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Leben und Wert nicht zusammenbringt, der vielmehr seine Sehn¬
dieses Bildes etwas Wesentliches zu sagen hat.
sucht schwärmerisch an Unwirkliches anknüpfend, mit ironisch
Schon Reumanns Name ist, wie die meisten Namen dieses
überlegenem Zweifel auf alles Endliche, Begrenzte, Wirkliche
Stückes, ein wenig symbolisch gemeint. Er ist ein Mann, den
sieht. Aber er ist ein Romantiker im Kleide des Weltmanns,
vielerlei leicht reut, der Skrupel und Bedenken mit sich trägt,
denn er ist zu skeptisch und zu blasiert, um noch zu „glauben“.
und der so aus dem grad entgegengesetzten Grunde wie Fichtner
Die Leidenschaft für das Überwirklich=Jenseitige ist in seinem
und Sala auch einen melancholisch einsamen Weg haben wird.
ungläubigen Sinn einer tiefgespannten Neugier gewichen. Als
Gleich das erste, was wir von ihm erfahren, charakterisiert ihn
vom Sterben die Rede ist, sagt sein Held: „Gibt es einen an¬
völlig: Er hat Aussicht, in Graz Professor zu werden, aber er
ständigen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in tiefster
tritt zurück, als sein einziger, chancenreicher Rivale sich bei einer
Seele an etwas anderes denkt?“ Aber aus eben dieser fragen¬
Bergtour den Hals bricht. „Der Gedanke, irgendeinen Vorteil
den Melancholie heraus kommt der spielerische Leichtsinn, mit
dem Malheur eines anderen zu verdanken, wäre mir außer¬
dem dieser romantische Herr nun die Dinge der Wirklichkeit auf¬
ordentlich peinlich.“ Und dies, was er seine ganz gemeine
greift, genießt, wieder fallen läßt — sie sind alle schön, aber alle
Eitelkeit nennt, und was in Wahrheit ein bis ins Metaphysische
doch nicht wichtig, alle doch nur Andeutungen für das, was
reichendes Feingefühl, ein untrügbarer Respekt vor den Rechten
man eigentlich sucht. „Ein leichtsinniger Melancholiker“, so hat
fremden Lebens ist, es wiederholt sich im Laufe des Schau¬
sich schon Schnitzlers Anatol charakterisiert. „Der einsame Weg“
spiels noch einmal bei einem Anlaß, der sehr viel innerlicher
aber zeigt uns nun diesen Anatolmenschen beim Abstieg; zeigt ihn
und sehr viel tragischer ist: Er liebt Johanna, die Tochter Weg¬
in zwei sehr verschiedenen Exemplaren: der Dichter, Herr von
ralhs — es wird uns in der unterirdisch zarten Art gezeigt, in
Sala, voll edler Geistigkeit und unerschütterlicher Haltung das
der alle Bewegungen innerhalb dieses Stückes vor sich gehen.
Ende erwartend, der Maler Julian Fichtner, dessen mehr sinn¬
Aber er weiß, duß Johanna den Herrn von Sala liebt, und
liche Natur schwach und sentimental wird und plötzlich und ver¬
nicht obschon, sondern gerade weil er als Arzt weiß, daß das
geblich nach der Welt draußen langt, die er so lange mi߬
ein verlorener Mann ist, zieht er sich zurück. „Es hat sich wieder
achtet hat, und die sich ihm entzieht. Denn die Menschen und
einmal ein anderer den Hals gebrochen“ — Reumann, der einen
Dinge, an die sie nie geglaubt, denen sie sich nie geopfert haben,
so tiefen Respekt vor fremden Leuten hat, ist ein Realist; aber
sie haben nun keinen Grund sich den Menschen, deren Jugend¬
sein Realitätsgefühl ist so überaus fein, so überaus empfindlich,
glanz entflieht, zu opfern — der Weg dieser glaubenslosen Ro¬
daß es diesen stillen, ernst verschlossenen Menschen auf der ent¬
mantiker, die kein Jenseits besitzen, und denen das Diesseits
gegengesetzten Seite mit der gleichen Gefahr bedroht, die den
nicht heilig war, muß ins Leere führen. „Und wenn uns ein
glänzenden Lebenskünstlern aus ihrer zu großen Respektlosigkeit
Zug von Bacchanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle
allem fremden Leben gegenüber erwächst: auch er vereinsamt.
