II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 420

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22. Fehruar 1914
Fremnden-Blatt.
Wien, Sonntag
Nr. 52
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machen; sie wußten es besser. Denn sie alle waren durchweht von dem
„Der einsame Weg“.
Erkennen, „wie grenzenlose Weiten Menschen trennen“.
Oskar Wilde, der früh verstorbene Verwandte dieser Generation, sagt
Anmerkungen gelegentlich der Erstaufführung des SchnitzlerschenSchauspiels
einmal: „Ein Zyniker ist ein Mensch, der on allen Dingen den
im Burgtheater.
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Preis und von keinem den Wert weiß. Ein Sentimentaler ist ein
Von Felix Salten.
Mensch, der allen Dingen einen lächerlichen Wert beimißt und von
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„Jetzt sprich'; denn es durchweht mich ein Erkennen,
keinem einzigen den Marktpreis kennt.“ Mitten zwischen solchen Gegen¬
Wie grenzenlose Weiten Menschen trennen.“
sätzen wandelte diese Generation ihren Weg. Aber doch nicht ganz
Diese Verse kamen mir plötzlich in den Sina, während ich nach
durch die Mitte. Doch mehr am Rande des Zynismus, den sie
der Aufführung des „Einsamen Wegs“ im zögernden Gedränge der
nicht ganz so grausam fürchtet, nicht ganz so ängstlich meidet wie
Menschen den Theatersaal verließ. Sie sind von einem Siebzehn¬
die Sentimentalität. Diese jungen Männer kannten den Preis und
jährigen, diese Verse, und das mag nun länger als zwanzig Jahre
kannten den Wert der Dinge. Ihre Schätzung ging selten fehl, denn
her sein, seit ich sie zum ersten Male hörte. Aber noch habe ich die
sie waren alle sehr lebensklug. Und weil sie so klug waren, weigerten
Stimme nicht vergessen, mit der uns Hugo v. Hofmannsthal damals
sie sich oft, den Preis der Dinge zu zahlen und hüteten sich noch
seine erste Dichtung vorlas, die jene Verse enthält. Eine ganz junge
öfter, den Wert der Dinge mit allzu warmen Worten anzuerkennen.
Stimme war es, die in hohen Tönen leicht ins Kippen geriet, die
Das Leben, im ganzen genommen, fand ihre uneingeschränkte Aner¬
wunderbar erfüllt schien von Energie, herrlich gestrafft von einer
kennung. Aber in der Loge, von der aus jeder von ihnen das
rätselhaften Reife des Charakters und die zugleich wie durchfroren war
wunderbare Schauspiel des Daseins betrachtete, duldete keiner einen
von einer merkwürdigen Kälte des Gemüts. Denselben Abend warf
Genossen, einen Nachbar oder Gefährten. Niemand sollte störend ein
einer aus unserer Mitte, während man über den Begriff der Freund¬
Wort, einen Ausruf, einen Seufzer dazwischen werfen. Nur Zwischen¬
Ich glaube,
schaft debatiertte, die Bemerkung hin: „Freunde
aktgespräche waren etwa erlaubt. Aber es durfte nicht geschehen, daß
wir machen einander nur nicht nervös . .. das ist alles.“ Und auch
man während eines Erlebnisses mit einem anderen verschmolz. Mit
seine Stimme war von Kälte angehaucht, während er diese Meinung
einem anderen Eins werden ... Das war unmöglich, war, wo es sich
aussprach.
bedauerlicherweise doch begab, eine Schwäche oder ein Unglück, oder
Herr Siephan v. Sala, der interessanteste Mensch in Artur
beides.
Schnitzlers Schauspiel und vielleicht überhaupt der interessanteste
In diesem Wunsch und Streben nach Einsamkeit liegt sehr viel
Mensch, der seit langer Zeit auf dem Theater gesehen wurde, sagt zu
Stolz. In dieser Sucht, sich selbst zu bewahren, ein Einzelner zu
dem Maler Fichtner: „Wir bringen einander die Stichworte so ge¬
bleiben, liegt resignierte Kraft und ein nobles Verzichten. Nur eines
schickt — finden Sie nicht? Es gibt pathetische Leute, die solche Be¬
scheint hier zu fehlen: die Empfindung, die sich einmal, ein einzigesmal
ziehungen Freundschaft nennen. Uebrigens ist es nicht unglich, daß
königlich verschwendet hat. Ohne diese Verschwendung mutet all die
wir uns im vorigen Jahrhundert „du“ gesagt. Am Ende gar, daß
stolze Zurückhaltung wie Knauserei an. Man denkt manchmal an eine
Sie sich an meinem Busen ausgeweint hätten.“ So spricht der Herr
Türftigkeit des Gemütes, die in ihrer instinktiven Selbsterkenntnis
v. Sela zu dem Gefährten seiner Jugend.
Angst hat, sich allzurasch zu verbrauchen, und deshalb spart. Be¬
kanntlich hat niemand so viel Spruche zur Hand wie der Geizige.
