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18. Der einsane Neg
Schlesische Zeltung, Breslan
20 März 4078
Lobetheater. Gastspiel Albert Ba#sirmann und Else
Bassermann: „Der einsame Weg: Das Problemdrama
Artur Schnitzlers wurde zum ersten Pale vor fast 22 Jahren
hier aufgeführt und fand damals eine geteilte Aufnahme. Es ist
eine gerauschlose Tragödie, bei der alle Katastrophen hinter die
Kulissen verlegt sind, eine melancholisch=philosophische Erörterung
der Tragik der Herzensvereinsamung, die dem einen mit, dem an¬
deren ohne Schuld beschieden wird. Da ist der Maler Julian
Fichtner, der einst die Jugendgeliebte verriet, weil sein Künstler¬
egoismus ihn stets von dauernder Fesselung abschreckte, und der
als gealterter Mann erleben muß, daß sein Sohn — der einzige
Mensch, den er liebt und der ihm bisher Freund war — sich empört
von ihm abwendet, als er erfährt, daß Fichtner sein Vater ist und
wie er einst an seiner Mutter handelte. Da ist der reiche, hoch¬
gebildete frühere Offizier Stephan von Sala, der aus einer Art
Hochmut immer eine Mauer um sein Herz zog, aber schließlich zu¬
sammenbricht, als ein blühendes junges Mädchen aus Leid um ihn,
den durch ein schweres Leiden baldigem Tode Geweihten, ihm selber
in den Tod vorausgegangen ist; da ist weiter die Schauspielerin
Irene Herms, die ebenfalls eine reichbewegte Vergangenheit hat,
aber doch einzig dem Kinde nachtrauert, um das sie sich einst vor¬
zeitig selbst beraubt hat. Einen einsamen Weg des Herzens geht
auch des Professors Wegrath Gattin Gabriele, die von Fichtner
Verratene, und ebenso der Professor selbst, dem seine Tochter im
innersten Wesen fremd blieb, und der nie erfährt, daß sein Sohn
Felix in Wirklichkeit nicht von ihm selbst stammt Den Stephan
von Sala gestaltete Albert Bassermann in einer dem Rufe
des berühmten Gastes entsprechenden Weise: In Haltung und
Sprechweise noch den früheren Offizier verratend, durchaus schlicht¬
vornehm, und mit feiner Ausprägung eines Intellektualis¬
mus, der das Gemütsleben überwuchert hat. Ebenso wußte seine
Gattin Else Bassermann als Irene Herms die
kontrastierenden Eigenschaften dieses Geschöpfes — Leichtlebigkeit,
Frivolität und echtes Leid um ein verscherztes Herzensgut — zu
überzeugender Synthese zu bringen. Aber neben den Berliner
Größen behaupteten sich unsere einheimischen Kräfte ganz vortreff¬
lich. Dem Sala des Herrn Bassermann stellte sich der Julian
Fichtner des Herrn Werner Rafael in künstlerischer Hinsicht
würdig zur Seite; als die etwas mondscheinhafte, zu hoffnungs¬
loser Liebe verurteilte Johanna Wegrath wirkte Trude Wessely
trotz aller Schwierigkeiten ihrer Rolle ungemein sympathisch und
ergreifend. Und ebenso brachten Julius Arnfeld als Pro¬
fessor Wegrath, Martha Schild als dessen Frau und Franz
Lederer als der junge Felix Wegrath des Dichters Absichten
prägnant zum Ausdruck. Befremdlich wirkte nur, daß Fritz
Eßler, der den Arzt Dr. Reumann spielte, sich dazu eine so spie߬
bürgerliche, subalterne Maske beigelegt hatte. Das gedrängt volle
Haus am Sonnabend feierte alle Darsteller, insbesondere natürlich
die beiden Gäste, die vielen Hervorrufen folgen mußten.
n.
Breslauer Neueste Nachrichten
29 Mön 1926
Bassermann im Lobetheater.
Schnitzler: „Der einsame Weg“.
