II, Theaterstücke 17, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 0), Marionetten. Drei Einakter, Seite 43

Ehristiania, Genf, Kopen¬
F hagen, London, Madrid, Mailand, Minncapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quelienangabe ohne Gewähr.)
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∆ Ausschnitt aus:
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210
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Amstanat Sanael intelschar
E vom:
Theater und Kunst.
Lobetheater.
Montag, den 9. März: „Marionetten". Drei
Einakter von Arthux Schnitzler.
Eine Montagspremis## Lobetheater, — das ist,
wenn nichts Neués überhaupt, zumindest etwas Ungewöhn¬
liches, lange nicht Dagewesenes. So geht es in den Zeiten
der Operettenhochkonjunktur: der „Walzertraum“ füllt.
am Sonnabend das Theater, dafür kann die Direktion
dann am Montag ein halbleeres Haus riskieren, um dem
literarisch gesinnten Teile des Publikums ein wenig
Extrakost vorzusetzen. Von den drei Gängen des Einakter¬
Menüs war nur der mittlere, das Puppenspiel „Der
tapfere Cassian“ wirklich neu für Breslau. Die „Studie“
„Der Puppenspieler“ ist schon vor mehreren Jahren im
Lobetheater gegeben worden und die Burleske „Zum
großen Wurstel“ ist wenigstens den Besuchern der Stadi¬
theater=Redoute, und somit auch einem Teil unserer
„Literarischen“ bereits bekannt. „Der Puppenspieler“ ist
so undramatisch wie möglich, in der Tat nur eine Studie,
aber eine Studie von intimem Reiz, die die Symbolik des
Titels „Marionetten“ (mag dieser auch erst nachträglich
gewählt sein), in der feinsten Weise zum Ausdruck bringt.
Mit jener diskret lächelnden, innerlich ein wenig weh¬
mütigen Ironie, die Arthur Schnitzler so gut zu Gesicht
steht. Da meinte er nun, mit den Menschen wie mit
Puvpen gespielt zu haben, dieser sich so „frei“ dünkende
Künstler und Schriftsteller Georg Merklin, und nun muß
er nach 11 Jahren die Erfahrung machen, daß die Menschen,
die er an den Fäden gehabt zu haben glaubte, sein „Spiel“
verdorben, es zu ihren Gunsten gelenkt haben, und daß
er die Marionette des Schicksals war. Das sind schließlich
die Anderen letzten Grundes auch, aber ihn trifft's
empfindlicher. Dieser Georg Merklin redet viel und Herr
Bauer hätte sich darum Mühe geben sollen, etwas ver¬
ständlicher zu sprechen. Herr Halpern und Fräulein
Hammer verkörperten das Ehepaar Eduard Jagisch und
Frau Anna so schlicht und sympathisch, wie diese beiden,
in stillem häuslichem Glück vereinten Menschen gespielt
werden müssen, und unser „Klein=Wagner“
gab das
Söhnchen Georg so hübsch wie immer. „Der lapfere
K
S
Cassian“ illustriert die alte These, daß das Weib dem
Stärksten verfällt. Die Gestalten, die hier die Träger des
ironischen Grundgedankens sind, stehen auf der Grenze
zwischen Marionetten und Menschen, aber schon mehr im
Puppenlande wie noch im Menschenreiche. Und hinter
dem Ganzen lauert noch die geheime Absicht, die
Neoromantik zu verspotten. Das merkt aber nicht Jeder.
Der Zuschauer kommt aber auch ohne diese Nebendeutung
auf seine Rechnung, wenn er sich einfach an die kleine
Abenteuergeschichte hält, wie der ruhmredige, rauhe Kriegs¬
mann Cassian seinem Letter Martin Geld, Hut und
Liebchen abgewinnt und ihn obendrein noch im Stuben¬
duell ersticht. Vetter Martin haucht flötespielend sein
Leben aus, aber die eigentlich Leidtragende ist Sophie,
das Liebchen, denn der tapfere Cassian, dem sie sich nun
hingeben muß, wird nun an Stelle Vetter Martins aus¬
ziehen, um das fabelhafte Weib Eleonora zu erobern, das
dieser mit seiner feurigen Liebe und seinen durch Würfel¬
spieltricks gewonnenen Dukaten erringen wollte. Herr
Regisseur Bonno hatte das Stückchen mit gutem Stil¬
gefühl auf den Puppenspielton gestimmt. Die Darsteller
ägierten wie Marionetten an unsichtbaren Fäden und
redeten im mechanischen Rhythmus von Sprechautomaten.
Herr Wallauer beging keinen Fehler, daß er den im
Renommieren, Fechten und Würfelspielen gleich leistungs¬
fähigen Cassian nicht rein automatisch gab, sondern ihm
etwas Fleisch und Blut von derber Landsknechtsart lieh.
Frl. Jauck war ein süßes Püppchen und Herr Sioli
traf die Karikaturromantik, mit der der Dichter die
Rolle des Vetter Martin ausgestattet hat, auch sehr gut.
Die kleine Dienerrolle sprach Herr Schybilsti stil¬
gemäß. In der Burleske „Zum großen Wurstel“ agieren
die lebenden Marionetten an wirklichen Fäden. Außerdem
sind noch eine Menge Marionetten ohne Fäden da, das die
Vorgänge des Marionettenstückes kommentierende „Publi¬
kum“ auf der Bühne. Das wirkliche Publikum kann nun
— und das ist ein Vorzug des Stückes — sich sowohl an
den feingeschliffenen, satirischen Anspielungen auf die
moderne dramatische Literatur von Sudermann bis —
ja, es bleibe dahingestellt, wie weit der letzte auf die Neu¬
romantischen gezielte Pfeil Arthur Schnitzlers gerichtet ist
ergötzen, oder auch sich nur an den amüsanien äußeren
Vorgängen der Burleske erheitern. Die Mehrzahl des
Publikums war wohl vorzugsweise auf das Letztere ange¬
wiesen, — es schien, als ob nicht einmal der leichterkennt¬
gut
liche sudermännische „Raisonneur“ des Stückes so
verstanden wurde, wie bei der Redouten=Aufführung, —
aber da die wechselreichen Phasen der Burleske genügend
Anlaß zur Erheiterung bieten und das Zusammenspiel der
rund 30 Mitwirkenden flott und lebendig war, so sam
ein hübscher Erfolg zustande, ein stärkerer, als wie er den
beiden vorangegangenen Einaktern beschieden gewesen war.
K. M.
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Lobelheater. (6/ 20
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„Marionetten.“
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# Die erfolgreiche Pflege des m odernen Einakterzyklus ist
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# von Artur Schnitzler ausgegangen, und keiner seiner Nach¬
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folger hat soor Wie der Verfasser des „Grünen=Kakadu“
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und der „lebendigen Stunden“ eine gemeinsame Grundidee
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mannigfaltig in verschiedensten Spielen widerzuspiegeln ver¬
zu kön
standen. Ja es erscheint Schnitzler gegenüber fast wie eine Walla
plumpe Karikatur, wenn Sudermann in seiner letzten Einakter= Exempli
reihe statt durch ein geistiges Band ebenso bequem als äußerlich ##63 Ji
durch das Vorkommen von „Rosen“ vier Stücke zu einem
sich au
Zykius vereinigen zu können glaubte. Aber auch Schnitzler
Begehre
selbst ist es in seinem vierten Einakterzyklus nicht so gut wie hi und
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früher gelungen, den inneren Zusammenhang der einzelnen seinen Vett
Söfie für für
Stücke ohne weiteres deutlich hervortreten zu lassen. Dies geht
schon aus der auffälligen Tatsache hervor, daß unserem Lobe¬ soklen wir #nch
theater das Verdienst vorbehalten blieb, als erste Bühne den mit Lüchen be
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111
Einakterzyklus im Zusammenhange zu geben, obwohl er bereit¬
## nonsichtte u
vor einigen Jahren als Buch erschienen ist.!) Das erste Stü.
„Der Puppenspieler“ hat schon im September 1903 Unt'ir
seine Uraufführung im Deutschen Theater zu Berlin erlebt und er
ist dann im Dezember des gleichen Jahres zusammen mit sersten
Wildes „Salome“ im Lobetheater gegeben worden. Die in
überi
Berlin von Irene Triesch gespielte Rolle der blonden Frau
übergel
Anna wurde damals Frl. Santen anvertraut. Diesmal war
seine
an ihre Stelle Frl. Hammer getreten. Wenn die Rolle durch
Dolché
diesen Tausch nichts verlor, so haben die beiden männlichen Dichte
Rollen des in selbstgefälliger Einsamkeit verkommenen Genies!! Grafe
und des in glücklichem Familienfrieden befriedigt lebenden #po#'a
Musikers entschieden gewonnen, indem die Herren Bauer und lich;
Halpern die Herren Bernau und Burgarth ablösten. SchnitzlerAusft
selbst hat das Stück „eine Studie“ genannt, und es ist eine
der
pfychologische Studie, deren Feinheit i Theater nur bei aus¬
An.
gezeichneter Darstellung die verdiente Würdigung finden kann.
mütic
Wie der lebensfrohe Musiker den kranken Gemütszustand eines
Kriti
ann
schiffbrüchigen Freundes nicht versteht und nur Annas weib¬
licher Instinkt die Hoffnungslosigkeit des ehemaligen Genies
Dicht

