II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 442

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18. Der einsane#
Die dunkelsten Tiefen des Seelenlebens, die von Charcot bis auf
Freud die Fachmänner der Medizin noch lange nicht aufgehellt
haben, durchleuchtet auch Schnitzler nicht (jedenfalls lange nicht so
überzeugend wie der Schöpfer einer Lady Macbeth). Und so
bleiben für den sorgsamen Leser wie für den unbefangenen Theater¬
gänger im „Einsamen Weg“ viele vielfach vom Dichter verschuldete
Unklarheiten. Ein paar glücklicherweise vorhandene Fiaker=Ideen
des Stückes versteht jeder: die erste, daß ein Sohn des Ehe¬
bruches, der als 23jähriger jählings seinem leiblichen Vater gegen¬
übergestellt wird, nicht den, vielmehr den getäuschten Hahnrei, der
ein Ehrenmann, der Pfleger seiner Jugend gewesen, als wahren
Vater anerkennt; die zweite, daß vermeintliche Lebenskünstler, Erz¬
Egoisten und berufsmäßige Verführer, wie der Herr v. Salg,
zuletzt ihre völlige Vereinsamung nicht zu ertragen ver¬
mögen; die dritte, daß die modernste Jugend weniger
Geist und mehr Haltung zum Losungswort wählen soll und wird.
Diese hausbackenen Erfahrungen zeigt Schnitzler, „beispielmäßig“
Vossische Zeitung, Berlin
allerdings, an Menschen auf, die man nicht leicht wieder vergißt.
Husschnitt aus:
Der Oesterreicher insbesondere hat seine Lust an der Lebenstreue
von Gestalten wie dem Herrn v. Sala, dem Maler Fichtner, der
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vom
gealterten Sängerin Herms; der Wiener vor allem atmet volle.
Heimatluft in den von Schnitzler mit aller Kraft der Liebe gezeigten.
Gärten und Villen von Dornbach und der Türkenschanze. Diese
Landschaften und diese Leute sehen wir so gern auf der heimischen
Schnitzler in der „Burg“.
Bühne, daß wir darüber manches Bedenken schweigen lassen. Zu¬
Die Wiener Hofbühne wollte altes Unrecht gegen Schnitzler
mal wenn „Der einsame Weg“, so überlegen inszeniert und in den
gutmachen und sein 1903 abgewiesenes, erst durch ein Gastspiel der
Hauptrollen so gut gespielt wird wie diesmal im Burgtheater.
Brahm=Truppe in der Vaterstadt des Dichters eingeführtes Drama
Frau Bleibtren war ur=wienerisch in jedem Ton; vollkommen
„Der einsame Weg“ zu neuen Siegen führen.
in empfindsamen und komischen Momenten: in dieser Leistung Else
In den Tagen der Untertitel hätte die Komödie vielleicht den
Lehmann weit überlegen, die den norddeutschen Dialekt nicht los
Zusatz gehabt „Don Jnans Ausgang“ oder „Der Triumph des
wurde. Der Herr v. Sala Bassermanns gehört dagegen zu unserei
Hahnrei": Motive der Art werden wenigstens in Schnitzlers reichem,
unverlierbaren Theater=Erinnerung: so Schönes Herr Harry
auch an Rätseln reichem Stück abgewandelt. So einfach wie zu
Walden in diesem Charakter im einzelnen gab, dem Ganzen fehlte
Zeiten Grillparzers liegen gegenwärtig die Dinge nicht mehr: da¬
die Schärfe, Ruhe, Ueberlegenheit, die Bassermann als ein Selbst¬
zumal konnte der größte Dramatiker des alten wie des
verständliches, Unaufechtbares von vornherein mitbrachte. Herrlich
neuen Oesterreich dem Professor der Philosophie Robert
war die Johanna der Wolgemuth: märchenhaft schön und glaub¬
Zimmermann halb im Ernst, halb scherzhaft sagen: „Die
haft bis in die abenteuerlichsten Schicksale dieser seltsamen Mädchen¬
Leut' well'n immer Ideen haben in meinen Stücken, nun Ideen
Natur. Das Ehepaar Wagrath (Frau Haeberle, Paulsen), der
hab' ich auch, freilich nur solche, wie sie die Fiaker auch hab'n. Sehn
Maler (Devrient) waren Nummer Eins.
S' die Sappho, die ist so eine Fiaker=Idee, da heißt's: Gleich und
Begierig darf man sein, ob das Publikum Gleiches mit Gleichem
gleich gesellt sich gern.“ Seit dem 6. Januar 1866, an dem Grill¬
vergelten, solche Mühen durch dauerhaften Anteil erwidern wird.
parzer den Wiener Aesthetiker mit diesem in der Dramaturgie neuen
Bei der starken Sympathie, die Schnitzler seit Jahren bei den Be¬
Term nus der „Fiaker=Ideen“ schelmisch überraschte, haben sich —
suchern unserer Hof= und Privatbühnen genießt, wäre es denkbar.
scheinbar — die Ansichten und Aufgaben der Theaterdichter aus¬
Und bei dem schnöden Unrecht, das ihm durch das Verbot des
giebig geändert, und wer das kürzlich erschienene Buch von Theodor
„Professor Bernhardi“ widerfährt, eine bescheidene Sühne. Für
Reik „Arthur Schnitzler als Psycholog“ auch nur flüchtig anblättert,
müßte denken, daß an Stelle der früheren Fiaker=Ideen durchweg
immer wird „Professor Bernhardi“ von den Bühnen Oesterreich¬
neuropathologische Probleme als treibende Kräfte für den modernen
Ungarns ohnedies so wenig fernzuhalten sein wie die „Gespenster“.
Dramatiker getreten sind.
und die „Weber“. Anton Bettelheim.
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