„Der einsame Weg“ gehört zu den Werken Schnitzlers,
die heute beinahe unerträglich geworden sind. Die dünne
und metancholische-Kultiviertheit einer Lebensbetrachtung,
hinter der nicht das Leben, sondern Literatur steht —
vorbei. Sp vorbei, daß der vollkommenen Luftleere ge¬
dachter und nicht einmal gedachter, nur sentenzenhaft
arrangierter Beziehungen kaum noch zufälligste Stimmungs¬
reize der Bühne abzugewinnen sind. In demselben Maße.
wie die Zeit über diese gehegte und gepflegte Viertels¬
problematik hinweggegangen ist,
hat sie
ihren
literarischen Ausbruck zersetzt. Es ist als ehemalige Da¬
seinsspur erloschen, als Literatur verblaßt und vergilbt
bis zur Tonlosigkeit. Im „Einsamen Weg“ behält nichts
sein eigenes Gesicht. Genießerische Skepsis biegt ihrer auf¬
dringlich signalisierten Konseauenz in das simpelste Her¬
kommen aus. In Tag und Traum tödlich schwärmendes
Gefühl erweist sich als kokette Bewußtheit oder banale
poetische Zwangsvorstellung. Dämmriges, Dunkles.
Schmerzliches muß in sorgsam Träparierter Konversation
zu einer verlegen auftragender Psochologie versäumter
Gelegenheiten herhalten. Unfruchtbare Gegenwart bezeugt
nur, daß, was hier abstirbt und schwankend versinkt, nie¬
mals Wirklichkeit war. Haltung um der Geste, Ueberlegen¬
hett um des pointierten Tonfalls willen. Zufallsauftritte.
Zufallsgespräche — eine redende Monotonie, die den
szenischen Auftrieb lahmlegt, den dramatischen Impuls
Stimmungsfragmente verzettelt.
Eine schmale
literarische Spur durch trast= und sinnlose Lebensverödung.
Obwohl im Lobetheater die seit Brahm sanktionierte,
auf vier Akte verkürzte Fassung des Stückes gegeben wurde,
schien es kein Ende zu nehmen. Man müßte Schnitzlen
heute knapp, pointiert, formelhaft spielen. Der Regisseur
Eßler zog, dehnte und zelebrierte den Text, faltete das
Detail in geruhiger Pendanterie auseinander. Auch die
(oft merkwürdig beleuchtete) Szenerie wäre da und dort
vielleicht mit etwas weniger Umständlichkeit ausgekommen.
Ein gewisser stilistischer Ausgleich braucht der realen Ge¬
bundenheit nicht zu widersprechen.
Aber das Wiederseben mit Bassermann wird
krotz allem ein ungehemmtes Entzücken. Er kvielt dem
Herrn von Sala — herrlich in der umschatteten Ueberlegen¬
heit, in der schwankenden Doppelsinnigkeit des Wortes und
der Haltung. Bassermann umfaßt ebenso unauffällig die
ganze Realität der Figur, wie er mit feinsten, geschmei¬
digsten Kunstmitteln ihren schauspielerischen Extrakt gibt.
Er bleibt konversationell, aber der Dialog bricht sich in
plötzlichen Vorbehalten, in huschenden Wendungen und
Wirkungen, die über den Augenblick hinauslangen. Lässig¬
keit wird dramatischer Impulk. Die Bewegung läuft in
großem, faszinierend belebtem Charakterzug. Was jetzt ein
Lächeln und soigniertes Geplauder ist, trägt im selben
Augenblick das umgekehrte, dunkle Vorzeichen — ohne Be¬
tonung, ohne theatralische Aufmischung, allein aus der
Souveränität des Charakters. Unvergeßlich zum Schluß
der Abschied vom Lehen: wie die gehalten wohlerzogenen
Worte zugleich Melancholie, Zynismus, Schmerz, leises
Versinken und ekle Schalheit des Restes bedeuten — und
eine höflich winkende Gebärde ins Hoffnungslose hinüber¬
grüßt. Die Noblesse, die Ueberlegenheit, die gekelterte Reife
dieser Kunst sind im Gegensatz zu dem Stück an der Zeit
nicht ärmer, sondern reicher geworden. Bassermann,
jünger und elastischer als je, ragt als verehrungswürdigster
Zeuge einer wahrhaft gesegneten Theatervergangenheit in
unfere Tage hinüber.
Frau Wessely spielte die Johanna mit mancher
Feinheit und Besonderheit der Wirkung — aber schließlich
doch durch die unerträglich verkünstelte Gestalt zu einer
etwas posierenden Haltung verführt. Frau Else Basser¬
mann blieb ganz in dieser auftragenden Pose befangen.
Herr Lederer gab sich diskreter und bestimmter als
sonst. Herr Rafael blieb wieder, bei gutem und festem
schauspielerischen Ansatz, im Charakter ein bißchen zäh und
allgemein. Herr Eßler als Arzt wirkte noch verlegener
als seine Rolle. Herr Arnfeld chargierte mit bewährten
Mitteln. — Bassermann wurde zum Schluß sehr gefeiert.
Paul Rilla.
