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18. Der einsan8
Placement aber stimmt bedenklich. Weil ja dies eben das
Wunder des dramatischen Genius, daß er, ohne sich jemals
von der Oberfläche zu entfernen, der Tiefe Geheimnis, Schrecken
und Zauber ahnen läßt. Der Dichter des „Einsamen Wegs
hingegen? Er ist tief, indem er seinen Geschöpfen die Stühle
auf den Grund setzt.
Das Burgtheater hat den stillen Gesprächen vier stille
Schauplätze gebaut. Der Park des Herrn von Sala ist ein
Prachtstück. Ein schwermütiger Vierklang von: Abend, Stille,
Herbst und Verlassenheit. Man hört die Natur schweigen. Und
der Menschen Rede klingt gedämpft, als befürchteten sie, ein
Schlummerndes zu wecken. Auch das Coitage=Gärtchen ist
hübsch. Nur ein wenig dumpf, lichtarm; und mißmütig, ohne
nachbarliche Freundschaft blicken ein paar proletarische Fassaden
hinein.
„Der einsame Weg' wird nobel gespielt, das versteht sich
von selbst. Aber kühl und fremd, fremd der Sache; das ver¬
steht sich auch von selbst. Man spricht tadellos den Text, aber
die innere Resonanz, die die Sprecher pflichtgemäß dazugeben,
ist Mache. Fräulein Wohlgemut, Herr Walden, Herr Devrient
gastieren in Ahnung, Rätselreichtum, Seelendunkel. Zu Hause
sind sie dort nicht, das spürt man. Herrn Waldens edle Nasalität
taugt besser für entzückende als für ernste Pointen. Seiner
Sicherheit, Haltung und Ruhe kann man sich erfreuen. Aber es
ist immer Salon=Magie um ihn. Die respektable Erscheinung
des Fräulein Wohlgemut kommt der Johanna zugute. Mehr
konnte sie der Figur — von Dichters Ungnaden durchaus
Skizze — nicht geben. Wärme, Leben, Notwendigkeit ließe sich
allerdings in diese Erfundene, nicht Gefühlte, kaum Gesehene
schwer hineinspielen. Ganz farblos, bürgerlich von jeher, der
Julian Fichtner des Herrn Devrient. Daß er jemals ein stür¬
mendes Genie gewesen — ich habe nicht genug Phantasie, mirs
vorzustellen. Ein herzliches, natürliches Wesen die Irene Herms
der Frau Bleibtreu. Ein süßes vierzigjähriges Mädel. Humor,
Leichtsinn, Genialität der Hingabe, Güte, Naiv=Unbedingtes
in Reigung und Abneigung — alles noch da, nur gleichsam an
den Rändern schon vergilbt und von Erinnerung zerknittert.
Mit Takt erledigt Herr Gerasch seine Aufgabe, einen echten Vater
ohne Pathos zu verschmähen. Herrn Herterichs Arzt hat die
nötigen menschlichen Qualitäten. Und Herr Paulsen ist ein
rechtschaffener, kreuzbraver, ungenialer Kunstbeamter. Das
trifft er großartig.
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Placement aber stimmt bedenklich. Weil ja dies eben das
Wunder des dramatischen Genius, daß er, ohne sich jemals
von der Oberfläche zu entfernen, der Tiefe Geheimnis, Schrecken
und Zauber ahnen läßt. Der Dichter des „Einsamen Wegs
hingegen? Er ist tief, indem er seinen Geschöpfen die Stühle
auf den Grund setzt.
Das Burgtheater hat den stillen Gesprächen vier stille
Schauplätze gebaut. Der Park des Herrn von Sala ist ein
Prachtstück. Ein schwermütiger Vierklang von: Abend, Stille,
Herbst und Verlassenheit. Man hört die Natur schweigen. Und
der Menschen Rede klingt gedämpft, als befürchteten sie, ein
Schlummerndes zu wecken. Auch das Coitage=Gärtchen ist
hübsch. Nur ein wenig dumpf, lichtarm; und mißmütig, ohne
nachbarliche Freundschaft blicken ein paar proletarische Fassaden
hinein.
„Der einsame Weg' wird nobel gespielt, das versteht sich
von selbst. Aber kühl und fremd, fremd der Sache; das ver¬
steht sich auch von selbst. Man spricht tadellos den Text, aber
die innere Resonanz, die die Sprecher pflichtgemäß dazugeben,
ist Mache. Fräulein Wohlgemut, Herr Walden, Herr Devrient
gastieren in Ahnung, Rätselreichtum, Seelendunkel. Zu Hause
sind sie dort nicht, das spürt man. Herrn Waldens edle Nasalität
taugt besser für entzückende als für ernste Pointen. Seiner
Sicherheit, Haltung und Ruhe kann man sich erfreuen. Aber es
ist immer Salon=Magie um ihn. Die respektable Erscheinung
des Fräulein Wohlgemut kommt der Johanna zugute. Mehr
konnte sie der Figur — von Dichters Ungnaden durchaus
Skizze — nicht geben. Wärme, Leben, Notwendigkeit ließe sich
allerdings in diese Erfundene, nicht Gefühlte, kaum Gesehene
schwer hineinspielen. Ganz farblos, bürgerlich von jeher, der
Julian Fichtner des Herrn Devrient. Daß er jemals ein stür¬
mendes Genie gewesen — ich habe nicht genug Phantasie, mirs
vorzustellen. Ein herzliches, natürliches Wesen die Irene Herms
der Frau Bleibtreu. Ein süßes vierzigjähriges Mädel. Humor,
Leichtsinn, Genialität der Hingabe, Güte, Naiv=Unbedingtes
in Reigung und Abneigung — alles noch da, nur gleichsam an
den Rändern schon vergilbt und von Erinnerung zerknittert.
Mit Takt erledigt Herr Gerasch seine Aufgabe, einen echten Vater
ohne Pathos zu verschmähen. Herrn Herterichs Arzt hat die
nötigen menschlichen Qualitäten. Und Herr Paulsen ist ein
rechtschaffener, kreuzbraver, ungenialer Kunstbeamter. Das
trifft er großartig.
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