II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 570

W
nsäne
18. Der
box 23/5
6ln 921
Kez.
Wiener Neue
Eahlte 4.
Einsame Menschen, einsame Wege
(Fortsetzung des Gastspiels Albert Bassermanns im Deutschen
Volkstheater.)
„Der einsame Weg“, Schauspiel in fünf Akten von
Artur Schnitzler, steht nicht nur in den „Gesammelten
Werken“ des Dichters (zweite Abteilung: „Die Theaterstücke
in fünf Bänden“)*) in der Mitte, sondern das Werk bedeutet
auch in des Dramatikers Laufbahn einen Mittel= und Wende¬
punkt. 1903 geschaffen, ursprünglich nicht nur das Thema
der sehnsüchtig Alternden (im Fabrikanten Hofreiter des
„Weiten Landes“ im heimfahrenden Casanova und im Bade¬
arzt Dr. Gräsler fortgeführt) in den Egoisten Sala und
Fichtner, sondern auch den Gewissenskonflikt des „Professors
Bernhardi“ behandelnd und erst allmählich den Doppelstoff
halbierend, dabei jedoch von dreiaktiger Kürze zu fünfaktiger
Breite anschwellend, knüpft die Tragödie an Ibsen, Hebbel
und Kleist an. Der Liebeleien und süßen Mädels überdrüssig,
strebt Schnitzler hier in die Höhe wie in die Weite, und Specht
bezeichnet denn auch in der Studie „Artur Schnitzler, Der
Dichter und sein Werk“*) den „Einsamen Weg“ als Schnitzlers
menschlich allgemeinste und gültigste Dichtung, mehr: als das
Drama einer Generation von sehr geistigen, sehr kühlen, selbst¬
süchtigen, hochmütig distanzierenden Menschen, die gleichsam
einen luft= und wärmeleeren Kreis um sich ziehen..
Otto Brahm bot 1904 den Berlinern die Uraufführung
des Dramas und führte es den Wienern 1906 mit Basser¬
mann und Reicher als den selbstgefälligen Puppenspielern,
die ihr Leben lang niemand angehören, sondern den einsamen
Weg in einer egoistischen Spielerei mit dem Schicksal der andern
gehen und mit Irene Triesch und Else Lehmann als den
beiden Opfern dieser These vor. Das Publikum jubelte
stürmisch. Vielleicht mehr, um den Poeten zu trösten, daß
sich bis dahin Wien weder für diese Tragödie noch für
den „Schleier der Beatrice“, noch für den „Ruf des Lebens“
aufgetan hatte! Das Werk selbst empfand man schon damals
als typisches Lesedrama, dessen blütenfeine Stimmungen der
Vergänglichkeit irdischer Leidenschaft, in der rauhen Bühnen¬
luft bereift und entblättert, in alle Winde flatterten... Daß
der einsame Weg ein Irrweg sei, erweist sich an Sala, der
Johanna Wegrath verführt, Ursache ihres Selbstmordes wird
und von ihrem Bruder Felix die Strafe der Aufklärung,
daß er als Herzkranker nur noch wenige Wochen zu leben
habe, erleidet, ebenso, wie an Fichtner, der das Glück zwei¬
mal, in Irene und in der von ihm verführten Braut Freund
Wegraths, Gabriele, versäumte, weil er sich nicht binden wollte;
auch er wird bestraft, indem sich sein Sohn Felix, dem er
sich spät entdeckt und durch den er seinen Lebensabend ver¬
schönern möchte, von ihm ab- und Wegrath zuwendet, der
einst ahnungslos Gabrielen geheiratet und Felix immer für
seinen Sohn gehalten hat . .. Bassermann spielt den Lebens¬
artisten noch virtuoser, noch souverainer als 1906, und er
bildet im Sinne des Dichters den Mittelpunkt der Tragödie.
Seine Gattin Else Bassermann (Irene) hat er so ganz
mit Geist von seinem Geist erfüllt, und auch Beatrice
Lvovsky ist als hysterisch=unerklärbare Johanna so glaub¬
haft, daß die Schatten der großen Vergangenheit nicht allzu
drückend wuchten. Feldhammer ist beweglicher und ver¬
führerischer als Reicher, fast zu jugendlich. Am nächsten aber
kommt der in einsamer Höhe ragenden Glanzleistung Basser¬
manns der Felix Schotts, dessen unechte Pathetik in
Piccolominis Küraß hier einer angenehmen Frische und
Natürlichkeit Platz gemacht hat. Bei ihm hatte man, nach
Bassermann, am ehesten das Gesühl, die tragische Handlung
werfe „zwar keinen Abglanz der Ewigkeit, aber doch einen
ernsten Schatten von der Pforte zu ihrem Eingang“ auf
ihn, so daß er — Felix, das Glückskind! — einen taten¬
und hilfreichen, zweisamen Weg wandeln werde! W. W.
*) Bei S. Fischer, Verlag, Berlin.