18. Der einsane Neg
Schlesische Zeltung, Breslan
20 März 4078
Lobetheater. Gastspiel Albert Ba#sirmann und Else
Bassermann: „Der einsame Weg: Das Problemdrama
Artur Schnitzlers wurde zum ersten Pale vor fast 22 Jahren
hier aufgeführt und fand damals eine geteilte Aufnahme. Es ist
eine gerauschlose Tragödie, bei der alle Katastrophen hinter die
Kulissen verlegt sind, eine melancholisch=philosophische Erörterung
der Tragik der Herzensvereinsamung, die dem einen mit, dem an¬
deren ohne Schuld beschieden wird. Da ist der Maler Julian
Fichtner, der einst die Jugendgeliebte verriet, weil sein Künstler¬
egoismus ihn stets von dauernder Fesselung abschreckte, und der
als gealterter Mann erleben muß, daß sein Sohn — der einzige
Mensch, den er liebt und der ihm bisher Freund war — sich empört
von ihm abwendet, als er erfährt, daß Fichtner sein Vater ist und
wie er einst an seiner Mutter handelte. Da ist der reiche, hoch¬
gebildete frühere Offizier Stephan von Sala, der aus einer Art
Hochmut immer eine Mauer um sein Herz zog, aber schließlich zu¬
sammenbricht, als ein blühendes junges Mädchen aus Leid um ihn,
den durch ein schweres Leiden baldigem Tode Geweihten, ihm selber
in den Tod vorausgegangen ist; da ist weiter die Schauspielerin
Irene Herms, die ebenfalls eine reichbewegte Vergangenheit hat,
aber doch einzig dem Kinde nachtrauert, um das sie sich einst vor¬
zeitig selbst beraubt hat. Einen einsamen Weg des Herzens geht
auch des Professors Wegrath Gattin Gabriele, die von Fichtner
Verratene, und ebenso der Professor selbst, dem seine Tochter im
innersten Wesen fremd blieb, und der nie erfährt, daß sein Sohn
Felix in Wirklichkeit nicht von ihm selbst stammt Den Stephan
von Sala gestaltete Albert Bassermann in einer dem Rufe
des berühmten Gastes entsprechenden Weise: In Haltung und
Sprechweise noch den früheren Offizier verratend, durchaus schlicht¬
vornehm, und mit feiner Ausprägung eines Intellektualis¬
mus, der das Gemütsleben überwuchert hat. Ebenso wußte seine
Gattin Else Bassermann als Irene Herms die
kontrastierenden Eigenschaften dieses Geschöpfes — Leichtlebigkeit,
Frivolität und echtes Leid um ein verscherztes Herzensgut — zu
überzeugender Synthese zu bringen. Aber neben den Berliner
Größen behaupteten sich unsere einheimischen Kräfte ganz vortreff¬
lich. Dem Sala des Herrn Bassermann stellte sich der Julian
Fichtner des Herrn Werner Rafael in künstlerischer Hinsicht
würdig zur Seite; als die etwas mondscheinhafte, zu hoffnungs¬
loser Liebe verurteilte Johanna Wegrath wirkte Trude Wessely
trotz aller Schwierigkeiten ihrer Rolle ungemein sympathisch und
ergreifend. Und ebenso brachten Julius Arnfeld als Pro¬
fessor Wegrath, Martha Schild als dessen Frau und Franz
Lederer als der junge Felix Wegrath des Dichters Absichten
prägnant zum Ausdruck. Befremdlich wirkte nur, daß Fritz
Eßler, der den Arzt Dr. Reumann spielte, sich dazu eine so spie߬
bürgerliche, subalterne Maske beigelegt hatte. Das gedrängt volle
Haus am Sonnabend feierte alle Darsteller, insbesondere natürlich
die beiden Gäste, die vielen Hervorrufen folgen mußten.
n.
Breslauer Neueste Nachrichten
29 Mön 1926
Bassermann im Lobetheater.
Schnitzler: „Der einsame Weg“.
