Graschsomn der Fral
Haeberle auf Kosten der anderen loben, die
mit problematisch undankbareren Aufgaben
betraut waren.
Hatte das Burgtheater seinen Besitz
von Schnitzler=Stücken um eines vermehrt,
darin Schnitzler viel weniger er selber ist
als in seinen Anfängen, so zeichnete das
Deutsche Volkstheater in die Ehrenliste
seiner Literaturkönige den Namen August
Strindverg mit einem Stücke ein, das aus
einer Zeit stammt, wo Strindberg noch gar
nicht Strindberg war oder doch nicht der,
den wir heute suchen. Zweiunddreißig Jahre
alt ist das Schauspiel „Frau Margit" und
man zerbricht sich den Kopf, was denn das
Deutsche Volkstheater bewogen haben mag,
gerade auf dieses redselige Ritterstück zurück¬
zugreifen. Geschah es, um sich einer Urauf¬
führung berühmen zu können oder um wieder
einmal zu beweisen, daß die Literatur auf
der Bellaria keinen goldenen Boden habe,
gleichviel: jedenfalls hat man es mit einem
neuen, sehr betrüblichen Faktum der Rat¬
losigkeit zu tun, die heuer im Deutschen
Volkstheater am Steuerruder sitzt. Wer mit
der Art Strindbergs vertraut ist, wird mehr
ier. Orll 7 Keile Blältäge Aenteren
wollte: es spendete gerade nur soviel Beifall,
damit die Darsteller, allen voran Fräulein
Boic und die Herren Onno, Klitsch und
Kramer, ihre Mühen belohnt finden konnten.
Wenn es aber dem Deutschen Volkstheater
ernstlich um Strindberg zu tun ist, dann war
es eine recht seltsame Huldigung, von den
dreißig bis vierzig Stücken, die der schwedi¬
sche Dichter uns hinterlassen hat, gerade mit
dem uupersönlichsten anzufangen und damit
das Interesse für Strindberg, das doch erst
erweckt werden sollte, im Keime zu ersticken.
Augesichts solcher Literaturopfer, die
kein Mensch begehrt und die nichts beweisen
als einen Mangel an Instinkt für die geistige
Auffrischung, die Bühne und Zuschauer von
Zeit zu Zeit brauchen, um nicht im ewigen
Einerlei der klappernden Tantiemenmühle
sich einander überdrüssig zu werden, sieht
man das Deutsche Volkstheater fast lieber
auf uuliterarischen Pürschgängen, auch wenn
es ab und zu danebenschießt. Heuer hat es
bisher zwar nur daneben geschossen und auch
die Komödie „Der Hiuterhalt“ von Heury
Kistemaekers wäre in einem ergiebigeren
Spieljahr kaum eines Schusses Pulver würdig
erachtet worden. Da es aber heuer auf der
Bellaria überhaupt zum erstenmal ordentlich
krachte, ließ man sich ohne Widerspruch aus
dem Hinterhalte der Comédic Française ein
echtes und rechtes Boulevardstück mit allen
Verlogenheiten und Verschrobenheiten seiner
längst außer Kurs gesetzten Gattung in die
sonst psychologisch strengere und künstlerisch
anspruchsvollere Gegenwart schmuggeln. Man
höre und urteile: ein Jüngling unehelicher
Herkunft ist da, angestellt als Ingenieur bei
einem Automobilfabrikanten, dessen Frau
den geheimnisvollen Jüngling heimlich in
die Welt gesetzt hatte, bevor sie in die Ehe
getreten war. Man ahnt Fürchterliches und
sieht das Damoklesschwert schon drohend
baumeln. Richtig verliebt sich der Jüngling
in die Tochter des Fabrikanten und man
begreift, daß die Mutter davon nichts wissen
will und seine Werbung abweisen muß, will
sie ihr ohnehin belastetes Gewissen nicht auch
noch mit der Mitschuld an einer Blutschande
beladen. Er fragt nach den Gründen der
Ablehnung. Die Mutter kann sie ihm nicht
sagen. Er folgert: Aha, ich bin euch zu
niedrig, weil ich keine Eltern habe und weil
ich als Angestellter, in eurer Fabrik schufte!
