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box 23/5
18 ef
Dr. Max Goldschmidt
Büre für Zeitungsausschnitte
4
Teleion Norden 3031
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
" Königsberger Allgemeine Zeitung
-gave
19. Apr. 1926
Neues Schauspielhaus.
Arthur Schnitzler: „Der einsame Weg.“
„Schleier senken“ sich auch auf dieses Werk Schnitzlers herab, um
kmit Worten des Dramas zu sprechen. Wir hören die milde und stille,
traurige Melodie seiner Sprache, wir erleben das dunkle Schicksal seiner
Menschen, atmen die Melancholie der Schwäche und der Unzulänglichkeit,
des Alt= und Müde=geworden=Seins wie ein zartes Rauschgift ein —
und wir spüren dennoch eine Wand zwischen uns und der Bühne. Dien
Menschen, die dort oben stehen, sind nicht mehr wir; ihre Art, Leben und
Dasein zu empfinden, ihr Schicksalsgefühl ist nicht mehr das unsrige. Was
sollen uns diese matten Wesen, deren Blut blaß ist, deren Atem keine
Wärme und deren Herzschlag keine Kraft hat? Zwar zwingt uns der
beredte Zauber Schnitzlerscher Kunstform noch in die Suggestion vors
Hinsterben und Verwesen hinein, wir können uns der abendlichen Todes¬
stimmung nicht entziehen, die aus Park und Teich uns entgegenschauert
Das Frösteln der Sterbenden überträgt sich auch auf unsere Nerven.
Aber die magische Wirkung dieser düsteren Szenen vollzieht sic
gegen unseren Willen, gegen unsere Neigung. Unsere Sympathie wende
sich jener Frau zu, die voller Leben ist, die fähig gewesen wäre, ihr
Dasein mit Mütterlichkeit zu erfüllen und deren Tragik es war, an dieseh
ohnmächtigen, schwachen Männer zu geraten. Sie leben ohne Leidenschaft
die Frau, die sich ihnen gibt, verlassen sie sofort, jung schon die Alters¬
weisheit empfindend, daß alles, was beginnt auch endet. Sie haben
keinen Glauben an ihr Gefühl, kein Zutrauen zu dem Leben. Und die
dennoch — wozu sie kein inneres Recht haben — Ansprüche machen aufs
das Kind, das solcher flackernden Zuneigung entspringt, die den einsamen
Weg des Alleinlebenden wehmütig klagend gehen. Die Frau, deren Wesen
überreich an Wärme, Herzlichkeit und Liebe ist, weisen sie von ihrer Tür,
weil sie — als Symptom verstanden — die Verse ihrer Dramen nichts
sprechen kann.
Es ist die Sehnsucht nach Jugend, die aus jedem
Wort dieser Dichtung klingt, die Sehnsucht alt geborener, alt empfinden¬
der Menschen nach der Fülle und Ungebrochenheit des frischen Menschen.
Befangen in das deutliche Bewußtsein der Unzulänglichkeit des müden Da¬
seins, wünschen sie sich die Naivität zurück. Schnitzler kennt die Leiden dieser
Menschen, er spürt das Notwendige in ihnen, das Unausweichliche ehres
Schicksals. Und er weiß diese Stimmung wie so mancher seiner Gene¬
ration in bestrickende Schönheit zu hüllen, ihr den Edelglanz zu geben,
der diese Leiden ins Ehrfürchtige erhöht. Deshalb, weil seine Dichtung
echt, ein Symptom ihrer Zeit ist, gilt sie auch heute noch, wenn auch der
Mensch der Gegenwart weg will von dieser Atmosphäre des Kranken und
Schwachen, des im tiefsten Grunde Ungesunden.
Fritz Richard Werkhäuser hatte die Stimmungswerte des
Dramas sorgfältig herausgearbeitet. Den Schatten, in dem seine Vor¬
gänge sich entwickeln, hatte er fast zu dunkel sichtbar gemacht. Diese
Menschen sprachen nicht mehr, sie flüsterten nur noch. Sie unterhielten
sich, aber kaum noch zugleich das Publikum. Die erste Forderung an den
Schauspieler, daß sein Wort verständlich sei, blieb unerfüllt; man hörte
nur, daß auf der Bühne gesprochen wurde, nicht aber, was gesprochen
wurde. Die Dämpfungen des Sprachtons waren zu stark für Schauspieler,
die nicht mehr fähig sind, leise und dennoch vernehmlich zu sprechen.
Dadurch verlor sich viel von der an sich doch packenden Wirkung des
Dramas. Und er hatte die Tragödie viel zu sehr in die Länge gezogen.
Drei Stunden und eine halbe währte die erste Vorstellung. Durch
energische Striche ließe sich sicher eine größere Konzentration der
Stimmung erreichen.
Die Schauspieler gestalteten zumeist ihre Rollen mit sicherem Ge¬
fühl für ihre seelische Bedeutung. Viktoria Strauß gab der Johanna
die gläserne Zartheit, die ihre hellsichtigen Fähigkeiten nicht mehr wunder¬
bar erscheinen ließ. Sie war von Anfang an bestimmt, still zu vergehen.
