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am
18. Der ein. Fag
12 Oktoett 1946
m Hamburger Zeitung
Hamburg.
T0
Deutsches Schauspielhaus.
12 Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Alten
von Arthur Schnitzter.
In diesem Stücke ist nichts, was manche Ingste als allein
seligmachend preisen: chaotische Leidenschaft, ekstatischer
Schwung; dafür ist etwas anderes darin, was sie in der
Regel nicht zu gestalten vermögen: Schicksal. Wirkliches,
glaubhaftes Schicksal, Verstrickung von Menschen in Zwänge,
die ebensosehr aus der eigentümlichen Gestaltung der Ver¬
hältnisse wie aus den Seelen selbst stammen. Im Mittel¬
punkte stehen Menschen, die die Höhe des Lebens bereits
überschritten und durch frühere Handlungen ihren Weg
schon festgelegt haben; daneben Jüngere, Junge, die auf
ihren Weg gedrangt werden. Abhängigkeit überall; dennoch
nicht letzter innerer Zusammenhang, sondern Vereinzelung.
Jeder in diesem Stück, jeder im Leben geht den einsamen
Weg; nicht nur beim Abstieg, obwohl der die Einsamkeit
fühlbarer macht, sondern von Anbeginn. Dennoch gibt es
Augenblicke, die dieses trostlose Auf=sich=selbst=Angewiesen¬
sein aufzuheben scheinen. Sie liegen als leuchtende Halte¬
punkte auf der durchwanderten Strecke, so eindringlich, daß
die Erinnerung zuweilen wie Gegenwart erscheint, während
die Gegenwart als Traum zerrinnt. Das ganze Drama ist
ein Weg zu solchem Höhepunkte, in dem zwei Menschen sich
gegenseitig bis ins Innerste als zusammengehörig fühlen.
Alles das mußte geschehen um dieses einen Augenblickes
willen
Ein bescheidener, tüchtiger Mann ist getäuscht worden; sein
Sohn gehört ihm nicht. Die Frau stirbt einsam mit dem
gehüteten Ceheimnts. Der. Mann. d#r sie #w Mutter machte
tent uns eutgrgen als ein gealterter Anatol, der Liebe un
des Haltes jetzt bedürftig, sehnsüchtig nach seinem Sohn: e
ist und bleibt ihm ein Fremder. Eine alternde Schauspie
lerin, die ihn liebte, fühlt sich um das Glück betrogen, wei
sie von ihm kein Kind hat: sie sieht ein, daß er nicht der
Mann war, um überhaupt glücklich zu machen. Ein junges
Mädchen fliegt einem alternden Mann entgegen, mit der
ganzen Hingabe, die bei solcher Verbindung so häufig iste
und einer Angst dennoch vor dem Leben, dessen Unzuverlässig.
keit sie voraus fühlt; und sie endet in dem Teich, der einige
Stunden vorher ihr Bild festhielt — das Bild ebenso flüchtig
im Wandel der Erscheinungen, wie ihr eigenes Dasein. Und
dieser Mann, einer von den gehaltenen Schnitzlerhelden, die
Leid und Freude mit der gleichen tiefen Hingabe genießen,
ein Eroberer der dennoch weiß, daß jeder Besitz schon von
vornherein ein Verzicht ist, folgt ihr, vom Tod gezeichnet, in
das Nichts. Am Rande steht ein gütiger und verstehender
Mensch, der das Mädchen geliebt hat und sie sterben sehen
muß, ohne ihr auf Armeslänge nahe zu kommen. Es ist
ein großes Vergehen in diesem Stück; Menschenherbst. Und
es wäre ein ewiger Heröst, wenn nicht zum Schluß der Sohn
in den Armen des Mannes läge, der nicht im Fleische sein"
Vater ist, der ihm aber Vater war: einer der unvergäng¬
lichen Augenblicke, die für das ganze Leben, für die Zukunft
stehen bleiben als Gewißheit dafür, daß es über alle Ein¬
samkeit hinaus Gemeinschaft, Liebe, Güte gibt.