All das sind Worte der Einsamkeit. Die Generation, die mit dem
Deshalb denkt man bei all den geistreichen Formeln und Aphorismen,
siebzehnjährigen Hofmannsthal jung gewesen ist, empfand ein unüber¬
in denen diese Generation ihre Klugheit funkeln läßt, daß das Gemüt
windliches Mißtrauen gegen eine gar zu nahe Geselligkeit, ein fast weh¬
doch darben mußte. Unwillkürlich und mit einem Lächeln denkt man
leidiges Mißtrauen gegen pathetische Worte, die sich in den Alltag
bei ihrem peinlichen Abscheu vor jeder innigen und nahen Gemeinschaft
verirren. Und sie achtete sorgsam darauf, Distanz zu halten. In ihrer
an Cottfried Kellers gerechte Kammacher. An diese drei dürren Ge¬
Art, das Leben anzufassen und es zu leben, war eine vornehme künst¬
sellen, die unter gemeinsamer Decke nebeneinander und doch jeder allein
lerische Geschmaekstultur wunderlich gemengt mit einem gesellschaftlichen
liegen, und die, wenn man „Feuer“ schreit, aufspringen und am Fu߬
Taktgefühl von äußerster Wachsamkeit und mit der peinlichen Sorge,
boden die Kachel suchen, darunter sie ihre Ersparnisse bewahren. Da
unter allen Umständen sich selbst und seine Haltung zu bewahren. Diese
siehen sie nun, jeder auf seiner Kachel, jeder einsam und nur um sein
Grundsätze, die unzählige Male in den Gesprächen wie in den Büchern
bißchen Habe besorgt. Keiner dem andern verbunden, keiner zur Teil¬
dieser jungen Menschen aufs geistreichste formuliert wurden, brachten
nahme für den andern bereit. Gerecht . . . aber arm! Lieber Gott,
in die Existenz dieser jungen Leute manchmal die Fatalität des
.. komisch.
wie arm! Und im letzten Sinne
Programmatischen und gelegentlich auch die noch ärgere Fatalität des
Snobismus. Sie waren vielleicht, am Anfang, in ihrer Jugend, keine
Es ist bezeichnend, daß Artur Schnitzler, der ja auch dieser
ärgeren Egoisten, als es die Künstler in allen Zeiten zu sein pflegen.
Generation angehört, als Mann von vierzig Jahren dieses Schauspiel
Aber sie bekannten sich aufrichtiger zu ihrem Egoismus, als es sonst
schrieb: „Der einsame Weg“, dem man die Verse des siebzehnjährigen
wohl geschah. Sie legitimierten ihren Egoismus, sie betonten ihn immer 1
Hofmannsthal als Motto voransetzen könnte. Vielleicht kommt in irgend
wieder, sie achteten den Egoismus an sich selbst und gegenseitig einer
einer, nicht allzu fernen Zukunft wieder mehr Herzlichkeit, mehr Ver¬
am anderen. So haben sie ihn denn mit den Jahren durch diese aus¬
trauen zum menschlichen Gemut in die Welt. Dann werden die Leute
gezeichnete Pflege unwilltürlich und unaufhaltsam gesteigert, und man
dieses Stück immer noch sehr gut verstehen und werden es, wie ich
darf sagen, daß dieser Generation nun die größten Egoisten angehören,
vermute, sehr lieben. Denn es spricht ein reiches und tieses Herz in
die es seit langem gegeben hat.
diesen Szenen, ein männlich erstarktes, zur Fülle gereiftes Gemüt, das
Sie hielten „Distanz". Sie achteten darauf, daß ein gewisser
sich Luf. macht. Dieses Stück ist eine Abrechnung. Schonend, gütig,
Umkreis um ihre Person von niemandem überschritten werde. In
verzeihend, aber scharf und genau und unbeirrbar in ihren Resultaten.
diesem Umkreis standen sie allein mit sich selbst. Sie hüteten sich
Kein anderes Werk von Schnitzler ist für die Zeit, für die Generation,
davor, jemals „wir“ zu sagen. Es gab nur das einzelne „Ich“. Sie
der er entstammt, so dokumentarisch wie dieses. Keine andere Gestalt
schreckten davor zurück, den Wein ihrer Freude jemals in einen ge¬
ist dieser Epoche so repräsentativ wie Herr Stephan v. Sala, der sein
meinsamen Becher zu schütten. Gar der Trank des Leids durfte
Ich so trefflich bewahrt, der sich von keinem Erlebnis ein pathetisches
immer nur allein geschlürst werden. Leid ist Priv sache. Vertrautheit
oder ein allzu vertrauliches Wort abzwingen, der sich keinen Menschen
in privaten Dingen schafft Intimität. Intimität n der vermindert die
j nahkommen ließ und der in seiner Einsamkeit aufrecht und überlegen
heiligen Distanzen. Leid aber ist unangeneyn. Unannehmlichkeiten
und stolz bleibt bis zum letzten Augenblick.
„wir machen einander nur nicht nervös ...“
machen nervös und.
„Der einsame Weg.“ Man könnte einen Refrain aus diesem
Das ist das Wesentliche an unseren Beziehungen. Diese Generation
Titel machen. Denn jeder Mensch in diesem Stück geht den einsamen
verzichtete von Anfang an auf Gefühlsköne. Das war ihr ein allzu
Weg. Die Mutter, die nach einem kurzem Liebestraum, den sie mit
wohlseiles Heizungsmaterial. Da sror sie lieber. Sie verzichtete auf die
Umarmung der Hingabe. Denn sie hatte die heftigste Scheu, sich selbst, dem Maler Fichtner erlebte, in der Ehe mit dem Maler Wegrath den
Sohn Fichtners zur Welt brachte und, in ihrer Lüge befangen, immer
und damit von der ungeheuren Kostbarkeit der eigenen Person auch
nur das Geringste hinzugeben. Was sollten ihr auch zwei Arme, die allein bliel. Der gute Wegrath, der es nie begreist, warum die Familie,
sich einem um die Schultern legen, ein Herz, das man am eigenen; die er gegründet hat, sich nicht zusammenschließt. Johanna, die Tochter,
Herzen pochen fühlte, bedeuten? Sie waren dadurch nicht jrre zu die eine Feindseligkeit gegen alle Menschen, die leiden, empfindet. auch