allein. Wir, die selbst niemandem angehört haben.“
Auch er ist nicht im Gleichgewicht mit der Welt, ihm fehlt es
Das Schicksal dieser beiden Männer wird verknüpft mit dem
an dem nötigen Minimum von Brutalität, was man zur Selbst¬
Hause des Professors Wegrath. Felix, der Sohn dieses Hauses,
erhaltung und Selbstdurchsetzung braucht, und er bekennt des¬
ist eigentlich Julian Fichtners Sohn, aber an diesem Vater so¬
halt: „Die Sehnsucht, die um tiefsten in mir steckt, ist die: ein
wohl wie am Herrn von Sala, dessen Lebensspiel noch endend
Schurke zu sein, ein Kerl, der heuchelt, verführt, hohnlacht, über
des Felix Schwester Johanna in seine dunklen Kreise zieht, wird
Leichen schreitet. Aber ich bin durch Mängel meines Tempera¬
er zum Rächer der Wirklichkeit — als Vertreter eines anderen
ments dazu verurteilt, ein anständiger Mensch zu sein — und,
Geschlechts, eines unromantischen, „besseren“, das „mehr Hal¬
was vielleicht noch schmerzlicher ist, von allen Leuten zu hören,
tung und weniger Geist“ besitzt. — Im Hause dieses Professors
schon die allererste Bemerkung, die über Reumann im Stück über¬
daß ich es bin.“ Es ist kein Gegensatz dazu, sondern nur die
haupt fällt: Es ist ein Pfirsichspalier gepflanzt worden und
Spiegelung seiner innersten Problematik in der Stimmung eines
Felix erfährt, daß dies eine Idee von Dr. Reumann ist: „Das
anderen Augenblicks, wenn er, der die durchgreifende geniale
hätte ich mir denken können — solche Nützlichkeitseinfälle traue
Kraft so schmerzlich in sich vermißt, ein anderal leidenschaftlich
ich in unserer Familie auch niemandem so recht zu.“
dafür eintritt, daß der zuverlüssige Beamte die Welt und die
Und wie das erste, so ist das letzte Wort, das ihn diese in
Kunst weiter bringe, als das sog. Genie, und fast wie ein fana¬
sich vollkommene Dichtung sprechen läßt, für Reumann von höch¬
tischer Philister jed.s Vorrecht des Genies abstreitet. — Denn
ster Bedeutung. Er hat vom Hause Wegraths resigniert Ab¬
Dr. Reumann ist bei alledem durchaus kein Philister. Er möchte
schied genommen — aber als das Unglück da ist, als man ihn
es nur in Augenblicken sein, um sich über die Schwächen seiner
braucht, da ist er sofort wieder zur Stelle. Es ist am Anfang
allzu feinfühligen Natur hinwegzutäuschen, er möchte jene „Hal¬
des fünften Aktes. Johanna ist verschwunden, und er hilft sie
tung“ haben, die der glücklichere junge Felix schon besitzt. Daß
suchen. Niemand weiß, warum und wohin sie gegangen ist und
er es nicht ist, zeigt nicht nur die Vornehmheit seiner Haltung
Felix ruft verzweifelt: „Wer hat sie denn gekannt von uns
in jedem Augenblick, nicht nur die mitfühlende Reiselust, die in
allen, wer kümmert sich denn überhaupt um die anderen?“ Da
ihm aufflammt, als Felix ihm seine Aussicht, die große asiatische
antwortet Reumann: „Es ist wahrscheinlich gut so, sonst würden
Expedition mitzumachen, erzählt, das zeigt sich vor allem in der
wir alle toll vor Mitleid oder Ekel oder Angst. Ich muß jetzt
Art, wie er sich höchst unphiliströs dem moralischen Zweifel der
zu meinen Kranken; ich habe einige unaufschiebbare Besuche.