Denkt's und spricht's und verläßt zur selben
Stunde den Dienst. Und da die Arbeiter
gerade streiken, macht er mit ihnen gemein¬
same Sache. Als ihr Führer hat er die
Forderungen zu überbringen und er stellt
das Ultimatum: werden die Bedingungen
nicht augenommen, dann fliegt in den nächsten
zehn Minuten die Fabrik in die Luft. Em¬
pört über den Verrat und über die Er¬
pressung, will der Fabrikant den Hiobsboten
erwürgen. Schon hat er sich an seiner Gurgel
bequem gemacht, da stürzt die Gattin herein:
„Halt ein! Töte ihn nicht! Er ist mein Kind!“
Doch das Schicksal, das im Hinterhalt
lauert, hat sein Werk noch lange nicht voll¬
endet. Der Jüngling will retten und eilt zum
Telephon. Zu spät! Kaum hat er die Sprech¬
muschel an den Mund gesetzt, erfolgt die
Explosion und die schöne Automobilfabrik
liegt in Trümmern. Das Theater aber, in
dem dieses Spektakelstück gegeben worden
ist, steht noch unversehrt da und ist noch
nicht einmal in ein Kino umgewandelt
worden. Im Gegenteil: das Publikum hatte
für den Knalleffekt den lautesten Beifall
übrig, der heute im Deutschen Volketheater
zu hören war, und dankbar nahm es auch
den Rühreffekt des letzten Aktes hin, darin
der ruinierte Fabrikant nicht nur großmütig
verzeiht, sondern auch noch die Vaterschaft
des Jünglings auf sich nimmt, damit das
Ansehen der armen Mutter in den Augen
ihrer Tochter keinen Abbruch erleide. Wo
so viel Hochherzigkeit herrscht, konnte es
Frau Wallentin nicht ablehnen, die schwer
geprüfte Mutter des Herrn Klitsch zu spielen.
Sie fand für dieses Opfer gleich stürmischen
Beifall, wie Herr Homma für die Nollesse,
mit der er würgte und adoptierte, und Herr
Kutschera für den sordinierten Eifer, mit dem
er die aufgeregten Herrschaften beschwichtigte.
Da ein Akt in einer Prunkvilla an der
französischen Riviera spielt, gab es im Zu¬
schauerraum keinen Zweifel über die Vor¬
nehmheit des Stückes.—
Haeberle auf Kosten der anderen loben, die
mit problematisch undankbareren Aufgaben
betraut waren.
Hatte das Burgtheater seinen Besitz
von Schnitzler=Stücken um eines vermehrt,
darin Schnitzler viel weniger er selber ist
als in seinen Anfängen, so zeichnete das
Deutsche Volkstheater in die Ehrenliste
seiner Literaturkönige den Namen August
Strindverg mit einem Stücke ein, das aus
einer Zeit stammt, wo Strindberg noch gar
nicht Strindberg war oder doch nicht der,
den wir heute suchen. Zweiunddreißig Jahre
alt ist das Schauspiel „Frau Margit" und
man zerbricht sich den Kopf, was denn das
Deutsche Volkstheater bewogen haben mag,
gerade auf dieses redselige Ritterstück zurück¬
zugreifen. Geschah es, um sich einer Urauf¬
führung berühmen zu können oder um wieder
einmal zu beweisen, daß die Literatur auf
der Bellaria keinen goldenen Boden habe,
gleichviel: jedenfalls hat man es mit einem
neuen, sehr betrüblichen Faktum der Rat¬
losigkeit zu tun, die heuer im Deutschen
Volkstheater am Steuerruder sitzt. Wer mit
der Art Strindbergs vertraut ist, wird mehr
ier. Orll 7 Keile Blältäge Aenteren
wollte: es spendete gerade nur soviel Beifall,
damit die Darsteller, allen voran Fräulein
Boic und die Herren Onno, Klitsch und
Kramer, ihre Mühen belohnt finden konnten.
Wenn es aber dem Deutschen Volkstheater
ernstlich um Strindberg zu tun ist, dann war
es eine recht seltsame Huldigung, von den
dreißig bis vierzig Stücken, die der schwedi¬
sche Dichter uns hinterlassen hat, gerade mit
dem uupersönlichsten anzufangen und damit
das Interesse für Strindberg, das doch erst
erweckt werden sollte, im Keime zu ersticken.