Schnitzler zu spelen, ist eine der Aufgaben, die dem
Schauspielhause seit je liegen; und Dr. Eger brachte eine
vorzügliche Vorsiellung heraus, der jedoch, wie manchen an¬
deren sonst ausgezeichneten Aufführungen der Bühne, ein
wenig mehr Tempo nicht geschadet hätte. Es standen Dar¬
steller zur Verfügung, die für einige Rollen v#rbestimmt sind.
Nhil als Stephan von Sala: das war w. eder eine seiner
reifen großen Gestaltungen geistvoller und gehaltener, erleb¬
nisschwerer Männlichkeit, von denen ein unwiderstehlicher
Zauber. der Zauber des Bedeutenden ausgeht. Wagner als
Fichtner steht gleichfalls in einer Rolle, die ihm von Natur
—
zugewiesen ist: diese Weichheit, diese Unschlussigkeit, dieses
Anlehnungsbedürfnis, das nicht hingebende Liebe ist, sondern
viel ikehr ein anspruchsvoller unbewußter Egoismus — sie
kamen heraus. Prachtvoll war Kobler als Akademiedirektor
Wegrath; er gab den Alltagsmenschen, der dennoch durch
seine innere Güte einen Seelensonntag glaubhaft zu machen
vermag. Und Julia Serda löste als Irene Herms ihre Auf¬
gabe durch eine alternde Schauspielerin das warmblütige
junge Geschöpf von einst durchblicken zu lassen, mit mensch¬
lichster Kunst. Die todgeweihte Frau Gabriele Gertrud
Arnolds trat neben diesen voll angeführten Gestalten natur¬
gemäß zurück. Von der jüngeren Generation gebührt dem
Doktor Reumann Wlachs der Vortritt; er war eine wunder¬
volle Bändigung tiefsten menschlichen Gefühls. Die Ge¬
schwister Felix und Johanna waren bei Lütjohann und Hilde
Knoth in guten Händen. Hilde Knoth ist unbedingt die beste
Kraft die dem Schanspielhause für die Aufgabe zur Verfü¬
gung stand. Sie hat freilich nicht die nachtwandlerische
Feinfühligkeit, die da sein müßte, um dieses Mädchen in das
volle helle Licht zu heben. — Der Beifall war sehr stark¬“
I. W. E.
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18. Der ein. Fag
12 Oktoett 1946
m Hamburger Zeitung
Hamburg.
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Deutsches Schauspielhaus.
12 Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Alten
von Arthur Schnitzter.
In diesem Stücke ist nichts, was manche Ingste als allein
seligmachend preisen: chaotische Leidenschaft, ekstatischer
Schwung; dafür ist etwas anderes darin, was sie in der
Regel nicht zu gestalten vermögen: Schicksal. Wirkliches,
glaubhaftes Schicksal, Verstrickung von Menschen in Zwänge,
die ebensosehr aus der eigentümlichen Gestaltung der Ver¬
hältnisse wie aus den Seelen selbst stammen. Im Mittel¬
punkte stehen Menschen, die die Höhe des Lebens bereits
überschritten und durch frühere Handlungen ihren Weg
schon festgelegt haben; daneben Jüngere, Junge, die auf
ihren Weg gedrangt werden. Abhängigkeit überall; dennoch
nicht letzter innerer Zusammenhang, sondern Vereinzelung.
Jeder in diesem Stück, jeder im Leben geht den einsamen
Weg; nicht nur beim Abstieg, obwohl der die Einsamkeit
fühlbarer macht, sondern von Anbeginn. Dennoch gibt es
Augenblicke, die dieses trostlose Auf=sich=selbst=Angewiesen¬
sein aufzuheben scheinen. Sie liegen als leuchtende Halte¬
punkte auf der durchwanderten Strecke, so eindringlich, daß
die Erinnerung zuweilen wie Gegenwart erscheint, während
die Gegenwart als Traum zerrinnt. Das ganze Drama ist
ein Weg zu solchem Höhepunkte, in dem zwei Menschen sich
gegenseitig bis ins Innerste als zusammengehörig fühlen.
