II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 471

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13. Dereg
werden besiegt, derbe Zusammenhänge reißen, zarte erweisen
sich stark wie Eisenketten, Schuld und Sühne erscheinen, ein
kultivierter Nihilismus sendet scharfe Düfte. Es wird viel
gezweifelt; aber mit Manieren, nett, geschmackvoll, molta con
delicatezza. Auch das Schrille hat noch eine Art Melodie.
Auch die Schmerzbeladenen sind noch Schmerzgenießer.
Kampf, Abwehr, Protest liegen hinter diesen mit Melan¬
cholie gesalbten fein=Organisierten. Jetzt ist ihre Tätigkeit nur:
reden, reden und sterben. Und ein schmachtendes Aeugeln
mit dem Schicksal, dem sie sich verfallen wissen. Es sind ab¬
geblühte oder im Keim zertretene Menschen. Diese sagen: „Ach!“
und da liegen sie. Jene machen Musik. Sie rascheln herbstlich
(besonders wenn die Vergangenheit, ein kühles Lüftchen der
Erinnerung, ihre Seele streift), und wie welke Blätter fallen die
Erkenntnisse: leise, traurig, weich und unablässig. Manchmal
scheint es, als ob noch irgendeine Leidenschaft dieses schwer¬
mütige Psalmodieren unterbrechen wollte. Aber ihre Mechanik
ist eingerostet. Und so bleibt der Anlaß ungenützt. Und so
bleibt die Dämmerung Dämmerung. Und so bleibt das Drama
Novelle.
Die Liebe der Johanna zu Herrn von Sala bringt die
zartesten Augenblicke des Schauspiels. Sie gibt das Gegen¬
stück zu getiftelten Schmerz=Gourmandisen, denen im Stück so
ausgiebig gefrönt wird. Die Einsamen der Komödie nämlich
genießen ihre Kümmernisse mit einer wahrhaft artistischen
Wollust; man hat das Gefühl, daß sie um keinen Preis ihre
Traurigkeiten hergeben würden. Anders, menschlicher, unlite¬
rarischer sind die Frauen im „Einsamen Weg'; vor allen:
Johanna. Hier versteckt sich ein Gefühl nicht hinter Geistig¬
keiten, und die Sehnsucht nach dem andern wird nicht sterilisiert
durch die allzu genau erfüllte Pflicht gegen sich selbst. „Willst
Du mit mir gehen nach Baktrien?“ fragt er, „als meine Frau?“
Und sie, die weiß, daß die Reise anderswo hingeht als nach
Baktrien, lächelt gut und geht wortlos voran; schenkt ihm für
die letzte Spanne seines Lebens eine außerordentliche Erinne¬
rung. Herr von Sala kann leider nicht mehr viel damit an¬
fangen. Es ist ihm nicht die Zeit vergönnt, das Erlebnis als
neues Futter für sein verhätscheltes Ich nach Hause zu tragen.
Er hört, daß sein eigenes Ende nahe, und ist augenblicklich ent¬
schlossen, ihm nicht entgegenzusiechen. Der Aesthet flüchtet vor
dem üblen Geruch, vor der Häßlichkeit und Pein des Todes in
den Tod. Ach, immer müssen Frauen sterben, damit Männer
erlöst werden. Aber der gerührte Zuschauer weiß in seinem
Innersten: Es war nicht der Mühe wert!
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