II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 24

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17.4. MarittenZuklus
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Marionesten#)
Drei Einakter von Artur Schnitzler
Dus uns hier vorliegende zeueste Pühnenwerk Artur
Schnitzlers hat bereits die zweite Aufläge erlebt; ein Be¬
weis, daß das literarisch gebildete Purlikum jede neue
Schöpfung Schnitzlers als emn sehr beähtenswertes Er¬
eignis auf dem Büchermarkte ansieht.
Für einen so geistvollen Bühnendichter, wie Schnitzler
es tatsächlich ist, liegt eigentlich die Versuchung sehr nahe,
sich nur mit dem Schreiben von mehraktigen Bühnen¬
werken zu beschäftigen. Denn es liegt auf der Hand, daß
der Einakter nicht den Höhepunkt des dramatischen Schaffens
darzustellen vermag.
Dies mag aber noch so wahr und zutreffend sein, trotz¬
dem bleibt es eine eben so große Wahrheit, daß selbst die
geistvollsten Dramatiker nicht selten gerade daran Schiff¬
bruch erlitten haben, daß sie eine an und für sich gute und
bühnenwirksame Idee durch die Verarbeitung zu einem
den Abend füllenden Theaterstück zu Tode gereckt haben.
Artur Schnitzler hat sich dieser Sünde nie teilhaftig
gemacht. Er weiß, daß jede dramatische Idee nur bis zu
einem gewissen Grade dehnbar ist, und daß es darum
sowohl für seinen Ruf als Dichter, als auch im Interesse
des Publikums weit besser ist, drei interessante Einakter,
als einen ennuyanten Dreiakter zu schaffen.
Nach diesem Prinzip hat Schnitzler seine „Marionetten“
geschrieben.
Es find drei Einakter („Der Puppenspieler", „Der
tapfere Cassian“ und „Zum großen Wurstel“), die der
Dichter unter dem Gesamttitel „Marionetten“ in die Welt
hinausgehen läßt.
Wenden wir uns zunächst dem „Puppenspieler“ zu.
wie sie vom
Die tragende Idee dieser „Studie“
Dichter selber bezeichnet wird — ist die: Ein geistvoller
Mensch, der mit den Lebensschicksalen seiner Mitmenschen
spielen, also gewissermaßen sich als ihre Vorsehung auf¬
spielen will, gerät schließlich selber unter die Räder des
Schicksals.
Georg Merklin, ein hochbegabter Dichter, will seinen
Freund, den Musiker Eduard Jagisch, von der ihm an¬
haftenden Schüchternheit, die seinem Erfolge stets im
Wege steht, kurieren.
Eduard steht im Begriff, eine gewinnbringende Tournee
h. nach Amerika, zu
nach dem Lande des Dollars, d
unternehmen. Den Kontrakt hierzu hat er schon in der
Tasche
Sein Freund Georg fürchtet, daß das mangelnde Selbst¬
vertrauen und unsichere Auftreten Eduards auf die
smarten Amerikaner keinen guten Eindruck machen, und
daß Eduard sich selber im Lichte stehen werde. Ergo: der
schüchterne Eduard muß kuriert werden.
Die Gelegenheit hierzu bietet sich bei dem Abschiedsfeste,
das Eduard seinen Freunden und deren „Freundinnen“
gibt. Er selbst — als der schüchterne junge Mann -
hat natürlich keine Freundin.
Dafür hat aber die Geliebte Georgs — die schöne Irene
eine ebenso schöne Freundin Anna. Georg überredet
aun das schöne Aennchen, seinem Freunde Eduard die
gewagtesten Avancen zu machen. Denn der große Dichter
ist auch ein ebenso großer Menschenkenner und weiß
infolgedessen ganz genau, daß nichts auf der Welt das
mangelnde Selbstbewußtsein eines Jünglings so
zu
stärken vermag, als das Bewußtsein, von einem schönen
Mädchen geliebt zu werden.
Dieses probate Rezept der praktischen Philosophie tut
auch bei dem schühternen Eduard wahre Wunder; das
schöne Aennchen, das sich so liebessehnsüchtig an die
Brust des von solchen Freuden noch nichts wissenden
Eouard anschmiegt, macht aus dem linkischen und un¬
sicheren Jüngling einen selbstbewußten Mann: Eduard
erobert sich in Amerika und später in seiner Vaterstadt
Wien eine angesehene Position, mit einem Wort: er ist
und zwar in des Wortes eigentlichster Bedeutung
ein gemachter Mann
Soweit wäre alles gut und schön, und der „Puppen¬
svieler“ Georg hätte sein Marionettentheater summa cum
laude gespielt.
Aber die Sache hat — genau so wie im wirklichen
Leben — doch noch einen Haken.
Das schöne Aennchen hat sich zu der problematischen
Rolle einer Liebesheuchlerin nur deshalb hergegeben, weil
sie im Grunde ihres Herzens auf Irene, die Geliebte
Georgs, eifersüchtig war und die Hoffnung hegte, durch
ihr zärtliches Tändeln mit dem schüchternen Eduard die
eifersüchtige Aufmerksamkeit Georgs auf sich zu lenken.
Fast wäre ihr dies gelungen, denn die Blicke Georgs
begannen bereits mit einem nicht mißzuverstehenden Aus¬
druck auf ihr zu ruhen.
Doch schließlich ging die Sache schief: Georg blieb
„Irenenfest“ und überließ das schöne Aennchen neid= und
gefühllos seinem schüchternen Freunde.