Augesichts solcher Literaturopfer, die
kein Mensch begehrt und die nichts beweisen
als einen Mangel an Instinkt für die geistige
Auffrischung, die Bühne und Zuschauer von
Zeit zu Zeit brauchen, um nicht im ewigen
Einerlei der klappernden Tantiemenmühle
sich einander überdrüssig zu werden, sieht
man das Deutsche Volkstheater fast lieber
auf uuliterarischen Pürschgängen, auch wenn
es ab und zu danebenschießt. Heuer hat es
bisher zwar nur daneben geschossen und auch
die Komödie „Der Hiuterhalt“ von Heury
Kistemaekers wäre in einem ergiebigeren
Spieljahr kaum eines Schusses Pulver würdig
erachtet worden. Da es aber heuer auf der
Bellaria überhaupt zum erstenmal ordentlich
krachte, ließ man sich ohne Widerspruch aus
dem Hinterhalte der Comédic Française ein
echtes und rechtes Boulevardstück mit allen
Verlogenheiten und Verschrobenheiten seiner
längst außer Kurs gesetzten Gattung in die
sonst psychologisch strengere und künstlerisch
anspruchsvollere Gegenwart schmuggeln. Man
höre und urteile: ein Jüngling unehelicher
Herkunft ist da, angestellt als Ingenieur bei
einem Automobilfabrikanten, dessen Frau
den geheimnisvollen Jüngling heimlich in
die Welt gesetzt hatte, bevor sie in die Ehe
getreten war. Man ahnt Fürchterliches und
sieht das Damoklesschwert schon drohend
baumeln. Richtig verliebt sich der Jüngling
in die Tochter des Fabrikanten und man
begreift, daß die Mutter davon nichts wissen
will und seine Werbung abweisen muß, will
sie ihr ohnehin belastetes Gewissen nicht auch
noch mit der Mitschuld an einer Blutschande
beladen. Er fragt nach den Gründen der
Ablehnung. Die Mutter kann sie ihm nicht
sagen. Er folgert: Aha, ich bin euch zu
niedrig, weil ich keine Eltern habe und weil
ich als Angestellter, in eurer Fabrik schufte!
Denkt's und spricht's und verläßt zur selben
Stunde den Dienst. Und da die Arbeiter
gerade streiken, macht er mit ihnen gemein¬
same Sache. Als ihr Führer hat er die
Forderungen zu überbringen und er stellt
das Ultimatum: werden die Bedingungen
nicht augenommen, dann fliegt in den nächsten
zehn Minuten die Fabrik in die Luft. Em¬
pört über den Verrat und über die Er¬
pressung, will der Fabrikant den Hiobsboten
erwürgen. Schon hat er sich an seiner Gurgel
bequem gemacht, da stürzt die Gattin herein:
„Halt ein! Töte ihn nicht! Er ist mein Kind!“
Doch das Schicksal, das im Hinterhalt
lauert, hat sein Werk noch lange nicht voll¬
endet. Der Jüngling will retten und eilt zum
Telephon. Zu spät! Kaum hat er die Sprech¬
muschel an den Mund gesetzt, erfolgt die
Explosion und die schöne Automobilfabrik
liegt in Trümmern. Das Theater aber, in
dem dieses Spektakelstück gegeben worden
ist, steht noch unversehrt da und ist noch
nicht einmal in ein Kino umgewandelt
worden. Im Gegenteil: das Publikum hatte
für den Knalleffekt den lautesten Beifall
übrig, der heute im Deutschen Volketheater
zu hören war, und dankbar nahm es auch
den Rühreffekt des letzten Aktes hin, darin
der ruinierte Fabrikant nicht nur großmütig
verzeiht, sondern auch noch die Vaterschaft
des Jünglings auf sich nimmt, damit das
Ansehen der armen Mutter in den Augen
ihrer Tochter keinen Abbruch erleide. Wo
so viel Hochherzigkeit herrscht, konnte es
Frau Wallentin nicht ablehnen, die schwer
geprüfte Mutter des Herrn Klitsch zu spielen.
Sie fand für dieses Opfer gleich stürmischen
Beifall, wie Herr Homma für die Nollesse,
mit der er würgte und adoptierte, und Herr
Kutschera für den sordinierten Eifer, mit dem
er die aufgeregten Herrschaften beschwichtigte.
Da ein Akt in einer Prunkvilla an der
französischen Riviera spielt, gab es im Zu¬
schauerraum keinen Zweifel über die Vor¬
nehmheit des Stückes.—