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18. Der Nen
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Der einsame Weg von Alfred Polgar
Hehmut sickert von den Wänden, über allem liegt es wie
Wein feiner Staub von zerpulverten Tränen, und Traurig¬
keit, wirtschaftlich ungehemmt, breitet sich kostbar aus. Es ist
Herbst und Abenddämmerung, immer Abenddämmerung. Eine
zarte Stunde! Langsam, langsam öffnet sich die Hand der
Nacht und läßt das Dunkel frei. Da macht es die Seele des
Menschen gern ebenso. Zumal so gepflegter Menschen, wie sie da,
fein und still, längs des „einsamen Wegs leidwandeln, in ge¬
pflegten Parks mit gepflegten Worten gepflegter Meditationen
und Erinnerungen pflegend. Selbst Vater Wegrath, der Kunst¬
beamte, kann sich der bessern Tonart nicht enthalten. Er geht
gern des Abends durch den Türkenschanzpark, weil die Stadt
dann daliege von einem „silbernen Hauch“ eingehüllt. Oder
ähnlich. Alle Personen des Stückes haben eine heftige Aeigung,
in sich selbst zu schauen, aus den Kellern ihres Bewußtseins
Verstecktes ans Tageslicht zu fördern. Und wie ein guter
Beichtvater sorgt der Dichter für sie. Er gibt ihnen Gelegen¬
heit. Wenn sie ein Bedürfnis haben (und sie haben immer
ein Bedürfnis), führt er“ alsogleich innerln.
Schnitzle.s he Helden sind gern Schriftsteller. Das recht¬
fertigt sie. Sie haben ein Gewandtheit, eine Begabung, eine
Technik des Ausdrucks, die ganz künstlich wäre, wäre sie nicht
ganz natürlich. Natürlich, weil es eben Literaten sind; also
Menschen, deren Metier das Stochern in Inwendigkeiten; deren
Sprache durch etliche Geziertheit und die Reigung, aphoristisch
zu gerinnen, eine Art dialektischer Echtheit bekommt; Menschen,
denen die einfache Wendung sich unwillkürlich, zwischen den
Lippen, zur schönen Wendung schnörkelt. Bei andern, die so
gern in die eigenen Verwirrungen tauchten und so kokette
Worte heraufbrächten, müßte man allerlei Zweifel hegen. Man
würde sagen: ihre Rede ist mit dem Brenneisen gekräuselt.
Sind es aber Literaten, so glaubt man, wohlwollend, natürliche
Locken.
Was aber den „Einsamen Weg' anlangt, ist zuzugeben,
daß das Leben hart und das Sterben bitter und die Einsam¬
keit das Unentrinnbare von allem Anbeginn bis zu allem
Ende. So lange man genügend Innenwärme hat, geht es
noch halbwegs. Später aber, recht sehr ausgekühlt, möchte
man gern an fremden Temperaturen naschen; und eines dieser
bequemen transportablen Gefühls=Oefchen aufstellen, in deren
Nähe eine alternde Seele das Frieren vergißt: Kindesliebe
etwa. Oder: Treue, Freundschaft. Ein Kind jedoch gehört des¬
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Der einsame Weg von Alfred Polgar
Hehmut sickert von den Wänden, über allem liegt es wie
Wein feiner Staub von zerpulverten Tränen, und Traurig¬
keit, wirtschaftlich ungehemmt, breitet sich kostbar aus. Es ist
Herbst und Abenddämmerung, immer Abenddämmerung. Eine
zarte Stunde! Langsam, langsam öffnet sich die Hand der
Nacht und läßt das Dunkel frei. Da macht es die Seele des
Menschen gern ebenso. Zumal so gepflegter Menschen, wie sie da,
fein und still, längs des „einsamen Wegs leidwandeln, in ge¬
pflegten Parks mit gepflegten Worten gepflegter Meditationen
und Erinnerungen pflegend. Selbst Vater Wegrath, der Kunst¬
beamte, kann sich der bessern Tonart nicht enthalten. Er geht
gern des Abends durch den Türkenschanzpark, weil die Stadt
dann daliege von einem „silbernen Hauch“ eingehüllt. Oder
ähnlich. Alle Personen des Stückes haben eine heftige Aeigung,
in sich selbst zu schauen, aus den Kellern ihres Bewußtseins
Verstecktes ans Tageslicht zu fördern. Und wie ein guter
Beichtvater sorgt der Dichter für sie. Er gibt ihnen Gelegen¬
heit. Wenn sie ein Bedürfnis haben (und sie haben immer
ein Bedürfnis), führt er“ alsogleich innerln.
Schnitzle.s he Helden sind gern Schriftsteller. Das recht¬
fertigt sie. Sie haben ein Gewandtheit, eine Begabung, eine
Technik des Ausdrucks, die ganz künstlich wäre, wäre sie nicht
ganz natürlich. Natürlich, weil es eben Literaten sind; also
Menschen, deren Metier das Stochern in Inwendigkeiten; deren
Sprache durch etliche Geziertheit und die Reigung, aphoristisch
zu gerinnen, eine Art dialektischer Echtheit bekommt; Menschen,
denen die einfache Wendung sich unwillkürlich, zwischen den
Lippen, zur schönen Wendung schnörkelt. Bei andern, die so
gern in die eigenen Verwirrungen tauchten und so kokette
Worte heraufbrächten, müßte man allerlei Zweifel hegen. Man
würde sagen: ihre Rede ist mit dem Brenneisen gekräuselt.
Sind es aber Literaten, so glaubt man, wohlwollend, natürliche
Locken.
Was aber den „Einsamen Weg' anlangt, ist zuzugeben,
daß das Leben hart und das Sterben bitter und die Einsam¬
keit das Unentrinnbare von allem Anbeginn bis zu allem
Ende. So lange man genügend Innenwärme hat, geht es
noch halbwegs. Später aber, recht sehr ausgekühlt, möchte
man gern an fremden Temperaturen naschen; und eines dieser
bequemen transportablen Gefühls=Oefchen aufstellen, in deren
Nähe eine alternde Seele das Frieren vergißt: Kindesliebe
etwa. Oder: Treue, Freundschaft. Ein Kind jedoch gehört des¬
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