II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 474

W
18. Der einsanE
Husschnitt aus pas Forum, Wien
1-APR 1974
vom:

Ein erfreulicher Abend! Man erinnerte sich
wieder „einmal des größten Wiener Dichters, der seit
Jahren fast alle seine Werke in Berlin aufführen lassen
muß, obwohl sie nur in Wien so recht verstanden
werden können — Schnitzler's „Einsamer Wog“'
führte spät, aber doch# Bürg. Die Aufführung
dieses wundersam-feinen Schauspiels war ganz über¬
raschend gut, man konnte sogar so etwas wie Stil
beobachten. Harry Walden's vornehme Art kum
war
dem „Herrn von Sala“ sehr zu statten — er
geistreich, elegant, liebenswürdig, ohne daß er die
Absicht merken ließ. Devrient Julian Fichtner
spielt bekanntlich „Männer, die über Leichen gehen“
immer vorzüglich. Prachtvoll war die Bleibtren als
Schauspielerin Herms, die sich stets „gleichsam mit
einem heiteren, einem hassen Auge“ zeigt. Schlicht
und ergreifend war Paulsen als Professor Wegrath.
ergreifend spielte auch Frau Haeberle die maler
dolorosa. Gerasch gab den „Sohn zweier Väter“
natürlich und mit schöner Wärme. Vielleicht die
schwerste, sicher aber die undankbarste Rolle fiel
Fräulein Wohlgemuth zu: die ungemein begabte
junge Schauspielerin bemühte sich nach Kräften, den
Charakter der „Johanna“ halbwegs verständlich zu
machen, was unverständlich blieb ist Schuld des Dich¬
ters; jedenfalls war sie nicht larmoyant, dafür muß
man ihr dankbar sein. Herrn Devrient, der in letzter
Zeit einige Regieaufgaben ganz vortrefflich gelöst hat,
gebührt nicht geringes Lob an dem abgerundeten Auf¬
führung, die tiefere Wirkung auf dae Publikum zn
machen schien. Jedenfalls wäre es zu wünschen,
wenn Schnitzler wieder Heimischeg-würde in den
1.—
Wiener Theatern!
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haben, Bismarck war doch „der Moses, der
mit seinem Stab den harten dürren Stein
schlug". Ohne ihn wäre man in Deutschland
vielleicht noch Jahrzehnte, vielleicht noch
länger in kleinlichen Versuchen, in ver¬
in
sumpfenden, kümmerlichen Anläufen,
schiefen Nachahmungen des freiwilligen eng¬
lischen Kassenwesens stecken geblieben“. Er
hat gegen tausend Widerstände ringen, viele
Lieblingsvorstellungen opfern müssen. Man¬
ches ist schwerfällig geblieben. Aber er ist
fest geblieben. „Ein Sohn der feudalen Ro¬
mantik und des manchesterlichen Liberalis¬
mus, hat er sich durch Weltkenntnis und
Wahrhaftigkeit von beiden geistigen Strö¬
mungen losgerissen, hat die preußische Krone
mit den Tropfen sozialen Ols gesalbt, die
nötig waren, um ihre innere und soziale
Rechtfertigung in der Gegenwart zu be¬
haupten.“ Das Werk ist längst dem Leben
des Reiches eingefügt und wenn einmal der
Haß des Tages überwunden sein wird,
werden Millionen den Namen des großen
Wohltäters segnen.
Professor H. Kxetschmayr.
Deat 929
Ma
Wiener Theater.
Artur Schnitzlers-Schauspiel „Der ein“
same Weg“ ist zehn Jahre alt und etwa
acht Jahre sind es her, daß die Wiener es
gelegentlich eines Gastspiels des Berliner
Lessingtheaters von der Bühne herab kennen
gelernt hatten. Nun das Burgtheater es
in seinen Spielplan aufgenommen, bietet
sich willkommene Gelegenheit, die zuerst
empfangenen Eindrücke durch die neuge¬
wonnenen zu überprüfen. Was damals nur
dunkel geahnt und für zufällige Berührungs¬
punkte gehalten wurde, tritt jetzt klar zutage:
„Der einsome Weg“ bedeutet in Schnitzlers
Schaffen den Durchgang durch Ibsen. Allen
