II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 549

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Nr. 258.
Erstes Beiblatt.
„Der einsame Beg.
Schnitzler=Neuaufführung in der
Tribüne.
Die skeptisch melancholische Tragikomödie von
den vom Leben Aufgezehrten, die den einsamen
Weg zum Sterben reisegerüstet, überlegen hin¬
unterwandeln, ist gestern von Eugen Robert
wieder aufs Theater gebracht worden. Mit
Bassermann als Sala, den er vor rund
zwanzig Jahren schon bei Brahm gespielt hat.
Vom Stück wie vom Schauspieler haben die
zwanzig Winter einiges abgestrichen; und
dennoch: die feine Geistigkeit des Dichters wie
die des Schauspielers führen in eine Region,
die selten geworden ist auf dem Theater.
Der Einsame Weg ist niemals ein dramati¬
sches Meisterstück gewesen, und auch die drama¬
turgische Verkürzung und Verknappung, die Hr.
Georg Altmann im Einverständnis mit dem
Dichter an dem viel zu breit ausgesponnenen
Fünfakter vollzog, so daß aus fünf Akten vier
wurden, können an der organischen Struktur des
Stückes nicht viel ändern. Der welt ausschwin¬
gende Rhythmus ist dem Werk eingeboren; mit
diesem gehört es einer andern, gesprächigeren
Zeit an. Einer Zeit, die mehr Zeit hatte. Subti¬
len Dingen der Vergangenheit versonnener
Schnitzler=Menschen zu lauschen, die das Leben
hinter sich haben und auf herbstlaubbestreuten
Wegen dem Ende zugehn.
Die Vergangenheit ist ihnen nah wie das
Gestern dem Heute und jeder von ihnen hat ein
Persönliches, ist von einen Hauch der Welt um¬
weht, in der er gelebt. Nur Schnitzler vermochte
Menschen der Jahrhundertwende den Abdruck
ihres Erlebens so in das Gesicht zu zeichnen und
um sie so viel Atmosphäre zu schaffen. Das,
was die Menschen Sünde, Vergehen nannten,
so menschlich zu fassen und alles Geschehene so
weich zu patinieren, daß es allen Stachel und
alle Greklheit verlor.
Was die frühere Dramaturgie strafend
„retardieren“ nannte, wird ein Vorzug, wenn
dieses Aufrollen von Geschichten, die abgeklungen
sind, mit so anmutig rekonstruierender Hand,
mit so viel Kenntnis des Seelischen geschieht.
Schade nur, daß Schnitzler bei seiner, hier
besonders vom späteren Ibsen abhängigen
Methode der Rückentwicklung nicht auch die
Kraft hat für die Vorwärtsbewegung des
Gegenwärtigen. Vielleicht, daß er sich beim
Ausbau seiner vielgestaltigen Komposition in
Einzelfiguren so versenkt hat, daß er länger
bei ihnen verweilte, als für den dramatischen
Ablauf gut war. In ein Maß, das alle über¬
ragte, auch jene, die ganz als Vordergrund¬
gestalten intentioniert waren, wuchs ihm
vor allem jener Stephan von Sala,
der das Leben als Genießer nahm, mit der
Seele bewußt kargie und nun, vom Tod ge¬
zeichnet, nach einem letzten Erlebnis selbst das
Lebenslicht abdreht, ehe es ihm zerstört wird.
Bis zum letzten Augenblick sonveräner Herr
über sein eigenes Sein. Und geht den letzten
Weg allein. Er, der niemandem gehört hat.
Denn das Altern ist, so sagt er, eine einsame
Beschäftigung, und ein Narr ist, wer sich nicht
beizeiten darauf einrichtet, auf keinen Menschen
angewiesen zu sein.
Eigen gemischt ist in diesem Sala kostbarst
Menschliches mit theaterhaft Zugespitztem. Aber
die Geistigkeit dieses Ueberlegenen ist von allem
Papierhaftem frei. Von Schnitzlers Zeitgenossen
hat niemand Männer von so leuchtendem Intel¬
lekt zu gestalten vermocht. Bassermann ist bei
Robert, der mit bester Einfühlung ins Schnitz¬
lerische das Spiel leitet, dieser Stephan von
Sala. Und er gibt ihm die gleiche leidenschafts¬
lose Unbewegtheit des Herzens, das kühle Hirn,
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das mit der Lust und dem Leidhaften spielt,
aber auch den etwas raisonneurhaften Schiller¬
glanz, den er schon bei Brahm ausstrahlte. Man¬
ches ist schärfer, bewußter geworden, und dies
und das will nicht mehr ganz zu den Jahresrin¬
gen stimmen. Aber wie sind hier Wort, Geberde
und Blick eins, wie durchlebt die Rede, wie
ununterstrichen der aphoristische Satz, wie wirk¬
sam gebracht und ohne „Pointe“.
Nur einmal wird seine Gestaltung überboten,
das ist in dem wundersam feinen Moment,
wenn die einstige Schauspielerin Herms, die
zeitlebens sich nach einem Kinde sehnte, dem
Kinde als Erlösung, dem Kinde als Bestimmung
des Weibes, plötzlich erkennt, daß ihr Jugend¬
geliebter Fichtner ein solches Kind besißt. Und über
dieses geheim gehaltene Besitztum des einstigen
Freundes erstaunt und in schmerzhaftem Neid
erstart. Lucie Höflich reißt ein Herz auf und
läßt in ein verpfuschtes Leben voll Stunden¬
rausch und unerfüllten Sehnens schauen. Die
alt gewordene Annie aus dem Abschiedssouper.
Noch voll von schwatzhafter Munterkeit, und doch
verwittert in der Wehmut ungestillten Glück¬
verlangens.
Von der Dämonie und dem wildgenialen
Künstlertum Fichtners ist Eduard v. Winter¬
steins gemessene Mannhaftigkeit gleich weit
entfernt. Ueberraschend innerlich aber Käthe
Haack in der schicksalhaften Unbedingtheit einer
hoffnungslosen Neigung.
Norbert Falk.