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18. Der ein. Neg
Wie ein Orgelpunkt bebt durch das ganze Stück das Wort:
Tod. Ich weiß nicht, ob es ein kunst=ehrliches Mittel, die Per¬
spektive eines Dramas dadurch zu vertiefen, daß man als Ort
der Handlung vorschreibt: knapp neben der Unendlichkeit. Mit
dem Tod reliefiert der Dichter das bißchen Leben auf seiner
Bühne. Es ist ein Spiel zwischen Gräbern, und die Akteure
sind Tote, Tod=Suchende und Tod=Geweihte. So tropft ein
Teil der schwermütigen Stimmung des Schauspiels automatisch
aus dem Thema. Aber der andre ist redliches Werk des Dichters,
seiner Kunst der verdämmernden Lichter und halben Töne. Ein
brennender Kummer über die Nutzlosigkeit aller Erkenntnis redet
im „Einsamen Weg'. Sozusagen: eine Trauer des Gehirns.
Und mancherlei Mitleid, das sich doch nicht recht hervortraut,
sondern alles Zucken um die Lippen in ein ironisches Lächeln
zwingt. Und Schmerz über der Frauen Los: daß ihnen so
leicht zum Schicksal wird, was dem Mann, ganz besonders
dem Künstler, so leicht zur Episode schrumpft. Und daß ihnen in
dieser Beziehung nicht zu helfen, absolut nicht. Etwas fast wie
Unerbittlichkeit ist in der Komödie. Ein nobler Verzicht all¬
seits auf Ausflüchte, Verstecke, holde Lügen.
So mag der „Einsame Weg' eine Dichtung sein. Ein
Drama ist er nicht. Denn der Weg des Dramas ist von außen
nach innen. Durch Vorgänge zu der innern Logik der Vor¬
gänge, durch Gesprochenes zu Unausgesprochenem, vielleicht zu
Unaussprechlichem. Im „Einsamen Weg' ists umgekehrt. Wir
bekommen die Idealitäten und müssen die Tatsachen fast erraten.
An der Wand erscheinen Intellekt= und Gefühlsschatten, nur
höchst selten huscht etwas Körperliches über die Szene. Und
was gewesen, nimmt dem, was ist, Luft und Atem. Es muß
auffallen, wie oft in Schnitzlers Schauspielen das Präsens vom
Perfektum erschlagen wird. Immer spielt ein gewesenes Drama
die größte Rolle im gegenwärtigen. Immer erscheinen Re¬
venants und verwirren die Lebenden. Ist das wirklich Ibsen
aus dem Wienerwald? Ein fortwährendes Mühen um das
Problem der ehernen Konsequenz alles Geschehens? Oder liegt
dem nicht die dumpfe Ahnung eines schweren künstlerischen
Mangels zugrunde? Das Gefühl, zu dünn=abstrakt, zu dialek¬
tisch zu sein? Und also das Bedürfnis, statt der fehlenden
dramatischen Vorgänge wenigstens den Schatten solcher ins
Spiel zu mischen?
Die fünf Akte klingen heute schon matt; ein fader, süßlicher
Hauch ist um sie, der kaum als Symptom für Unsterblichkeit zu
deuten. Ein kluges, kein tiefes Schauspiel. Kein tiefes Schau¬
spiel, wenn auch ein Schauspiel in der Tiefe. Grade solches
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18. Der ein. Neg
Wie ein Orgelpunkt bebt durch das ganze Stück das Wort:
Tod. Ich weiß nicht, ob es ein kunst=ehrliches Mittel, die Per¬
spektive eines Dramas dadurch zu vertiefen, daß man als Ort
der Handlung vorschreibt: knapp neben der Unendlichkeit. Mit
dem Tod reliefiert der Dichter das bißchen Leben auf seiner
Bühne. Es ist ein Spiel zwischen Gräbern, und die Akteure
sind Tote, Tod=Suchende und Tod=Geweihte. So tropft ein
Teil der schwermütigen Stimmung des Schauspiels automatisch
aus dem Thema. Aber der andre ist redliches Werk des Dichters,
seiner Kunst der verdämmernden Lichter und halben Töne. Ein
brennender Kummer über die Nutzlosigkeit aller Erkenntnis redet
im „Einsamen Weg'. Sozusagen: eine Trauer des Gehirns.
Und mancherlei Mitleid, das sich doch nicht recht hervortraut,
sondern alles Zucken um die Lippen in ein ironisches Lächeln
zwingt. Und Schmerz über der Frauen Los: daß ihnen so
leicht zum Schicksal wird, was dem Mann, ganz besonders
dem Künstler, so leicht zur Episode schrumpft. Und daß ihnen in
dieser Beziehung nicht zu helfen, absolut nicht. Etwas fast wie
Unerbittlichkeit ist in der Komödie. Ein nobler Verzicht all¬
seits auf Ausflüchte, Verstecke, holde Lügen.
So mag der „Einsame Weg' eine Dichtung sein. Ein
Drama ist er nicht. Denn der Weg des Dramas ist von außen
nach innen. Durch Vorgänge zu der innern Logik der Vor¬
gänge, durch Gesprochenes zu Unausgesprochenem, vielleicht zu
Unaussprechlichem. Im „Einsamen Weg' ists umgekehrt. Wir
bekommen die Idealitäten und müssen die Tatsachen fast erraten.
An der Wand erscheinen Intellekt= und Gefühlsschatten, nur
höchst selten huscht etwas Körperliches über die Szene. Und
was gewesen, nimmt dem, was ist, Luft und Atem. Es muß
auffallen, wie oft in Schnitzlers Schauspielen das Präsens vom
Perfektum erschlagen wird. Immer spielt ein gewesenes Drama
die größte Rolle im gegenwärtigen. Immer erscheinen Re¬
venants und verwirren die Lebenden. Ist das wirklich Ibsen
aus dem Wienerwald? Ein fortwährendes Mühen um das
Problem der ehernen Konsequenz alles Geschehens? Oder liegt
dem nicht die dumpfe Ahnung eines schweren künstlerischen
Mangels zugrunde? Das Gefühl, zu dünn=abstrakt, zu dialek¬
tisch zu sein? Und also das Bedürfnis, statt der fehlenden
dramatischen Vorgänge wenigstens den Schatten solcher ins
Spiel zu mischen?
Die fünf Akte klingen heute schon matt; ein fader, süßlicher
Hauch ist um sie, der kaum als Symptom für Unsterblichkeit zu
deuten. Ein kluges, kein tiefes Schauspiel. Kein tiefes Schau¬
spiel, wenn auch ein Schauspiel in der Tiefe. Grade solches
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