II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 413

18. Der einsane Nen
box 23/4
Berliner Börsen Ceurier, Borlir
Husschnitt aus:
20 Morgen ausgabe
vom:
W
jeden underen Tag.
Schnitzlers „Einsamer Weg“ im Wiener
Hofburgtheater.
Wien, 19. Februar.
Unter allen Dramen Arthur Schnitzlens
mögen sie im Sinne des äußerlich Dramarischen „wirt¬
samer“ oder im Sinne des geistreichen Dialogs amü¬
santer sein als dieser „Einsame Weg“, ist doch viel¬
leicht keins, das den Zuschauer mit solchen ernsten Ge¬
danken entläßt. Als es neu war, hat man vor Ver¬
wunderung über einen Wiener Dichter, der es gewagt,
hat, seiner „Registrierung“ untreu zu werden, die Ana¬
tolatmosphare zu verlassen und das süße Wiener Mädel
nicht nochmals in neuer Variante auf die Bühne zu
bringen, gar nicht recht die Fülle und die Geistigkeit
dieses reinen und schweren Stücks bemerkt; hat sich
viel mehr mit der Welt auseinandergesetzt, der Schnitz¬
ler entflohen war, als mit der, die er im „Einsamen
Weg“ gestaltet hat.
Allein es ist das Zeichen wahrhaft wertvoller
Dichterwerke, daß die Jahre ihnen nichts von ihrem
Reiz nehmen, aber ihre Innerlichkeiten, ihre wahre
Pebendigkeit, die Bedeutsamkeit ihres seelischen Ge¬
halts erst entschleiern und ihren eigentumlichen Duft
erst zum Bewußtsein bringen. So ergeht es einem
mit diesem Schauspiel, das vielleicht das reichste, be¬
ziehungsvollste, vieldeutigste und aufschlußgebendste
ist, das Schnitzler geschaffen hat. Nicht nur, weil es
einen Typus der letzten Generation mit einer Meister¬
schaft hinstellt, die etwas Schonungsloses hat: den
Typus des Lebensartisten, des egoistischen Genießers,
des Autopsychologen, der bei eigenem und fremdem
Leid und Glück immer noch zuschauender Gourmet
bleibt, der „von Augenblickes Gnaden ein Gott und
manchmal viel weniger als ein Mensch ist“ und dessen,
innere Vereinsamung nicht nur ein Schicksalsresultat,
sondern das der Lebensführung des eigensüchtigen
Künstlerischen ist; der mit den Menschen und dem
Dasein nur spielt und nur das in seinen Kreis zieht,
was der flüchtigen Stunde Genuß oder auch nur
Schmuck bringt — sei es bewußt erlebter Schmerz
oder Liebe oder bloß die befriedigte oder unbeftledigte
Neugier des Rätselerratens im Lebensspiel. .. Aber
neben dieser Gestaltung und durch ihre Reflexe be¬
dingt, klingt ein Ton von unsäglicher Trauer durch
dieses Stück, und es ist dieser Ton, der schließlich nach¬
zitternd übrigbleibt und nicht mehr losläßt:
Trauer darüber, wie keiner vom andern weiß, wie
d,
auch die Menschen, die einander die Nächsten
aneinander vorbeileben, ohne auch nur zu ab
in jenen vorgeht, die das gleiche Dach bir
tiefes, beunruhigendes und unlösbares
auch die Seele des Besten und Gütevollste
anderen bleibt, die doch sein Dasem äuf
und, mit oder ohne Schuld, an dem schön
lichen Geschick, an der Bestimmung und
Lüge mitweben, die ihn umgibt. ... Diese
das so trostlos ist und doch wieder so beruh
weil es ohne das kaum möglich wäre, das Le
zu ertragen, ohne vor Angst, Mitleid oder Abschen
verrückt zu werden — dieses Gefühl spricht so stark
aus dem wundersam stark empfundenen und gedach¬
ten Stück, wie kaum aus einem andern. Die Vor¬
gänge im Hause Wegrat, das seltsam ästhetische und
doch wesenhafte Leben und Sterben des todaeweihten
Sala, die späte Vatersehnsucht Julian Fichtners,
Irene Herms gemordete Mutterschaft — in all diesen
tiefen menschlichen Verstrickungen klingt der gleiche
warnende Glockenton; das schmerzlich resignierte:
und
„Keiner kann Keinem wahrhaft etwas sein
die Hebbelsche Mahnung: „Hab' Achtung vor dem
Menschenbild
Man wird es der jetzigen Leitung des Burg¬
theaters nicht vergessen dürfen, daß sie in ruhiger,
unprahlerischer und stetiger Arbeit eine Ehrenschuld
des Instituts nach der anderen zahlt, und daß sie,
nachdem sie Eulenberg und Wedekind das Burg¬
theater geöffnet hat, nach langen Jahren des Wartens
auch dieses reichste, ernste und menschlichste Werk des
reichsten, ernstesten und menschlichsten Wiener
Dichters zur Aufführung gebracht hat. Zu einer frei¬
lich, neben der die wundervolle, die man von Brahm
vor Zeiten hier gesehen hat, unvergessen und unver¬
blaßt steht. Man tate Unrecht, sie mit dieser Brahm¬
schen zu vergleichen, in der jener Glockenton so hör¬
bar und eindringlich von Anfang bis zu Ende mit¬