In dieser Lage tat Aennchen das vernünftigste, was
getan werden konnte: sie liebte den, den sie hatte, und
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fällt ihm nichts ein! Ich lasse sie schreien. Dem wahren
Künstler kann nie etwas einfallen, denn er hat alles in
sich — er hat eine innere Fülle. Das ist es, darauf sömmt
es an.
Und weiter führt Georg zu dem Thema des litefarischen
Vagantentums aus:
Es ist euch jedenfalls bekannt, daß man essen muß —
wenigstens zuweilen. Nur aus diesem Grunde mache ich
gelegentlich kleine Arbeiten für ein Journal. Richt unter
meinem Namen natürlich. Ich könnte ebensogut Kohlen
tragen oder Pfeifenrohre schnitzen. Womit ich ausdrücken
will, daß diese Arbeit mit meiner Seele nichts zu tun hat,
mir nichts von meiner inneren Freiheit raubt. Aber
genug von mir! Genug!..
Natürlich ist Georg auch in bezug auf seinen geselligen
Verkehr ein Unikum. So sagt er darüber:
Ich finde auch Gesellschaft, wenn mir's gerade paßt.
Ich habe auch Freunde und Freundinnen — für einen
Tag. Und ein Tag ist lang, wenn man versteht zu leben.
Ich bin wie Harun=al=Raschid, der unerkannt im Volke
wandelt. Die Leute, mit denen ich da draußen „große
Geste“ rede, ahnen nicht, wer ich bin; und wer von mir
Abschied nimmt, weiß nicht, ob er mich wiederfindet. Es
ist ein höchst interessantes Dasein ...
Wie der Leser aus diesen paar Proben ersehen kann,
steckt in der Figur des Schnitzlerschen Georg ein gut Teil
der alten Diogenes=Tonnen=Weisheit, nur ist diese alte
Weisheit von Schnitzler mit einer modernen Frisur ver¬
sehen worden.
Aber ist es nicht auch wirklich so, daß die geistige Ex¬
wesentlich
zentrizität — solange die Menschheit besteht -
ganz dieselbe bleibt, und nur die Formen des augenblick¬
lich herrschenden Zeitgeistes annimmt?
Der tiefe Sinn der Schnitzlerschen Studie liegt aber
dirin beschlossen, daß auch der geistvollste und genialste
Mensch, wenn ihm die geistige Produktivität fehlt, nur
ein — Puppenspieler bleibt.
Das wahre Genie macht sich — ohne es zu wollen —
zum spiritus rector einer ganzen Zeitepoche. Die geistigen
Heroen sind in Wahrheit die größten Wohltäter der
Menschheit, denn sie erweitern den geistigen Horizont der
Menschheit, sie bringen — um ein anderes Bild zu ge¬
brauchen — neues, frisch pulsierendes Blut in den stagnie¬
renden Organismus der Menschheit.
Und die geistigen Talmi=Heroen — wie deren einer die
Figur des Schnitzlerschen Georg ist? sie glauben, mit
Menschenschicksalen spielen zu können, aber in Wahrheit
spielt das Schicksal mit ihnen.
Es ist ein unerbittliches Naturgesetz, daß die unproduk¬
tiven Werte spurlos verschwinden müssen.
Für die Entwickelung der Menschheit ist ein gewissen¬
hafter Alltagsmensch, der in seinem engbeschränkten Kreise
seine „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ tut, von
größerem Werte, als zehn exzentrische Genies, die anderen
den Lebensweg weisen wollen, und doch den eigenen
Lebensweg zu gehen nicht imstande sind.
In dem „Puppenspieler“ versucht Schnitzler — und
das Bild eines Menschen zu zeich¬
zwar mit Erfolg -
*
nen, der an seiner Geistesfülle zugrunde geht, weil ihm
die nötige geistige Konzentration fehlt.
Eine interessante psychologische Studie, in angenehmem,
leichten Konversationston geschrieben, und doch zu tie¬
ferem Nachdenken anregend! Ein echter Schnitzler!
Auch die beiden anderen Einakter sind von bleibendem
literarischen Wert.
Besonders der zweite Einakter: „Der tapfere Cassian,
ein Puppenspiel“ dürfte alle diejenigen lebhaft inter¬
essieren, die sich in der Form eines angenehmen Unter¬
haltungsstündchens über die Psychologie der weiblichen
Liebe orientieren wollen.
Der Grundgedanke dieses „Puppenspiels“ ist, kurz ge¬
sagt, der: Man wird von seiner Geliebten nur solange
geliebt, solange ihr niemand in den Weg tritt, der ihr in
bezug auf Mannhaftigkeit mehr imponiert.
Man muß zugeben, daß in der Tat das Recht des
Stärkeren nirgends größere Geltung hat, als da, wo es
sich um die Liebe des Weibes handelt.
Der Stärkere nimmt die Liebe des Weibes als eine
Art rechtmäßiger Kriegsbeute hin! Dies ist zwar für den
Schwächeren sehr unangenehm, deprimierend und fatal:
aber nichtsdestoweniger ist es nun schon so und nicht
anders!
Deutet doch schon das lateinische proverbium (Sprich¬
wort) darauf hin, daß Liebesspiel — Kriegsspiel ist:
bellum est, bellare cum bellis puellis (Schön ist's, Krieg
zu führen mit schönen Mädchen). Schön natürlich nur
dann, wenn man der Stärkere ist und — bleibt!
Auf den Inhalt dieses psychologisch fein herausgearbei¬
teten Einakters näher einzugehen müssen wir uns aus
Raummangel schon versagen.
Ebenso können wir nur in aller Kürze verraten, daß
der dritte Einakter „Zum großen Wurstel, Burleske“ eine
trefflich gelungene Satire auf das moderne Dichtertum,
Schauspielertum und Theaterpublikum enthält.