Frau Wegrath entgegenstellt, die sich an ihrem Lebensende von
Zu Mittag bin ich wieder da. Auf Wiedersehen.“ Es liegt viel
Reue packen läßt über den Betrug, den sie ein Leben durchgehalten
in diesen letzten Worten dieses Arztes. Auch in ihm ist die
hat. (Felix ist ja nicht Prof. Wegraths, sondern Fichtners Sohn.)
innere Harmonie, die Kraft zum Glück nicht, aber weil er nicht
Reumann spricht zu ihr: „Eine Lüge, die sich so stark erwiesen
sich, sondern anderen lebt, so kann er „zu seinen Kranken gehen“,
hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens
in seiner Arbeit einen Halt finden. Auch sein Weg ist einsam,
so verehrungswürdig als eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
aber nicht so lichtlos wie der seiner genialischen Gegenspieler.
möchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Ge¬
So voll gefaßter Melancholie, klug, tätig und doch im Grunde
fühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der Zukunft
resigniert steht Dr. Reumann als eine in ihrer selbständigen
zu verwirren.“ So spricht niemals ein kleiner, in enge Vor¬
Eigenart dem Ganzen des Stücks viel bedeutende Gestalt dem
urteile gebannter Philister, sondern ein freier Geist, den der
Maler Fichtner und seiner gebrochenen Selbstsucht gegenüber,
frömmste, ernsteste Respekt vor allen Wirklichkeiten erfüllt
und dem wundervollen Herrn von Sala — der schönsten und vor¬
und der nur so zartfühlend ist, daß er anderen besser als sich
nehmste Gestalt, die Schnitzler jemals den einsamen Weg
selber rät. „Glücklich machen, ist besser als schuldlos sein,“ sagt
seiner weltmännischen Melancholie, seiner romantischen Skepsis
er einmal, aber er wagt nicht selbst danach zu handeln.
hinabschreiten ließ. Dr. Reumann ist mit nicht minder guter
Wenn Dr. Reumann ins Zimmer tretend, Salas Erzählung von
Haltung nach der andern Seite des Lebens um eben so viel zu
einer „richtigen kleinen Schlacht“ die bei der vorigen asiatischen
weit gegangen, als Sala von der seinen — und erst zusammen
Expedition stattgefunden habe, mit den Worten unterbricht: „für
zeigen sie uns an, in welcher Mitte, von der Sehnsucht des
die, die dort liegen geblieben sind, wird sie gros genug gewesen
Dichters hoffnungslos umkreist, der Kernfgleichgewichtigen Lebens
sein, Ihre kleine Schlacht“, so zeigt dieser bitt de Scherz nur
dasselbe tiefernste Verhältnis zu allem Lebendigen, zur Praxis,wie liegen mag.
Leben und Wert nicht zusammenbringt, der vielmehr seine Sehn¬
dieses Bildes etwas Wesentliches zu sagen hat.
sucht schwärmerisch an Unwirkliches anknüpfend, mit ironisch
Schon Reumanns Name ist, wie die meisten Namen dieses
überlegenem Zweifel auf alles Endliche, Begrenzte, Wirkliche
Stückes, ein wenig symbolisch gemeint. Er ist ein Mann, den
sieht. Aber er ist ein Romantiker im Kleide des Weltmanns,
vielerlei leicht reut, der Skrupel und Bedenken mit sich trägt,
denn er ist zu skeptisch und zu blasiert, um noch zu „glauben“.
und der so aus dem grad entgegengesetzten Grunde wie Fichtner
Die Leidenschaft für das Überwirklich=Jenseitige ist in seinem
und Sala auch einen melancholisch einsamen Weg haben wird.
ungläubigen Sinn einer tiefgespannten Neugier gewichen. Als
Gleich das erste, was wir von ihm erfahren, charakterisiert ihn
vom Sterben die Rede ist, sagt sein Held: „Gibt es einen an¬
völlig: Er hat Aussicht, in Graz Professor zu werden, aber er
ständigen Menschen, der in irgendeiner guten Stunde in tiefster
tritt zurück, als sein einziger, chancenreicher Rivale sich bei einer
Seele an etwas anderes denkt?“ Aber aus eben dieser fragen¬
Bergtour den Hals bricht. „Der Gedanke, irgendeinen Vorteil
den Melancholie heraus kommt der spielerische Leichtsinn, mit
dem Malheur eines anderen zu verdanken, wäre mir außer¬
dem dieser romantische Herr nun die Dinge der Wirklichkeit auf¬
ordentlich peinlich.“ Und dies, was er seine ganz gemeine
greift, genießt, wieder fallen läßt — sie sind alle schön, aber alle
Eitelkeit nennt, und was in Wahrheit ein bis ins Metaphysische
doch nicht wichtig, alle doch nur Andeutungen für das, was
reichendes Feingefühl, ein untrügbarer Respekt vor den Rechten
man eigentlich sucht. „Ein leichtsinniger Melancholiker“, so hat
fremden Lebens ist, es wiederholt sich im Laufe des Schau¬
sich schon Schnitzlers Anatol charakterisiert. „Der einsame Weg“
spiels noch einmal bei einem Anlaß, der sehr viel innerlicher
aber zeigt uns nun diesen Anatolmenschen beim Abstieg; zeigt ihn
und sehr viel tragischer ist: Er liebt Johanna, die Tochter Weg¬
in zwei sehr verschiedenen Exemplaren: der Dichter, Herr von
ralhs — es wird uns in der unterirdisch zarten Art gezeigt, in
Sala, voll edler Geistigkeit und unerschütterlicher Haltung das
der alle Bewegungen innerhalb dieses Stückes vor sich gehen.
