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18. Der einsaneek
Frau Beate steigert sich diese Empfindung fast ver= ausreichen, ihn und seine Bedingungen restlos zu er¬
letzend zum versteckten Hasse gegen den Knaben, derfassen. Das Wort Freuds „Der Selbstverrat dringt den
Menschen aus allen Poren“ wird zur Erfüllung vor
eines Genusses teilhastig wird, dessen er nicht wert ge¬
jener eindringlichsten „seelischen Tiefenforschung“, wie
wesen. Der Dichter führt den Leser vor Abgründe der
sie eben die umfassende Studie Theodor Reiks:
Seele, vor denen es uns graut.
„Artur Schnitzler als Psycholog“ (Minden, I. C. C.
Doch auch schon hier eröffnen sie sich dem forschenden
Bruns) geschrieben, nicht bis in seine letzten Kon¬
Blicke, nur von süßen Worten der Schwermut über¬
sequenzen unanfechtbar, aber sicher in seinen Grund¬
wuchert. Motive eindringlichster Seelenforschung wer¬
linien, scharf in den Beobachtungen, an denen auch
den angeschlagen, so zahlreich, daß das einzelne Drama
der Literarhistoriker nicht mehr achtlos vorübergehen
sie kaum fassen, noch weniger durchzuführen vermag.
darf. Und wie eine Vorarbeit mutet die kleine Skizze
Im Mittelpunkte steht das Verhältnis von Sohn und
von Hans Sachs: „Die Motivegestaltung bei
Vater, noch auf Grundlage der Feindschaft autoritäts¬
Schnitzler“ („Imago“, Band 2), an.
widerstrebender Jugend, das im Bernhardi dann sich
Keine ungünstigere Stätte für ein derartig inner¬
in die Verklärung des Vatertypus wenden wird.
liches Werk als der weite Raum des Burgtheaters.
Aus dem Munde der einstigen Schauspielerin Irene
Den Stil des Dramas festhalten, führt zur Undeutlich¬
strömt die Klage um das ungeborene Kind und die
keit, ihn den Bedingungen des Ortes entsprechend
Sehnsucht nach Mutterschaft, Johanna träumt, eine
steigern, zur Vergröberung. Die Darstellung ging den
schwache Bollette Wangel, vom Glück der Ferne in
ersteren Weg, verfiel aber auch zum Teil in die er¬
undentlichen Wanderphantasien. Die hilfreichen Ent¬
wähnte Konsequenz. Ganz wundervoll war die Stim¬
sagenden kommen wieder, parallel geführt, in Wegrath
mung der Szenerie, namentlich in Herrn von Salas
und Dr. Reumann, der in dem Dr. Mauer des
traumhaft schönem Garten mit dem Ausblick auf die
„Weiten Landes“ viel bestimmter umrissen wiederkehrt,
Hügel des Wienerwaldes. Die entzückendste Leistung
zu Worte. Julian zeigt uns in seiner Beichte schon
des Abends brachte Frau Bleibtreus Irene, die
den Weg, der später ins Freie führen soll. Das Stück
in dem bodenechten Humor wie der leisen Sentimenta¬
ist geradezu ein Kompendium Schnitzlerscher Meinung
lität der großen Künstlerin geradezu ein neues Gebiet
und Gestaltung, geistig und ethisch tiesgreifend, doch
zu erschließen scheint. Ebenso war auch Herrn
nicht zu voller Klarheit der Bühnenform ausgereist,
Gerasch' Felix eine Überraschung in seiner schlichten
wie über Frau Wegrath senken sich immer neue Schleier
Natürlichkeit und unpathetischen Sprechkunst. Rührend
übe, diese Dichtung herab. Nirgends hat die moderne
die Mutter der Frau Haeberle, wie der Professor
Wissenschaft der Psychoanalyse gegründetere Veranlas¬
Wegrath des Herrn Paulsen. Die äußerst undank¬
sung, mit ihren seinen Instrumenten zu sondieren als
bare Johanna erhielt durch Frl. Wohlgemuth
bei diesem Werke, als bei Artur Schnitzler überhaupt.
gute Repräsentation und schöne Form. Herrn Herte¬
Der Zeitgenosse liefert andere Anamnesen als der
Dichter der Vergangenheit, wo alle Dokumente nichtrichs Reumann erwies sich wohl als völlig unzureichend.
Alles kommt aber auf die Doppelsigur Julian
und Stephan von Sala an, und gerade hier
die beiden Darsteller, Herr Devrient m
Walden, manchen Wunsch unerfüllt. „Wir
einander die Stichworte so geschickt
nicht?“, fragt Sala. Wir antworten angesich
Aufführung mit nein! Gerade die notwendi
Zusammenstimmung des Dialogs fehlte, d
Devrient in hohle Deklamation verfiel und de
selbst ins französische Sensationsstück hinüh
eine Annäherung, die nicht genug vermieden
kann, und Herr Walden dem größten Tei
Rolle wieder nur seine äußerliche Korrekt
hinter der kein starker seelischer Unterton schwi
blieb unpersönlich, uninteressant, bis zu dem
des letzten Aktes, der Sala das Todesurteil v#
Da, in dem Kampfe zwischen dem Versuche,
zu bewahren und dem innerlichen Bruche, fand
Töne von einer Intensität und Tiefe, die nu
großen Künstler erreichbar sind. Ihm war
Wirkung des Ausganges zu danken, wäh
mittleren Akte das zur Aufmerksamkeit seh
Publikum dochermüdeten. Ein etwas lebhafter
tempo, namentlich bei dem zum Ziehen so n
Darsteller des Herrn von Sala, könnte da w
helfen. Jedenfalls darf man dem Burgtheater wi
danken, daß es sich sein Recht auf eine v
Pflicht genommen.
