II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 480

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18. Der einsane Neg
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erhellend. Johannas Sein und ihr freiwilliger Tod ge¬
erlassen wurde, etwas von dem
winnen von hier aus die Schicksalslinie. Und auch in
in, erkenntnisschweren Staunen einer
Sala erwacht in diesem Augenblick das Bewußtsein einer
gehört zu jenem Geschlecht der
Sie
Begegnung, wie sie nur zweien sich vorbestimmten und
shrenden, zu jenem Geschlecht der
einzig für einander bestimmten Menschen beschieden ist.
ensbegierigen, welchem ihre Mutter
Es schwingen Tristan=Klänge in diesem Augenblick see¬
dann in Haß erlegen war. So
ligsten Naheseins und ewiger Trennung; in dieser Herbst¬
um Salas letztes, größtes Er¬
stimmung, „da die Blätter rot sind, der goldene Dunst¬
Sala, der der Vollender,
über den Wolken liegt und der Tag noch viel schöner
Menschentypus ist, den die
und viel trauriger, als man ihn je hätte ahnen können!“
rzur talentvollen Skizze gedeihen
Ein Stück, stark durch inneres Gleichgewicht. Dra¬
stikerin. Sie hat die Gabe, den Tod
matisches wie seelisches. Niemand hat recht, und niemand
die tiefgründige Gewißheit, daß
unrecht. Die Menschen, welche über jede Pflicht sich
Wiederkehr beschieden ist; sie blickt
stellen, die Unbegrenzten, Sala, Fichtner, Johanna, sind
als in ihr früheres, in die ferne
den Menschen gegenüber, die jeder Pflicht sich beugen,
r versprochenes Leben. Selbst die
die ihre Grenzen freiwillig sich abstecken, die Wegraths,
schen zu verraten, an welchen sie
Felix, Dr. Raumann. Man möchte denken, es sei ein
walstage zu erkennen vermag. So
konstruiertes Verhältnis, eine errechnete Symmetrie. Wenn
Mutter zu sagen, weiß sie, daß
eben die Zusammenhänge nicht mit so unlösbarer Be¬
erkennt die Landschaft, in der ihr
dingtheit meinandergriffen. Wie Kette und Einschlag eines
wird zu sterben. An dieser dunkeln
kostbaren Gewebes. Durch einen mysteriösen, an das
den Wissens, an dieser zu den
Problem der Wahlverwandtschaften erinnernden Natur¬
enden Pforte des Bewußtseins be¬
willen wird Johanna die wirkliche Tochter Wegraths,
la, dem Dichter, dessen Lebenstraum
Fichter ähnlich (und dadurch in noch höherem Grade Sala).
Stadt auszugraben, in der Stufen
Felix aber, der doch in Wahrheit Fichtners Sohn ist, zeigt
aufgedeckt wurden, die in endlose
sich innig dem Wesen Wegraths (seines vermeintlichen
Wenn Johanna und Salas Seelen
Vaters) verwandt. Wie dieser mit stiller, edler Einfachheit,
gen, so ist es nicht in landläufiger
mit beinahe hochmütiger Selbstbeschränkung klaglos und
rn in der Gier, letzte Geheimnisse
aufrecht durch ein Leben schreitet, welches er nur Anderen
hingibt, so gehört auch Felix von dem Augenblick, wo
ie Liebesszene dieser beiden sinnlich¬
sich ihm die Wahl stellt, seinem zufälligen ober seinem er¬
in die Schatten des Todes gestellt.
worbenen Vater zu folgen, zu den geradlinigen Charak¬
, daß sie sich einem Marne hin¬
teren, die den Sinn für das „Wesentliche“ haben. Das
ählt sind, findet sie, die immer Ver¬
Wesentliche erkennt er darin, daß „man sehr wenig für
zum glühenden Bekenntnis ihrer
einen Menschen getan hat, wenn man nichts tat als ihn
eines jener Momente, wo die
in die Welt zu setzen". Für den Anderen, der einen
Schnitzler manche seiner Gestalten
denkenden Menschen aus ihm gemacht hat, entscheidet sein
Man empfindet, daß sie irgend¬
rd.