Alles das mußte geschehen um dieses einen Augenblickes
willen
Ein bescheidener, tüchtiger Mann ist getäuscht worden; sein
Sohn gehört ihm nicht. Die Frau stirbt einsam mit dem
gehüteten Ceheimnts. Der. Mann. d#r sie #w Mutter machte
tent uns eutgrgen als ein gealterter Anatol, der Liebe un
des Haltes jetzt bedürftig, sehnsüchtig nach seinem Sohn: e
ist und bleibt ihm ein Fremder. Eine alternde Schauspie
lerin, die ihn liebte, fühlt sich um das Glück betrogen, wei
sie von ihm kein Kind hat: sie sieht ein, daß er nicht der
Mann war, um überhaupt glücklich zu machen. Ein junges
Mädchen fliegt einem alternden Mann entgegen, mit der
ganzen Hingabe, die bei solcher Verbindung so häufig iste
und einer Angst dennoch vor dem Leben, dessen Unzuverlässig.
keit sie voraus fühlt; und sie endet in dem Teich, der einige
Stunden vorher ihr Bild festhielt — das Bild ebenso flüchtig
im Wandel der Erscheinungen, wie ihr eigenes Dasein. Und
dieser Mann, einer von den gehaltenen Schnitzlerhelden, die
Leid und Freude mit der gleichen tiefen Hingabe genießen,
ein Eroberer der dennoch weiß, daß jeder Besitz schon von
vornherein ein Verzicht ist, folgt ihr, vom Tod gezeichnet, in
das Nichts. Am Rande steht ein gütiger und verstehender
Mensch, der das Mädchen geliebt hat und sie sterben sehen
muß, ohne ihr auf Armeslänge nahe zu kommen. Es ist
ein großes Vergehen in diesem Stück; Menschenherbst. Und
es wäre ein ewiger Heröst, wenn nicht zum Schluß der Sohn
in den Armen des Mannes läge, der nicht im Fleische sein"
Vater ist, der ihm aber Vater war: einer der unvergäng¬
lichen Augenblicke, die für das ganze Leben, für die Zukunft
stehen bleiben als Gewißheit dafür, daß es über alle Ein¬
samkeit hinaus Gemeinschaft, Liebe, Güte gibt.
Schnitzler zu spelen, ist eine der Aufgaben, die dem
Schauspielhause seit je liegen; und Dr. Eger brachte eine
vorzügliche Vorsiellung heraus, der jedoch, wie manchen an¬
deren sonst ausgezeichneten Aufführungen der Bühne, ein
wenig mehr Tempo nicht geschadet hätte. Es standen Dar¬
steller zur Verfügung, die für einige Rollen v#rbestimmt sind.
Nhil als Stephan von Sala: das war w. eder eine seiner
reifen großen Gestaltungen geistvoller und gehaltener, erleb¬
nisschwerer Männlichkeit, von denen ein unwiderstehlicher
Zauber. der Zauber des Bedeutenden ausgeht. Wagner als
Fichtner steht gleichfalls in einer Rolle, die ihm von Natur
—
zugewiesen ist: diese Weichheit, diese Unschlussigkeit, dieses
Anlehnungsbedürfnis, das nicht hingebende Liebe ist, sondern
viel ikehr ein anspruchsvoller unbewußter Egoismus — sie
kamen heraus. Prachtvoll war Kobler als Akademiedirektor
Wegrath; er gab den Alltagsmenschen, der dennoch durch
seine innere Güte einen Seelensonntag glaubhaft zu machen
vermag. Und Julia Serda löste als Irene Herms ihre Auf¬
gabe durch eine alternde Schauspielerin das warmblütige
junge Geschöpf von einst durchblicken zu lassen, mit mensch¬
lichster Kunst. Die todgeweihte Frau Gabriele Gertrud
Arnolds trat neben diesen voll angeführten Gestalten natur¬
gemäß zurück. Von der jüngeren Generation gebührt dem
Doktor Reumann Wlachs der Vortritt; er war eine wunder¬
volle Bändigung tiefsten menschlichen Gefühls. Die Ge¬
schwister Felix und Johanna waren bei Lütjohann und Hilde
Knoth in guten Händen. Hilde Knoth ist unbedingt die beste
Kraft die dem Schanspielhause für die Aufgabe zur Verfü¬
gung stand. Sie hat freilich nicht die nachtwandlerische
Feinfühligkeit, die da sein müßte, um dieses Mädchen in das
volle helle Licht zu heben. — Der Beifall war sehr stark¬“
I. W. E.
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