Alexander von We
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18. Der einsaneek
Frau Beate steigert sich diese Empfindung fast ver= ausreichen, ihn und seine Bedingungen restlos zu er¬
letzend zum versteckten Hasse gegen den Knaben, derfassen. Das Wort Freuds „Der Selbstverrat dringt den
Menschen aus allen Poren“ wird zur Erfüllung vor
eines Genusses teilhastig wird, dessen er nicht wert ge¬
jener eindringlichsten „seelischen Tiefenforschung“, wie
wesen. Der Dichter führt den Leser vor Abgründe der
sie eben die umfassende Studie Theodor Reiks:
Seele, vor denen es uns graut.
„Artur Schnitzler als Psycholog“ (Minden, I. C. C.
Doch auch schon hier eröffnen sie sich dem forschenden
Bruns) geschrieben, nicht bis in seine letzten Kon¬
Blicke, nur von süßen Worten der Schwermut über¬
sequenzen unanfechtbar, aber sicher in seinen Grund¬
wuchert. Motive eindringlichster Seelenforschung wer¬
linien, scharf in den Beobachtungen, an denen auch
den angeschlagen, so zahlreich, daß das einzelne Drama
der Literarhistoriker nicht mehr achtlos vorübergehen
sie kaum fassen, noch weniger durchzuführen vermag.
darf. Und wie eine Vorarbeit mutet die kleine Skizze
Im Mittelpunkte steht das Verhältnis von Sohn und
von Hans Sachs: „Die Motivegestaltung bei
Vater, noch auf Grundlage der Feindschaft autoritäts¬
Schnitzler“ („Imago“, Band 2), an.
widerstrebender Jugend, das im Bernhardi dann sich
Keine ungünstigere Stätte für ein derartig inner¬
in die Verklärung des Vatertypus wenden wird.
liches Werk als der weite Raum des Burgtheaters.
Aus dem Munde der einstigen Schauspielerin Irene
Den Stil des Dramas festhalten, führt zur Undeutlich¬
strömt die Klage um das ungeborene Kind und die
keit, ihn den Bedingungen des Ortes entsprechend
Sehnsucht nach Mutterschaft, Johanna träumt, eine
steigern, zur Vergröberung. Die Darstellung ging den
schwache Bollette Wangel, vom Glück der Ferne in
ersteren Weg, verfiel aber auch zum Teil in die er¬
undentlichen Wanderphantasien. Die hilfreichen Ent¬
wähnte Konsequenz. Ganz wundervoll war die Stim¬
sagenden kommen wieder, parallel geführt, in Wegrath
mung der Szenerie, namentlich in Herrn von Salas
und Dr. Reumann, der in dem Dr. Mauer des
traumhaft schönem Garten mit dem Ausblick auf die
„Weiten Landes“ viel bestimmter umrissen wiederkehrt,
Hügel des Wienerwaldes. Die entzückendste Leistung
zu Worte. Julian zeigt uns in seiner Beichte schon
des Abends brachte Frau Bleibtreus Irene, die
den Weg, der später ins Freie führen soll. Das Stück
in dem bodenechten Humor wie der leisen Sentimenta¬
ist geradezu ein Kompendium Schnitzlerscher Meinung
lität der großen Künstlerin geradezu ein neues Gebiet
und Gestaltung, geistig und ethisch tiesgreifend, doch
zu erschließen scheint. Ebenso war auch Herrn
nicht zu voller Klarheit der Bühnenform ausgereist,
Gerasch' Felix eine Überraschung in seiner schlichten
wie über Frau Wegrath senken sich immer neue Schleier
Natürlichkeit und unpathetischen Sprechkunst. Rührend
übe, diese Dichtung herab. Nirgends hat die moderne
die Mutter der Frau Haeberle, wie der Professor
Wissenschaft der Psychoanalyse gegründetere Veranlas¬
Wegrath des Herrn Paulsen. Die äußerst undank¬
sung, mit ihren seinen Instrumenten zu sondieren als
bare Johanna erhielt durch Frl. Wohlgemuth
bei diesem Werke, als bei Artur Schnitzler überhaupt.
gute Repräsentation und schöne Form. Herrn Herte¬
Der Zeitgenosse liefert andere Anamnesen als der
Dichter der Vergangenheit, wo alle Dokumente nichtrichs Reumann erwies sich wohl als völlig unzureichend.
Alles kommt aber auf die Doppelsigur Julian
und Stephan von Sala an, und gerade hier
die beiden Darsteller, Herr Devrient m
Walden, manchen Wunsch unerfüllt. „Wir
einander die Stichworte so geschickt
nicht?“, fragt Sala. Wir antworten angesich
Aufführung mit nein! Gerade die notwendi
Zusammenstimmung des Dialogs fehlte, d
Devrient in hohle Deklamation verfiel und de
selbst ins französische Sensationsstück hinüh
eine Annäherung, die nicht genug vermieden
kann, und Herr Walden dem größten Tei
Rolle wieder nur seine äußerliche Korrekt
hinter der kein starker seelischer Unterton schwi
blieb unpersönlich, uninteressant, bis zu dem
des letzten Aktes, der Sala das Todesurteil v#
Da, in dem Kampfe zwischen dem Versuche,
zu bewahren und dem innerlichen Bruche, fand
Töne von einer Intensität und Tiefe, die nu
großen Künstler erreichbar sind. Ihm war
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Publikum dochermüdeten. Ein etwas lebhafter
tempo, namentlich bei dem zum Ziehen so n
Darsteller des Herrn von Sala, könnte da w
helfen. Jedenfalls darf man dem Burgtheater wi
danken, daß es sich sein Recht auf eine v
Pflicht genommen.
Alexander von We
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