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Dr. Max Goldschmidt
Büre für Zeitungsausschnitte
4
Teleion Norden 3031
BERLIN N4
Ausschnitt aus:
" Königsberger Allgemeine Zeitung
-gave
19. Apr. 1926
Neues Schauspielhaus.
Arthur Schnitzler: „Der einsame Weg.“
„Schleier senken“ sich auch auf dieses Werk Schnitzlers herab, um
kmit Worten des Dramas zu sprechen. Wir hören die milde und stille,
traurige Melodie seiner Sprache, wir erleben das dunkle Schicksal seiner
Menschen, atmen die Melancholie der Schwäche und der Unzulänglichkeit,
des Alt= und Müde=geworden=Seins wie ein zartes Rauschgift ein —
und wir spüren dennoch eine Wand zwischen uns und der Bühne. Dien
Menschen, die dort oben stehen, sind nicht mehr wir; ihre Art, Leben und
Dasein zu empfinden, ihr Schicksalsgefühl ist nicht mehr das unsrige. Was
sollen uns diese matten Wesen, deren Blut blaß ist, deren Atem keine
Wärme und deren Herzschlag keine Kraft hat? Zwar zwingt uns der
beredte Zauber Schnitzlerscher Kunstform noch in die Suggestion vors
Hinsterben und Verwesen hinein, wir können uns der abendlichen Todes¬
stimmung nicht entziehen, die aus Park und Teich uns entgegenschauert
Das Frösteln der Sterbenden überträgt sich auch auf unsere Nerven.
Aber die magische Wirkung dieser düsteren Szenen vollzieht sic
gegen unseren Willen, gegen unsere Neigung. Unsere Sympathie wende
sich jener Frau zu, die voller Leben ist, die fähig gewesen wäre, ihr
Dasein mit Mütterlichkeit zu erfüllen und deren Tragik es war, an dieseh
ohnmächtigen, schwachen Männer zu geraten. Sie leben ohne Leidenschaft
die Frau, die sich ihnen gibt, verlassen sie sofort, jung schon die Alters¬
weisheit empfindend, daß alles, was beginnt auch endet. Sie haben
keinen Glauben an ihr Gefühl, kein Zutrauen zu dem Leben. Und die
dennoch — wozu sie kein inneres Recht haben — Ansprüche machen aufs
das Kind, das solcher flackernden Zuneigung entspringt, die den einsamen
Weg des Alleinlebenden wehmütig klagend gehen. Die Frau, deren Wesen
überreich an Wärme, Herzlichkeit und Liebe ist, weisen sie von ihrer Tür,
weil sie — als Symptom verstanden — die Verse ihrer Dramen nichts
sprechen kann.
Es ist die Sehnsucht nach Jugend, die aus jedem
Wort dieser Dichtung klingt, die Sehnsucht alt geborener, alt empfinden¬
der Menschen nach der Fülle und Ungebrochenheit des frischen Menschen.
Befangen in das deutliche Bewußtsein der Unzulänglichkeit des müden Da¬
seins, wünschen sie sich die Naivität zurück. Schnitzler kennt die Leiden dieser
Menschen, er spürt das Notwendige in ihnen, das Unausweichliche ehres
Schicksals. Und er weiß diese Stimmung wie so mancher seiner Gene¬
ration in bestrickende Schönheit zu hüllen, ihr den Edelglanz zu geben,
der diese Leiden ins Ehrfürchtige erhöht. Deshalb, weil seine Dichtung
echt, ein Symptom ihrer Zeit ist, gilt sie auch heute noch, wenn auch der
Mensch der Gegenwart weg will von dieser Atmosphäre des Kranken und
Schwachen, des im tiefsten Grunde Ungesunden.
Fritz Richard Werkhäuser hatte die Stimmungswerte des
Dramas sorgfältig herausgearbeitet. Den Schatten, in dem seine Vor¬
gänge sich entwickeln, hatte er fast zu dunkel sichtbar gemacht. Diese
Menschen sprachen nicht mehr, sie flüsterten nur noch. Sie unterhielten
sich, aber kaum noch zugleich das Publikum. Die erste Forderung an den
Schauspieler, daß sein Wort verständlich sei, blieb unerfüllt; man hörte
nur, daß auf der Bühne gesprochen wurde, nicht aber, was gesprochen
wurde. Die Dämpfungen des Sprachtons waren zu stark für Schauspieler,
die nicht mehr fähig sind, leise und dennoch vernehmlich zu sprechen.
Dadurch verlor sich viel von der an sich doch packenden Wirkung des
Dramas. Und er hatte die Tragödie viel zu sehr in die Länge gezogen.
Drei Stunden und eine halbe währte die erste Vorstellung. Durch
energische Striche ließe sich sicher eine größere Konzentration der
Stimmung erreichen.
Die Schauspieler gestalteten zumeist ihre Rollen mit sicherem Ge¬
fühl für ihre seelische Bedeutung. Viktoria Strauß gab der Johanna
die gläserne Zartheit, die ihre hellsichtigen Fähigkeiten nicht mehr wunder¬
bar erscheinen ließ. Sie war von Anfang an bestimmt, still zu vergehen.