II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 30

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17.4. Marienettenklus
Bücherschau. #%
„Marionetten.“ Drei Einakter von Arthur Schnitzler. Verlag von S. Fischer, Berlin.
In der letzten Nummer dieser Zeitschrift wurde das wahre, verständnis= und liebevolle
Wort gesprochen, Schnitzler sei der feinste und stillste Dichter, den Wien besitzt.*) Ich will es
erweitern: der feinste und stillste Dichter Österreichs, sein größter unter den Lebenden.
Freilich, Schnitzlers Dichtungen, auch seine Dramen, sind mehr novellistischer Natur. Sie
sind, wenigstens seine letzten Werke, viel mehr dramatisierte Verkörperungen des tiefsten und innersten
Seelenlebens als der äußeren Geschehnisse. Statt sich in Taten gewaltsam zu e###laden, leuchten
die feinsten und zartesten seelischen Empfindungen und Gefühle in einem hellen und milden Lichte
auf, das uns tief hineinblicken läßt in das geheimste, dunkle Getriebe des Menschenherzens. Fast
scheint es, daß der Phantasie Schnitzlers, je schwächer und schmächtiger sie in der Erfindung
von Geschehnissen wird, um so stärker und voller sich in der Erfindung von Charakteren
entfaltet.
Aber sind es auch vielleicht minder wirksame, in der Handlung mitunter überspitzte
Theaterstücke, so sind es doch desto größere Dichtangen.
So auch „Der Puppenspieler“ der erste der neuen Einakter.
Der Grundgedanke: Die Menschen sind nur Puppen, die, an den Drähten des Zufalls
gelenkt, auf dem großen Marionettentheater des Lebens hüpfen und spielen. Und der Puppen¬
spieler, der da vermeint, seine Mitmenschen selbst lenken zu können, kommt zur Erkenntnis, daß
er selbst nur eine Marionette des Zufalls ist.
Es ist kein Drama. Schnitzler nennt ei auch, dies selbst erkennend, nur eine Studie.
Es ist ein einzelner Gedanke, in dramatische Fam gebracht. Aber das Ergebnis der reifsten
Erkenntnis, der tiefsten Lebensweisheit. In der nübertrefflichen Weise Schnitzlerschen Dialogs.
Der zweite Einakter: „Der tapfere Casian“, ist ein wahres, wirkliches Puppenspiel.
Eines, das auf einem Marionettentheater, für dis es auch bestimmt ist, der stärksten Wirkung
sicher sein kann. Puppenhaft in jeder Bewegung ind jedem Geschehnis. Aber das Ganze über¬
haucht von einer höheren Ironie, der die Puppen soch Menschen und die Menschen wieder nur
Puppen und.
Und dann das Satirspiel: „Zum große Wurstel.“ Zuschauer und Schauspieler,
Direktor und Dichter des Marionettentheaters, ae toll durcheinander gewirbelt, spielen das
zwercherschütternde Spiel mit. Ein Theater samt einen Zuschauern auf dem Theater. Puppen
und Menschen, die Literatur, Wien und nicht zuletz der Dichter selbst — ein Wurstelprater. —
Ist doch die ganze Welt nur ein Wurstelprater!
Und so ist es eine köstliche Satire Schnilers auf die Menschheit und sich selbst, den
ewigen Räsoneur des Lebensdramas. Ein Spiel zwar nur für einen kleinen, intimen Kreis
von Eingeweihten und Lebensphilosophen berechn;, die aber verstehen, daß in dieser tollen
Burleske des Dichters das feinste Verständuis der Pelt und seiner selbst zum Ausdruck gelangt.
Keine Theaterstücke — aber Dichtungen ds feinsten und stillsten Dichters Österreichs.
J. Fürth (Prag).