Ende erwartend, der Maler Julian Fichtner, dessen mehr sinn¬
Aber er weiß, duß Johanna den Herrn von Sala liebt, und
liche Natur schwach und sentimental wird und plötzlich und ver¬
nicht obschon, sondern gerade weil er als Arzt weiß, daß das
geblich nach der Welt draußen langt, die er so lange mi߬
ein verlorener Mann ist, zieht er sich zurück. „Es hat sich wieder
achtet hat, und die sich ihm entzieht. Denn die Menschen und
einmal ein anderer den Hals gebrochen“ — Reumann, der einen
Dinge, an die sie nie geglaubt, denen sie sich nie geopfert haben,
so tiefen Respekt vor fremden Leuten hat, ist ein Realist; aber
sie haben nun keinen Grund sich den Menschen, deren Jugend¬
sein Realitätsgefühl ist so überaus fein, so überaus empfindlich,
glanz entflieht, zu opfern — der Weg dieser glaubenslosen Ro¬
daß es diesen stillen, ernst verschlossenen Menschen auf der ent¬
mantiker, die kein Jenseits besitzen, und denen das Diesseits
gegengesetzten Seite mit der gleichen Gefahr bedroht, die den
nicht heilig war, muß ins Leere führen. „Und wenn uns ein
glänzenden Lebenskünstlern aus ihrer zu großen Respektlosigkeit
Zug von Bacchanten begleitet — den Weg hinab gehen wir alle
allem fremden Leben gegenüber erwächst: auch er vereinsamt.
allein. Wir, die selbst niemandem angehört haben.“
Auch er ist nicht im Gleichgewicht mit der Welt, ihm fehlt es
Das Schicksal dieser beiden Männer wird verknüpft mit dem
an dem nötigen Minimum von Brutalität, was man zur Selbst¬
Hause des Professors Wegrath. Felix, der Sohn dieses Hauses,
erhaltung und Selbstdurchsetzung braucht, und er bekennt des¬
ist eigentlich Julian Fichtners Sohn, aber an diesem Vater so¬
halt: „Die Sehnsucht, die um tiefsten in mir steckt, ist die: ein
wohl wie am Herrn von Sala, dessen Lebensspiel noch endend
Schurke zu sein, ein Kerl, der heuchelt, verführt, hohnlacht, über
des Felix Schwester Johanna in seine dunklen Kreise zieht, wird
Leichen schreitet. Aber ich bin durch Mängel meines Tempera¬
er zum Rächer der Wirklichkeit — als Vertreter eines anderen
ments dazu verurteilt, ein anständiger Mensch zu sein — und,
Geschlechts, eines unromantischen, „besseren“, das „mehr Hal¬
was vielleicht noch schmerzlicher ist, von allen Leuten zu hören,
tung und weniger Geist“ besitzt. — Im Hause dieses Professors
schon die allererste Bemerkung, die über Reumann im Stück über¬
daß ich es bin.“ Es ist kein Gegensatz dazu, sondern nur die
haupt fällt: Es ist ein Pfirsichspalier gepflanzt worden und
Spiegelung seiner innersten Problematik in der Stimmung eines
Felix erfährt, daß dies eine Idee von Dr. Reumann ist: „Das
anderen Augenblicks, wenn er, der die durchgreifende geniale
hätte ich mir denken können — solche Nützlichkeitseinfälle traue
Kraft so schmerzlich in sich vermißt, ein anderal leidenschaftlich
ich in unserer Familie auch niemandem so recht zu.“
dafür eintritt, daß der zuverlüssige Beamte die Welt und die
Und wie das erste, so ist das letzte Wort, das ihn diese in
Kunst weiter bringe, als das sog. Genie, und fast wie ein fana¬
sich vollkommene Dichtung sprechen läßt, für Reumann von höch¬
tischer Philister jed.s Vorrecht des Genies abstreitet. — Denn
ster Bedeutung. Er hat vom Hause Wegraths resigniert Ab¬
Dr. Reumann ist bei alledem durchaus kein Philister. Er möchte
schied genommen — aber als das Unglück da ist, als man ihn
