II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 470

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18. Der einS
halb noch lange nicht dir, weil du seine physiologische Voraus¬
setzung besorgt hast. „Vater, das ist ein Rang, den man erst
nach vieljähriger opfervoller, liebreicher Sorge um des Kindes
Gedeihen erlangt. Aber leider: Wenn man das Kind hat,
braucht mans nicht. Und wenn mans dann braucht, hat man
es nicht mehr. So ist das Leben ja überhaupt: ein immer¬
währendes Zu spät oder Zu früh. Nichts kommt rechtzeitig;
aber einiges kommt gewiß. Zum Beispiel: der Tod. Und
vor ihm, wie gesagt: die große Einsamkeit. Ganz besonders
auf den Egoisten lauert sie. „Egoist', das ist hier keine sittliche
Qualifizierung, sondern eine gesthetische. Der potenzierte Egoist,
der alles gierig Einsaugende, sich immer Bereichernde, fort¬
während an, um, in, mit sich Beschäftigte, das ist vor allem:
der Künstler. Ihn ganz besonders schluckt die große Einsam¬
keit. Und wenn er so viel Geist, so viel höhere Mathematik,
so viel Geruchssinn für das Unabwendbare besitzt, wie Herr
von Sala, so wird er eines tun: sich trainieren. Sich auf die
Einsamkeit vorbereiten. Ist nicht überhaupt das des Lebens
höchste Wissenschaft: Plötzlichkeiten in Allmählichkeiten zu ver¬
wandeln? Herr von Sala hängt sein Herz mehr als an Menschen
an Dinge (von denen erwartet man keinen Gegendienst, und
kann nie durch dessen Ausbleiben enttäuscht werden). Die
traurige Not des Alters, dieses: in Erinnerungen leben müssen,
schreckt ihn nicht, weil er, als Künstler, nicht nur das Talent
hat, Erinnerung mit Gegenwarts=Stärke austzukosten, sondern
auch jenes, die unmittelbarste Gegenwart gleich als ein Ent¬
schwundenes zu schmecken. Herr von Sala ist ein Virtuose der
Einsamkeit. Ein Gentleman alles Unentrinnbaren. Ein Dandy
der Todgeweihtheit. Und im Auge, mit dem er kalt der Ver¬
nichtung entgegensieht, gleißt ein Monokel.
Es stehen noch andre schöne Dinge im „Einsamen Weg'.
Mancherlei Blicke in mancherlei Abgründe werden getan.
Zwischen den Menschen fließt ein Dunkles, sie reichen die Hände
darüber, aber kaum ihre Fingerspitzen berühren einander; und
gelegentlich fällt hierbei der eine oder die andre ins Wasser. Das
Schicksal zieht wie ein Kunst=Eisläufer merkwürdigste Achter¬
kurven, die sich schön ineinanderschlingen. Beziehungen ver¬
schwinden spurlos, gehen unterirdisch weiter, tauchen über¬
raschend wieder ans Tageslicht. Es ist allenthalben seltsam,
seltsam; und traurig. Parallelen gehen neben einander und
müssen schmerzlich erkennen, daß sie sich erst in der Unendlich¬
keit schneiden. Das Leben dampft wie ein Nagout von Ab¬
strakten, von Lieve, Entsagung, Pflicht, Zwang, Erkenntnis,
betäubt die einen und kitzelt die Rüstern der andern. Sieger
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