Dramatikern unserer Tage kreuzt der große
nordische Bühnendichter früher oder später
einmal die Bahn, und keiner kann an ihm
vorüber, ohne sich mit ihm irgendwie abge¬
sunden zu haben. Wie Schönherr mit seinem
ganz in der Technik und in der fatalisti¬
schen Tragik Ibsens gehaltenen Schauspiel
„Familie“ den Gesetzen der Gravitation
unterlegen ist, bevor seine Bahn frei wurde
zur „Erde“ und zu „Glaube und Heimat“
so mußte sich auch Schnitzler von der Seele
schreiben, was ihm vom Lebenswerke Ibsens
zugeflossen war. Und dies besorgte er in
seinem Schauspiel „Der einsame Weg“ mit
einer Gründlichkeit, die leicht zur Unge¬
rechtigkeit gegen seine dichterische Persön¬
licht verleiten könnte. Mit allen Traurig¬
keiten des Lebens, von denen Ibsen zu singen
und zu sagen weiß, überschattet Schnitzler
Einstafst um seine Cigenatt verakot soal.
Man würde sie indes nicht vermissen, wenn
die Gestalten seines Schauspiels, die er alle,
Halbtote bei lebendigem Leib, den Weg
der Vereinsamung gehen läßt, wie Ibsen
seinen Doktor Rank, seine Frau Alving,
seine Hedda Gabler, seinen Borkmann und
seinen Rubek. An Trauerweiden und Tag¬
und Nachtschatten vorbei, führt auch Schnitz¬
lers einsamer Weg und wenn die Toten
zum Leben ertachen, dann merken sie auch
bei ihm, daß das Leben für sie tot ist, nur
ein Vehikel fremden Räsonnements. Was
aber durch fast sämtliche Stücke Ibsens nur
wie ein tragisches Leitmotiv persönlichster
Färbung zieht und zugleich den düsteren
Grundakkord des Landes der Mitternachts¬
sonne bildet, multipliziert sich in Schnitzlers
Schauspeil zu einer schier demonstrativen Be¬
weisführung, die unpersönlich wirkt, weil
der Dichter, unbekümmert um den ungleich
freundlicheren Landschaftscharakter des zu
frohem Lebensgenuß einladenden Wiener¬
waldes, zu viele auf einmal den Weg ins
einsame Sterben schickt, ohne durch ein
Gegenspiel die poetische Gerechtigkeit her¬
zustellen. Selbst der tragisch unerbittliche
Ibsen bejaht das Leben, wo er es verneint.
Während sich über den toten Borkmann
zwei Frauenschatten zum trostlosen Frieden
die Hand reichen, entführt sein Sohn im
Schlitten die Geliebte ins blühende Leben
und während Rubek und Irene dem Lawinen¬
tod in den Bergen entgegengehen, trägt der
„Bärentöter“ seine geliebte Maja jauchzend
zu Tal.
Nichts von einem ähnlichen Ausgleich
bei Schnitzler. Da schreiten sie alle im
schwarzen Flor einer Wehmut, die sich selbst
will, unentrinnbar dem einsamen Tode zu:
Mutter und Tochter, Vater und Sohn,
Witwer und Hagestolz, Künstler und Geld¬
mann. Kein Wort der Liebe vermag ihre
Isolierzellen zu sprengen, mit Bedacht blei¬
ben sie einsame Menschen, sei es aus Stolz,
Selbstüberschätzung oder Eigennutz. Dieses
Zuviel ist es, was dem Stücke Schnitzlers
den Charakter des Berechneten, des Kon¬
struierten aufdrückt, soviel poetisch echt und
tiefempfundenes auch mit unterläuft. Die
dramatische Beweisführung steht eben unter
einem anderen Gesetze als die statistische,
und wie sehr die Bühne auf das Zweck¬
mäßige hinarbeitet, so muß doch immer
irgendein Unberechenbares mit im Spiele
sein, ähnlich der Ausnahme, durch die erst
die Regel bestätigt wird. Indem Schnitzler
tragisch noch konsequenter sein wollte als
Ibsen und alle Personen seines Schauspiels,
ohne Ausnahme dem gleichen Schicksale der
Vereinsamung entgegentreibt, bringt er sein
Spiel um die äußere Wahrscheinlichkeit und

Kc