es nur in Augenblicken sein, um sich über die Schwächen seiner
braucht, da ist er sofort wieder zur Stelle. Es ist am Anfang
allzu feinfühligen Natur hinwegzutäuschen, er möchte jene „Hal¬
des fünften Aktes. Johanna ist verschwunden, und er hilft sie
tung“ haben, die der glücklichere junge Felix schon besitzt. Daß
suchen. Niemand weiß, warum und wohin sie gegangen ist und
er es nicht ist, zeigt nicht nur die Vornehmheit seiner Haltung
Felix ruft verzweifelt: „Wer hat sie denn gekannt von uns
in jedem Augenblick, nicht nur die mitfühlende Reiselust, die in
allen, wer kümmert sich denn überhaupt um die anderen?“ Da
ihm aufflammt, als Felix ihm seine Aussicht, die große asiatische
antwortet Reumann: „Es ist wahrscheinlich gut so, sonst würden
Expedition mitzumachen, erzählt, das zeigt sich vor allem in der
wir alle toll vor Mitleid oder Ekel oder Angst. Ich muß jetzt
Art, wie er sich höchst unphiliströs dem moralischen Zweifel der
zu meinen Kranken; ich habe einige unaufschiebbare Besuche.
Frau Wegrath entgegenstellt, die sich an ihrem Lebensende von
Zu Mittag bin ich wieder da. Auf Wiedersehen.“ Es liegt viel
Reue packen läßt über den Betrug, den sie ein Leben durchgehalten
in diesen letzten Worten dieses Arztes. Auch in ihm ist die
hat. (Felix ist ja nicht Prof. Wegraths, sondern Fichtners Sohn.)
innere Harmonie, die Kraft zum Glück nicht, aber weil er nicht
Reumann spricht zu ihr: „Eine Lüge, die sich so stark erwiesen
sich, sondern anderen lebt, so kann er „zu seinen Kranken gehen“,
hat, daß sie den Frieden eines Hauses tragen kann, ist mindestens
in seiner Arbeit einen Halt finden. Auch sein Weg ist einsam,
so verehrungswürdig als eine Wahrheit, die nichts anderes ver¬
aber nicht so lichtlos wie der seiner genialischen Gegenspieler.
möchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Ge¬
So voll gefaßter Melancholie, klug, tätig und doch im Grunde
fühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der Zukunft
resigniert steht Dr. Reumann als eine in ihrer selbständigen
zu verwirren.“ So spricht niemals ein kleiner, in enge Vor¬
Eigenart dem Ganzen des Stücks viel bedeutende Gestalt dem
urteile gebannter Philister, sondern ein freier Geist, den der
Maler Fichtner und seiner gebrochenen Selbstsucht gegenüber,
frömmste, ernsteste Respekt vor allen Wirklichkeiten erfüllt
und dem wundervollen Herrn von Sala — der schönsten und vor¬
und der nur so zartfühlend ist, daß er anderen besser als sich
nehmste Gestalt, die Schnitzler jemals den einsamen Weg
selber rät. „Glücklich machen, ist besser als schuldlos sein,“ sagt
seiner weltmännischen Melancholie, seiner romantischen Skepsis
er einmal, aber er wagt nicht selbst danach zu handeln.
hinabschreiten ließ. Dr. Reumann ist mit nicht minder guter
Wenn Dr. Reumann ins Zimmer tretend, Salas Erzählung von
Haltung nach der andern Seite des Lebens um eben so viel zu
einer „richtigen kleinen Schlacht“ die bei der vorigen asiatischen
weit gegangen, als Sala von der seinen — und erst zusammen
Expedition stattgefunden habe, mit den Worten unterbricht: „für
zeigen sie uns an, in welcher Mitte, von der Sehnsucht des
die, die dort liegen geblieben sind, wird sie gros genug gewesen
Dichters hoffnungslos umkreist, der Kernfgleichgewichtigen Lebens
sein, Ihre kleine Schlacht“, so zeigt dieser bitt de Scherz nur
dasselbe tiefernste Verhältnis zu allem Lebendigen, zur Praxis,wie liegen mag.