empfindet, so werden auch beim erstmaligen Anhören des
„Phantaf

Stückes im Theater schwerlich alle Zuhörer sofort die bittere
sprechen lüsse
fatirei„De###
Ironie in diesem Seelengemälde ganz empfinden.
Georg Merklin, zu dessen Genie in erwartungsreicher
parodieren wöste
Jugendzeit alle seine männlichen und weiblichen Freunde be¬
treibe“ Er#kut
wundernd aufblickten, hatte im Gefühle seines Übermenschen=Escheidenden Grün
tums seine ganze Umgebung zu beherrschen geglaubt. Wie Theäters entsteht
Puppen sollten sie an den von ihm gezogenen Drähten tanzen; schönim Aristol
er fühlte sich als ihr Schicksal. Aber in Wirklichkeit hat der
sich selbst zu ##b
Puppenspieler nichts von dem inneren Leben der von ihm
und noch miehr
Unterschätzten gewußt, das ihm sich darbietende wahre Glück
heit des mensch
von Annas Liebe nicht geahnt und selbst sich von einem sespruch in uns.
Die! wuniderliche
schlechten Weibe nasführen lassen, an dem sein Talent und
größter Lebendi
Lebensglück scheitern sollten. Aber gibtges nicht Vorgänge im
mehrlAs einm
Leben, die wirklich wie ein Puppenspiel, wie tanzende
sein. E chauspiel
)Marionetten. Drei Einakter von Artur Schnitzler. Zweite Auflage.
dieser vom The
Berlin, S. Fischers Verlag 1906. 146 S. 8°, 2 Mk., geb. 3 Mk.