sachlich fühlendes Gewissen. Auch sonst hat er eine knappe,
von ihm abzuhängen, und so¬
karge, feste Art, eine phrasenlose Haltung, die in einem
if eigene Faust weiterführen. „Hörst
Augenblick ihn sogar Sala überlegen macht. Er tötet diesen,
Und ich möchte, daß Du es später
den Verführer seiner Schwester, mit einem Wort: „Herr
wie ich es jetzt sage, in irgend
v. Sala, wir werden nicht mehr unter einem Zelt schlafen,
blick, schön wie dieser ... und in
so weit geht Ihre Reise nicht.“ Ein Satz, der Sala trifft,
mehr von einander wissen werden.“
als hätte er in einem amerikanischen Duell die schwarze
eine Wiederkunft in dieser nur allen
Kugel gezogen.,
chenseele sie versuchen läßt, ihren
Mitten unter diesen Menschen „mit dem allzu wachen
blick für die Ewigkeit sicherzustellen,
Bewußtsein“ blüht nun eine liebe, naive, zärtlich=sonnige
elische Wendung, die wie aus dem
Unterbewußtseins sich entringt, alsMenschenseele. Irene Herms ist von dem Stamm der
dunkelsten Falten eines Herzens! Christine. Sie ist das in e# älteres Fach übergegangene
„Süße Mädel“. Unkomplizierte Triebhaftigkeit, holder
Leichtsinn und eine mollige, Güte, die rosig schimmert,
wie ihre mollige, rosige, feine Haut. Die sinnlich an¬
spruchslose Wienerin. Die niemals durch innere Gesetze
dazu bestimmt gewesen wäre, einen „einsamen Weg“ zus
gehen. Und die dennoch in einem Alter, da Frauen das
Gebot der Pflicht zu segnen beginnen, in einem Alter,
da sie beginnen, in ihrem Kind ihr eigenes Leben auf¬
gehen zu lassen, allein steht. Fichtner begegnete ihr eben:
und zerstörte sie. Zerstörte in ihr die Geliebte, die Frau,
die Mutter. Indem er sie einer Liebe ohne Opfer frönen
lehrte, und sie hieß, das in ihr keimende Leben zu ver¬
nichten, weil es für ihn eine Fessel zu werden drohte. So
verfälschte er eine Seele. Irene Herms liebelte durch das
Leben, obwohl in ihr die Kraft der Liebe lag; sie wurde
untreu, obwohl Treue ihr Maß war; sie wurde unstet,
obwohl im innersten eine innige Heimnatur. Sie ist eben
wie alle anderen um sie herum, die in Salas und Fichtners
Kreise traten, das Opfer gesetzesloser Herrennaturen. Aber
in ihr schwingt nicht das Pathos dieser Anderen. Man hat
sie zwar um ihre Bestimmung betrogen. Sie wird die
Zahl der traurigen Kibitze vernehmen, die als Fräulein
Tante alle Gouvernanteneinsamkeiten durchkosten. Und
selbst diese Degradierung wird sie noch ohne Bitterkeit und
mit Grazie tragen.
An dieser Gestalt, die so naiv erleidet, fühlt man
besonders, wie merkwürdig die organische Entwicklung des
scelisch vielfach verzweigten Schauspieles ist. Man kann
drei Probleme darin verfolgen, die, wie die Lebensringe
eines Baumdurchschnittes, in konzentrischen Kreisen ge¬
lagert sind. Als primäres Thema ist wohl die Tragödie
zu czupfinden, die das Altern von Lebensgenießern um¬
spielt. In dem ersten Entwurf soll das Schauspiel tat¬
sächlich den Titel „Die Junggesellen“ getragen haben. Und.
die gefaßte Wehmut, die dunkle Glut, mit der Sala dem
Abschied von der Jugend letzte Wonnen entreißt, die
qualvolle Angst, die ins Leere tappende Sehnsucht tach:
Liebe, welche Fichtner, den tollen Verschwender jedes
Liebesbesitzes, zum wimmernden Bettler wandelt — dieser
seelische Zusammenbruch, der in einem physiologischen Zu¬
stand seine Wurzeln hat, er rollt in der zei
genössischen Dichtkunst zum erstonmal
das Problem des kritischen Alters auf.
Ein tiefer geschöpfter Konflikt wächst aber allmählich
aus diesem eng umschriebenen Problem hervor und ver¬
drängt es. Von der Liebe handelt es, die verdient sein
will. Von den Beziehungen der Menschen zu einayder,
die nur durch erworbene Rechte Giltigkeit erhalten.;
Bankrotteure des Daseins werden gezeigt, die, weil sie