. Er ist an heraus erfaßte. Seine zielsichere Kunst des Sprechens trifft den
zenzen, die doch nur scheinbac dem Mädchen, das ihn liebte, achtlos vorbeigegangen, und als er Ton einer komplizierten Menschlichkeit, und die Distinktion seiner
die Handlung. Jede dieser acht endlich das Glück bei ihr zu finden strebt, ertränkt sie sich Darstellungsmittel wirkt durch ihre Selbstverständlichkeit. Frau Bleib¬
jedes dieser acht Schicksale ver¬ Sie hat erfahren, daß Sala herzkrank ist und nicht mehr lange treu als die gealterte, in ihrem Mutterglück und in ihrer Lides¬
Aber so sehr diese Menschen leben kann. Auch sie ist eine Egoistin, die andere Menschen nicht sehnsucht getäuschte Schauspielerin hat diesen gleichen Ton,
nur ins wahrhaft Gütige gemildert, ohne den Beisatz
tehen sie sonst jeder für sich und leiden sehen kann. Da macht Sala seinem Leben freiwillig ein
von Geistigkeit. Herr Devrient spielte den Maler Fichtner.
us einsam, und die Verfehltheit Ende. Er ist nicht wehleidig veranlagt und findet es ein
Niemand hat ihn davor bewahrt, an dem Wesentlichen dieser
Lebensglückes prägt sich in der wenig peinlich, auf das Ende zu warten.
Dieser Dichter Sala, in seiner soignierten Lebenskultur, in Figur vorbeizusehen. Fichtner, das steckengebliebene Genie, soll von
für jemand anderen auf der
der fein verkleideten Mischung von Brutalität und höchster einem Duft des Abenteuerlichen umwittert sein und etwas
Faszinierendes an sich haben. Bei Devrient wurde er ein franzö¬
Erinnerung — Tragik Geistigkeit, ist der lebendigste Mensch dieses Schauspiels, fesselnd
sischer Komödienheld, der gern ins Deklamatorische abbog und
und geheimnisvoll, von weit herkommend. Alle diese Menschen
is sind die Motive, die den
seine Lebenserfahrung in Pathetik umsetzte. Auch Fräulein Wol¬
* Resignation beherrschen. Zwei haben keinen festen Boden unter den Füßen, es fließt in ihnen
gemuth begnügte sich mit den Aeußerlichkeiten ihrer Rolle, kam
Maler Julian Fichtner und der das Blut unbekannter Ahnen, es lagern unsichtbare Schatten auf
Benußmenschen, die ihr wahres ihren Seelen.
Es ist ganz eigen, wie Schnitzler es versteht, durch ein ein paar hübsche Bühnenbilder, die der Aufführung zuweilen einen
Sie hatten den Mut oder die
uf Kosten der anderen zu leben. langsames, mähliches Fortschreiten die Stimmung der ums Leben stärkeren Stimmungsgehalt geben.