„Der einsame Weg“ gehört zu den Werken Schnitzlers,
die heute beinahe unerträglich geworden sind. Die dünne
und metancholische-Kultiviertheit einer Lebensbetrachtung,
hinter der nicht das Leben, sondern Literatur steht —
vorbei. Sp vorbei, daß der vollkommenen Luftleere ge¬
dachter und nicht einmal gedachter, nur sentenzenhaft
arrangierter Beziehungen kaum noch zufälligste Stimmungs¬
reize der Bühne abzugewinnen sind. In demselben Maße.
wie die Zeit über diese gehegte und gepflegte Viertels¬
problematik hinweggegangen ist,
hat sie
ihren
literarischen Ausbruck zersetzt. Es ist als ehemalige Da¬
seinsspur erloschen, als Literatur verblaßt und vergilbt
bis zur Tonlosigkeit. Im „Einsamen Weg“ behält nichts
sein eigenes Gesicht. Genießerische Skepsis biegt ihrer auf¬
dringlich signalisierten Konseauenz in das simpelste Her¬
kommen aus. In Tag und Traum tödlich schwärmendes
Gefühl erweist sich als kokette Bewußtheit oder banale
poetische Zwangsvorstellung. Dämmriges, Dunkles.
Schmerzliches muß in sorgsam Träparierter Konversation
zu einer verlegen auftragender Psochologie versäumter
Gelegenheiten herhalten. Unfruchtbare Gegenwart bezeugt
nur, daß, was hier abstirbt und schwankend versinkt, nie¬
mals Wirklichkeit war. Haltung um der Geste, Ueberlegen¬
hett um des pointierten Tonfalls willen. Zufallsauftritte.
Zufallsgespräche — eine redende Monotonie, die den
szenischen Auftrieb lahmlegt, den dramatischen Impuls
Stimmungsfragmente verzettelt.
Eine schmale
literarische Spur durch trast= und sinnlose Lebensverödung.
Obwohl im Lobetheater die seit Brahm sanktionierte,
auf vier Akte verkürzte Fassung des Stückes gegeben wurde,
schien es kein Ende zu nehmen. Man müßte Schnitzlen
heute knapp, pointiert, formelhaft spielen. Der Regisseur
Eßler zog, dehnte und zelebrierte den Text, faltete das
Detail in geruhiger Pendanterie auseinander. Auch die
(oft merkwürdig beleuchtete) Szenerie wäre da und dort
vielleicht mit etwas weniger Umständlichkeit ausgekommen.
Ein gewisser stilistischer Ausgleich braucht der realen Ge¬
bundenheit nicht zu widersprechen.
Aber das Wiederseben mit Bassermann wird
krotz allem ein ungehemmtes Entzücken. Er kvielt dem
Herrn von Sala — herrlich in der umschatteten Ueberlegen¬
heit, in der schwankenden Doppelsinnigkeit des Wortes und
der Haltung. Bassermann umfaßt ebenso unauffällig die
ganze Realität der Figur, wie er mit feinsten, geschmei¬
digsten Kunstmitteln ihren schauspielerischen Extrakt gibt.
Er bleibt konversationell, aber der Dialog bricht sich in
plötzlichen Vorbehalten, in huschenden Wendungen und
Wirkungen, die über den Augenblick hinauslangen. Lässig¬
keit wird dramatischer Impulk. Die Bewegung läuft in
großem, faszinierend belebtem Charakterzug. Was jetzt ein
Lächeln und soigniertes Geplauder ist, trägt im selben
Augenblick das umgekehrte, dunkle Vorzeichen — ohne Be¬
tonung, ohne theatralische Aufmischung, allein aus der
Souveränität des Charakters. Unvergeßlich zum Schluß
der Abschied vom Lehen: wie die gehalten wohlerzogenen
Worte zugleich Melancholie, Zynismus, Schmerz, leises
Versinken und ekle Schalheit des Restes bedeuten — und
eine höflich winkende Gebärde ins Hoffnungslose hinüber¬
grüßt. Die Noblesse, die Ueberlegenheit, die gekelterte Reife
dieser Kunst sind im Gegensatz zu dem Stück an der Zeit
nicht ärmer, sondern reicher geworden. Bassermann,
jünger und elastischer als je, ragt als verehrungswürdigster
Zeuge einer wahrhaft gesegneten Theatervergangenheit in
unfere Tage hinüber.
Frau Wessely spielte die Johanna mit mancher
Feinheit und Besonderheit der Wirkung — aber schließlich
doch durch die unerträglich verkünstelte Gestalt zu einer
etwas posierenden Haltung verführt. Frau Else Basser¬
mann blieb ganz in dieser auftragenden Pose befangen.
Herr Lederer gab sich diskreter und bestimmter als
sonst. Herr Rafael blieb wieder, bei gutem und festem
schauspielerischen Ansatz, im Charakter ein bißchen zäh und
allgemein. Herr Eßler als Arzt wirkte noch verlegener
als seine Rolle. Herr Arnfeld chargierte mit bewährten
Mitteln. — Bassermann wurde zum Schluß sehr gefeiert.
Paul Rilla.